Energiekonzept für Thüringen: Am 18. Juni wird die Thüringer Linksfraktion es vorstellen und diskutieren …
Bodo Ramelow (Fraktionssvorsitzender der LINKEN im Thüringer Landtag) stellte ein Konzept vor, nach dem bis 2040 der komplette Energiebedarf aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden kann. Mit dem Umstieg eröffneten sich für Thüringen enorme wirtschaftliche Chancen, sagte Ramelow am Dienstag in Erfurt bei der Vorstellung eines Energiekonzepts der Landtagsfraktion. Es steht unter dem Motto „Energierevolution statt grüner Kapitalismus“.
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Neues Deutschland: Nur Sonne Wind und Wasser
Thüringen, das bisher kaum Energie produziert, könnte Vorreiter bei der Energiewende hin zu den Erneuerbaren werden. Es bestehe eine industrielle Basis mit Solarzellenherstellern oder Produzenten von
Windrädern. Forschungspotenzial gebe es an den Hochschulen in Ilmenau, Nordhausen und Weimar.
Nach Schätzungen von Ramelow biete eine radikale Energiewende wirtschaftliches Potenzial von bis zu fünf Milliarden Euro und bis zu
25 000 Arbeitsplätzen in Thüringen. Es müsse jedoch entschlossen
genutzt werden.
Die Linke setzt bei ihrem Konzept, das mit je einem der CDU-Landtagsfraktion und des Wirtschaftsministeriums konkurriert, auf
eine dezentrale Energieerzeugung mit Solar- und Windkraftanlagen,
Biomassekraftwerken, Wasserkraft und Erdwärme. Kleinkraftwerke
müssten dort entstehen, wo der Verbrauch ist. Zudem gebe es viele
Möglichkeiten, den Energieverbrauch zu reduzieren, sagte Ramelow.
Nach dem Willen der Linken sollten Kommunen und Bürger die Chance
haben, sich an Energieanlagen zu beteiligen und davon, auch finanziell, zu profitieren. Bereits heute gebe es Bürgerkraftwerke. Ramelow plädierte erneut dafür, dass Kommunen und Stadtwerke eine
Mehrheit am Regionalversorger Eon Thüringer Energie AG (Erfurt) und
seiner Netzgesellschaft erwerben. «Sie sollten ermuntert werden, ein
Bieterkonsortium zu bilden.» Netze gehören nach Ansicht von Ramelow
«in die öffentliche Hand». Beim umstrittenen Netzausbau für mehr erneuerbare Energien plädiert die Linke dafür, zunächst die technischen Möglichkeiten zu nutzen, um die vorhandenen Stromnetze aufzurüsten. Zudem würde perspektivisch eine «Thüringer Netzwarte» für eine intelligente Steuerung der Netze gebraucht. Neue «Stromautobahnen» für Windparks im Meer halte die Linke für überflüssig, erklärte Ramelow. Er sprach sich gegen eine «Verspargelung der Landschaft» durch den planlosen Bau neuer Windparks aus. Vielmehr sollte es darum gehen, die
vorhandenen Anlagen leistungsfähiger zu machen.
Die Fraktion will ihre Vorstellungen und Thesen am 18. Juni öffentlich diskutieren. Dazu würden auch Praktiker und Mittelständler erwartet.
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ENERGIEREVOLUTION STATT GRÜNER KAPITALISMUS
THÜRINGEN SOZIALÖKOLOGISCH ERNEUERN!
DAS KONZEPT DER FRAKTION DIE LINKE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE ENERGIEPOLITIK IN
THÜRINGEN
Inhaltsverzeichnis
ENERGIE IST LEBEN!
Vorwort von Bodo Ramelow, Fraktionsvorsitzender DIE LINKE. im Thüringer Landtag.
DER VERMEINTLICHE NACHTEIL -EIN UNSCHÄTZBARER VORTEIL!
Thüringen hat riesige, bislang ungenutzte Reserven bei erneuerbaren Energien.
DER ENERGIEWANDEL IST NOTWENDIG UND FOLGERICHTIG!
Warum wir einen Neuanfang brauchen.
VON EINER ENERGIEPOLITISCHEN WENDE PROFITIERTEN ALLE!
Sie ist für die Natur und den Menschen von unschätzbarem Vorteil.
DIE AUSGANGSDATEN FÜR THÜRINGEN SIND AUSSERORDENTLICH GÜNSTIG!
Die energiepolitische Wende könnte für Thüringen eine Wertschöpfung von bis zu 2.500 € pro BürgerIn
und Jahr bedeuten.
KONSEQUENT ZUM ZIEL – ERNEUERBAR, SOZIAL, ÖKOLOGISCH!
LINKER Maßnahmeplan für Energieerzeugung, -einsparung, -verteilung.
FAZIT
1. ENERGIE IST LEBEN!
Vorwort von Bodo Ramelow, Fraktionsvorsitzender DIE LINKE. im Thüringer
Landtag.
Energie bestimmt unser ganzes Leben. Ohne Energie können wir kein Essen zubereiten,
keine Wäsche waschen, fernsehen, Kleidung tragen, Häuser bauen, mit dem Handy
telefonieren.
Wir sind auf Energie angewiesen. Umso wichtiger ist es, über die energetische Zukunft
Thüringens zu streiten. Das vorliegende Konzept ist ein Diskussionsangebot der LINKEN an
alle, die sich dafür interessieren, wie die Energiegewinnung in Thüringen bis zum Jahr 2040
zu 100% auf erneuerbare Energien umgestellt werden kann.
Aus unserer Sicht besteht jetzt die Chance, eine tatsächliche Energierevolution, über einem
bloßen Grünen Kapitalismus hinaus, zu schaffen. Energie und Energiesystemwandel sind in
aller Munde. Klimakatastrophen, Klimawandel, atomare Katastrophen und die
hemmungslose Zerstörung von Natur und Umwelt erfordern einen schnellen Wechsel
unserer Energiequellen. Die Folgen eines hemmungslosen Raubbaus an Natur und
Menschheit und eines am bloßen Gewinn orientierten Systems werden immer deutlicher.
Klar ist: so kann es nicht weitergehen. Die Treibhausgasemissionen der Industrieländer
müssen um 80 bis 95 % reduziert werden, um zu verhindern, dass nach nicht einmal
zweihundert Jahren Industrialisierung die weltweite Temperatur um mehr als 2 °Celsius
ansteigt. In Deutschland ist für fast 40 % der Treibhausgasemissionen die Stromerzeugung
verantwortlich. Die Katastrophe in Fukushima, die Störfälle in deutschen und aktiven
Atommeilern weltweit, die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko oder die Umnutzung großer
Landflächen für Biosprit statt für Nahrungsmittel zeigen, dass es ein globales Denken der
energetischen Frage geben muss.
Energie ist Daseinsfürsorge, die für uns -wie Wasser, Gesundheit und Bildung ausschließlich
als Teil öffentlicher Verantwortung zu begreifen ist. Mit energetischen Fragen
entscheiden sich soziale, wirtschaftliche, kulturelle und ökologische Fragen. Die Frage nach
einem Energiesystemwechsel muss mit der Frage nach einer Veränderung des
Wirtschaftssystems hin zu einer sozial gerechteren Gesellschaft einhergehen. Ein Weiterso
im Schneller-Höher-Weiter-Stakkato wird unsere energetischen, ökologischen und sozialen
Fragen nicht beantworten. Jeder und jede muss über seine Stimme und demokratischen Teilhabemöglichkeiten über zu nutzende Energieformen entscheiden können, nicht nur als Konsument. Der Energiesektor ist derzeit einer der einflussreichsten, profitabelsten und
rücksichtlosesten Teile der Weltwirtschaft. Demokratie-und Menschenrechtsfragen stehen
dahinter zurück und sind nur ein Feigenblatt, wenn es um die Aneignung von
Energieressourcen geht.
Fossile und atomare Energien haben ausgedient. Die negativen ökologischen – und damit
letztlich auch ökonomischen – Folgen sind zu einschneidend, als dass dies noch länger
ignoriert werden könnte. Die Erschöpfbarkeit fossiler Energien wird oft als Argument
angeführt, um sich mit der Zukunft von Energie zu beschäftigen. Jenseits ihrer Endlichkeit
zwingen uns aber ihr Anteil an Umwelt-und Naturzerstörung und Gefahr für die Menschheit
zum Umdenken. Hinzu kommt die Abhängigkeit vieler Staaten von wenigen
Energieproduzenten auf der Erde. Die Verknappung von Öl, Gas, Uran regt die großen
Energiekonzerne zu immer riskanteren Förderpraktiken ohne Rücksicht auf Mensch und
Natur an. In Deutschland haben vier Energiekonzerne den Markt fest im Griff und verhindern
seit vielen Jahren eine Abkehr von Atomenergie. Zu schnell lässt sich damit Profit erzielen.
Es sind die Energiekonzerne, die seinerzeit mit der Kanzlerin über die Laufzeitverlängerung
der Atomkraftwerke verhandelt haben. Die Menschen in diesem Land, von denen sich viele
in sozialen sowie Umwelt-und Protestbewegungen, in Öko-und Klimaverbänden organisiert
haben, wollten diese Laufzeitverlängerung nicht.
Die Vorteile erneuerbarer Energiequellen sind überwältigend. Sie sind nahezu unerschöpflich
und mit ihnen besteht die Chance, klimaneutral Energie zu erzeugen. Sonne, Wind, Wasser
und Biomasse sind naturgemäß überall auf der Welt vorhanden. Allein das ist ein
unschätzbarer Vorteil gegenüber großen, weit entfernten Kraftwerken. Energie wird immer
vor Ort verbraucht, Energie auch vor Ort zu erzeugen, verkürzt die Transportwege erheblich
und verringert globale Abhängigkeiten. Milliardenschwere Transportaufwendungen für
Rohstoffe und fossile Energien können mit erneuerbaren Energien vor Ort deutlich reduziert
werden. Regional erzeugte und genutzte Energie führt zu Energieautonomie gegenüber
Ölstaaten, multinationalen Konzernen und nationalen Energiekonzernen, die sowohl die
Energieerzeugung als auch die Kosten diktieren. Diese Autonomie kann eine Basis sein, auf
der wirtschaftliche, soziale und demokratische Unterschiede weltweit aufgehoben werden
können.
Es reicht jedoch nicht, die Energiewende in den bestehenden Strukturen anzustreben. Die
Folge davon ist Grüner Kapitalismus. Dieser hebt jedoch soziale Ungerechtigkeiten,
Eigentumsverhältnisse, Wachstums-und Gewinnstreben nicht auf. Er verdrängt soziale,
wirtschaftliche und demokratische Fragen und führt unter Umständen dazu, dass eine neue
Form der Armut entsteht: die Energiearmut. Mit einem sozial blinden ökologischen
Umsteuern wird lediglich erreicht, dass Energie von zahlreichen Menschen nicht mehr zu
bezahlen sein wird. Das führt zu Haushaltsverschuldungen, kalten Wohnungen im Winter, zu
eingeschränkter Mobilität und erzwungenem Konsumverzicht. Wer keine Anbindung an
Busse und Bahnen hat und dazu noch auf ein Auto verzichten muss, weil es unerschwinglich
teuer ist, wer krank wird, weil die Heizungsrechnung nicht beglichen werden kann, wer sich
aufgrund explodierender Energiepreise keine Erholung mehr gönnen oder keinen Wunsch
mehr erfüllen kann, wird der Verlierer einer solchen Energiewende sein.
Eine wirkliche Energierevolution heißt aber, die Eigentumsverhältnisse im Energiesektor so
zu verändern, dass die Verantwortung in die Öffentliche Hand übergeht und demokratische
Kontrolle möglich ist. Damit kann Energie in globalem Maßstab für alle nutzbar gemacht und
bezahlbar gehalten werden. Linke Politik muss auf erneuerbare Energien setzen, weil sie
dem Wohle aller verpflichtet ist. Die LINKE kämpft für das Ende von Gesundheitsschäden,
Umweltschäden und Ausbeutung einer ausschließlich profitorientierten Energiewirtschaft.
Sie setzt sich aber auch für ein bezahlbares, nachhaltiges und Energiearmut vermeidendes
ökologisches Umsteuern ein, welches neue soziale Risse und Herrschaftsverhältnisse
verhindert.
Thüringen selbst hat viele Möglichkeiten, bis zum Jahr 2040 zu hundert Prozent erneuerbare
Energien zu nutzen. Es geht um nicht weniger als um den Aufbruch in ein neues
Produktionszeitalter, weg von der großtechnischen hin zur kleinteiligen Energieerzeugung
und -verteilung. Die Industrie der Zukunft hat ein ganz neues Gesicht, sie wird nicht mehr von einem extensiven Ressourcenverbrauch, sondern von intelligenten Lösungen und
nachhaltigen Technologien auf der Basis erneuerbarer Energien bestimmt. Jedes Haus
muss als Kraftwerk gedacht werden. Strom, Wärme und Gas müssen im Zusammenhang
gesehen und auch so organisiert sein. Selbstversorgung ist daher keine Utopie mehr,
sondern kommende Realität. Mit tausenden neuen Arbeitsplätzen, liegt hier ein Jobmotor
riesigen Ausmaßes. Es geht um die Verbindung von ökologischer, demokratischer und
sozialer Frage.
Was wir brauchen, ist Mut zur Zukunft! (*1) (Anmerkung 1 Viele Gedanken sind nicht nur durch uns in die Diskussion gebracht worden, sondern basieren auf schon bekannten Positionen von linken Vordenkern, wie
z.B. dem kürzlich verstorbenen Politiker Hermann Scheer. Gleich einem Gedenken verweisen wir auf den nachlesenswerten Artikel Scheer, Hermann: „Energie System Wechsel.“ in: „Luxemburg. Gesellschaftsanalyse und linke Praxis.“ Berlin 1/2011: S. 130 bis 135)
Bodo Ramelow
DER VERMEINTLICHE NACHTEIL -EIN UNSCHÄTZBARER VORTEIL!
Thüringen hat riesige, bislang ungenutzte Reserven bei erneuerbaren Energien.
Thüringen unterscheidet sich von allen anderen Bundesländern vor allem dadurch, dass es
zu den Ländern mit dem höchsten Stromimport in Deutschland zählt. Es gibt im Land –
glücklicherweise – kein Atomkraftwerk, kein Kohlekraftwerk. Dieser vermeintliche Nachteil,
das Land importiert Strom, ist ein Vorteil! Denn Thüringen hat riesige, bislang ungenutzte
Reserven bei erneuerbaren Energien.
Das Grüne Herz Deutschlands ist daher geradezu prädestiniert, ein Musterland dezentraler
Energieerzeugung und -verteilung aus einem Mix regenerativer Energien zu werden. Sonne,
Wind, Biomasse, Geothermie -für alles gibt es gute bis sehr gute Voraussetzungen. Zudem
existieren ideale Möglichkeiten der Nutzung von Altem und Neuen, z.B. die künstlich
geschaffenen Wasseradern der ehemaligen Hammerwerke oder Mühlen für Wasserkraft
oder stillgelegte Talsperren für die Nutzung als Pumpspeicherwerke. Ebenso gibt es in
Thüringen ein hohes Potential im Forschungsbereich.
An hiesigen Hochschul-und Forschungseinrichtungen wird an verschiedenen, energetisch
hoch spannenden Lösungen, wie z.B. Speichermedien oder Strommanagementsystemen,
gearbeitet. Und mit „solarvalley“ Erfurt, einem Verbund der Solartechnologie, existiert eine
der wichtigsten technologischen Vereinigungen Deutschlands.
Große, brach liegende Potentiale gibt es auch bei der Abwärme. Experten gehen davon aus,
dass jede für den Antrieb von Kühlgeräten benötigte kWh Strom bis zu zwei kWh Abwärme
nach sich zieht. Diese Abwärme ist nicht immer ein unvermeidbarer Wärmeverlust, sondern
stellt häufig nutzbare Energie dar, die Kosten senkend eingesetzt werden kann.
Angesichts dieser enormen Voraussetzungen ist es unser Ziel, in Thüringen spätestens bis
zum Jahre 2040 eine 100-Prozent-Vollversorgung mit Strom aus hier in der Region
erzeugten erneuerbaren Energien zu schaffen, die Netze vollständig zu rekommunalisieren
bzw. umzustrukturieren und das Land zugleich zum Forschungslabor für Deutschland zu
machen.
Und nicht zuletzt sind damit aber eine Stärkung des Industriestandortes Thüringen und die
Schaffung tausender Arbeitsplätze verbunden. In diesem Zusammenhang muss es auch um
nachhaltige Lösungen im Sinne einer Gesamtenergiebilanz gehen. Was nützen die neuesten
Solarmodule, wenn sie unter fragwürdigen Bedingungen gefertigt und erst über die
Weltmeere transportiert werden müssen. Der Weg lautet: dezentrale, regionale und
regenerative Energieerzeugung, -verteilung und -nutzung. Grundsätzlich geht es dabei um
die Gestaltung der Energieproblematik als ein Element der Daseinsvorsorge. Sie muss den
privaten Konzernen entzogen und in öffentliche oder genossenschaftliche Hand überführt
werden. Das ist nicht nur Teil einer Eigentums-, sondern eine generellen Demokratiefrage
und somit Bestandteil einer gesellschaftlich notwendigen Konsequenz, eben einer
Energierevolution statt eines Grünem Kapitalismus.
Diese Energiewende schont die Umwelt, erhöht die Lebensqualität der Menschen und macht
langfristig die Strompreise bezahlbar.
DER ENERGIEWANDEL IST NOTWENDIG UND FOLGERICHTIG!
Warum wir einen Neuanfang brauchen.
Zum Verständnis des grundlegenden Wechsels im Energiesektor ist auch ein Blick zurück in
die Historie hilfreich. Er veranschaulicht, warum wir einen Neuanfang brauchen. In der Mitte
des 19. Jahrhunderts, nachdem die wissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten bekannt
geworden sind, setzte eine breite Anwendung der Elektrizität ein. Die Energieversorgung
wurde in Strukturen organisiert, die heute längst überholt sind. An denjenigen Standorten, wo
Energieträger wie z.B. Kohle (später auch Atomenergie) zur Verfügung standen, wurde die
Energieerzeugung vorgenommen. Um die dort erzeugte Energie zu den Standorten zu
transportieren, wo sie ge-und verbraucht wurde und wird (Ballungszentren,
Gewerbegebiete), baute man das heutige, mittlerweile 1.780.000 Kilometer lange Stromnetz.
Knapp 1,8 Mio. Kilometer bedeuten viereinhalbmal die Strecke von der Erde zum Mond.
Mit dieser historisch gewachsenen Struktur ist allerdings auch ein weiteres generelles
Problem verbunden: fossile Energieträger reduzieren sich wegen ihrer endlichen Reserven
auf immer weniger Länder der Welt und sind zudem überwiegend fest in der Hand einer
überschaubaren Zahl von Großkonzernen, die in fast schon diktatorischer Art Markt und
Preise beherrschen.
Bis heute werden trotz besser erschlossener Energieträger in diesem, dem 19. Jahrhundert
entstammenden, Denken die Stromverteilung geplant und Leitungen von Nord nach Süd, Ost
nach West gebaut.
Im Wesentlichen trifft das auch für die übrigen Leitungssysteme zu, die oft parallel
zueinander ohne Zusammenhang existieren.
Aber heute ist ein neues Denken notwendig. Der Klimawandel, die Ressourcenknappheit
und nicht zuletzt unsere Verantwortung für die Zukunft machen einen radikalen Wechsel
unabdingbar.
Zudem sind in der heutigen Zeit in mehrfacher Hinsicht mit den erneuerbaren Energien
komplett neue Möglichkeiten entstanden. Die Natur bietet ihr Potential überall, in
unterschiedlicher Intensität und regional auf Dauer verfügbar an. Wichtig ist in Zukunft die
Verknüpfung von Energieerzeugung und Energieverbrauch! Regional lässt sich vor allem im
ländlichen Raum der Energiebedarf aus erneuerbaren Energien decken. Energieintensive
Wirtschaftsbereiche sollen zukünftig dort angesiedelt werden, wo preiswerte erneuerbare
Energie wie Windkraft ausreichend zur Verfügung steht. Dadurch lässt sich das
Stromleitungssystem deutlich entlasten.
Natürlich bedarf es eines gewissen Übergangsszenarios, aber neben den neuen
Möglichkeiten der Energieerzeugung existieren zahlreiche technische Neuerungen bei den
Leitungssystemen (z.B. so genannte smart grid).
Und auch die Entwicklung der Speichermöglichkeiten macht in rasantem Maße Fortschritte.
Zudem eröffnen sich auf dem Gebiet der Energieeffizienz neue Chancen, so bei der Nutzung
der bisher oft unberücksichtigten „Nebenprodukte“ wie z.B. Abwärme. Unsere Aufgabe ist
lediglich, diese Chancen endlich zu nutzen.
Außerdem: Wie in der Bundesrepublik Energie erzeugt, verteilt und bezahlt wird, ist auch
eine Frage von Demokratie und Teilhabe. Jahrzehntelang konnte das Wirtschaftsdiktat der
Stromkonzerne die Weichenstellungen in der Energiepolitik unmittelbar bestimmen. Gegen
den Mehrheitswillen der Bevölkerung, gegen Einwände aus der Wissenschaft und unter
bewusster Geheimhaltung von Störfällen in bundesdeutschen AKWs setzte die Politik die
Profitinteressen der Energiemonopole durch. Einher ging diese Atompolitik mit
Demokratieabbau und Repression. Beim Bau von atomaren Anlagen wurden gezielt
Beteiligungsrechte von AnrainerInnen außer Kraft gesetzt. Eine Entwicklung, die sich bis
heute bei energiepolitischen Großprojekten verfolgen lässt. Neben Geheimhaltung setzte
eine Diffamierung und Verfolgung von GegnerInnen der Atompolitik ein. Kritische
WissenschaftlerInnen wurden diskreditiert, in den Zentren des Widerstands, wie im
Wendland, wurden demokratiefreie Zonen errichtet. Die Lobbykratie der Stromkonzerte hat der Demokratie einen schweren Schaden zugeführt. Transparente, sichere, kontrollierbare,
regionale und demokratische Formen der Energiegewinnung und -verteilung können nur
dann realisiert werden, wenn die Macht des Kartells gebrochen wird und eine Umkehr in der
Energiepolitik mit echter Bürgerbeteiligung verbunden wird. Kommunalisierung und
Regionalisierung müssen daher immer an Verfahren der direkten Beteiligung der
Bürgerinnen und Bürger gekoppelt werden.
Die jahrzehntelange Protestbewegung gegen die Atomlobby und gegen AKWs ist auch ein
Ausgangspunkt von breitem und fachlich fundiertem Bürgerengagement in politischen
Sachfragen über alle Bevölkerungsschichten hinweg. Sie hat die politische Diskussion um
mehr direkte Beteiligung von EinwohnerInnen/BürgerInnen an Sachentscheidungen, bis hin
zur Einführung direkt demokratischer Mitbestimmungsinstrumente, stark befördert. Der
Protest gegen „Stuttgart 21“ hat seine Vorläufer auch im Protest gegen die Errichtung und
den Betrieb von AKWs, Endlagern, die Durchführung von Castortransporten. Moderne und
zukunftsfähige Energiepolitik geht nur mit den (betroffenen) Menschen, nicht über deren
Köpfe hinweg. Deshalb müssen neben den Instrumenten der direkten Demokratie (z.B. bei
Abschluss von Konzessionsverträgen) auch die Beteiligungs-und Mitbestimmungsrechte im
Planungsrecht (z.B. bei Entscheidung über Errichtung von Versorgungsleitungen und
Kraftwerken) umfassend ausgebaut werden. In den Unternehmen, die im Bereich
Energieerzeugung und -versorgung tätig sind, müssen Bürger-bzw. Verbraucherbeiräte
eingerichtet werden, die wirksame Informations-und Kontrollrechte haben.
VON EINER ENERGIEPOLITISCHEN WENDE PROFITIERTEN ALLE!
Sie ist für die Natur und den Menschen von unschätzbarem Vorteil.
Eine energiepolitische Wende produziert zahlreiche GewinnerInnen. An erster Stelle ist sie
für die Natur und den Menschen von unschätzbarem Vorteil. Nachhaltig konzipiert würde der
schonungslosen Ausbeutung unserer Umwelt nicht nur Einhalt geboten.
Von einer sauberen Umwelt und enorm reduzierten Krankheitsrisiken profitieren die
Menschen ebenso sehr wie von der Vermeidung technischer Katastrophen in
Atomkraftwerken oder anderen großen Kraftwerken. Gleichzeitig können auf diesem Weg
aber auch bezahlbare Energie für alle sichergestellt und Energiearmut verhindert werden.
Entscheidend ist, dass die Energiewende nicht von den sozial Schwachen finanziert werden
muss, dass sie über Förderinstrumente unterstützt werden und ihnen die Möglichkeit
eingeräumt wird, z.B. durch den Kauf von umweltfreundlichen, energiesparenden,
strahlungsarmen Elektrogeräten, ihren Energieverbrauch zu reduzieren und ein gestärktes
Umweltbewusstsein entwickeln zu können.
Eine regionale Energieerzeugung, -verteilung und -nutzung wäre auch ein sinnvoller Beitrag
für den Eine-Welt-Gedanken. Der Raubbau an den Ressourcen in Entwicklungsländern
könnte damit beendet werden. Die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen in armen
Ländern, die Gewinnabschöpfung durch multinationale Konzerne oder Ölscheiche auf
Kosten der einheimischen Bevölkerung, der Raubbau an natürlichen Ressourcen und
Umwelt führt in zahlreichen Ländern der Welt zu enormer sozialer Spaltung und bitterer
Armut. In dem Moment, in dem die reichen, energiehungrigen Gesellschaften der Erde nicht
mehr auf diese Energiequellen angewiesen sind, wird die Naturzerstörung eingedämmt und
die Menschen in den armen Ländern der Welt haben die Möglichkeit, diese selbst zu nutzen.
Zugleich bietet der Energiesektor auch ein enormes Arbeitskräftepotential, welches es nur zu
wecken gilt. Erfreuliche „Nebenwirkung“: Beschäftigungseffekte ziehen Nachfrage-und
Wertschöpfungseffekte nach sich, wovon vor allem die regionale Wirtschaft profitieren
würde. Gerade letztere wäre einer der maßgeblichen Gewinner einer Energiewende.
Alle Wirtschaftssektoren und Unternehmen erhalten eine neue Effizienz-und
Wachstumschance. Allerdings werden immer noch vielfach die Chancen für diese
Entwicklung verkannt und auch das Tempo, ab wann alle Sparten davon profitieren könnten.
Im Verkehrsbereich muss der Schienenverkehr auf Regenerativstrombasis in Zukunft die
Grundlage bilden. Verknüpft mit Straßenbahnen, Bussen und mietbaren Elektrofahrzeugen
vor den Bahnhöfen lässt sich die Mobilität jedes Einzelnen nachhaltig sichern. Hier werden
wir Brücken bauen, um ein übergreifendes Denken zu befördern und durchzusetzen.
Insbesondere die Automobilindustrie muss sich vom fossilen Kraftstoffbedarf emanzipieren:
durch emissionsarme-bzw. -freie Fahrzeuge, die mit erneuerbaren Energien – vor allem
Strom – angetrieben werden. Sie muss den Schritt in die Großserienproduktion für solche
Automobile schnellstmöglich einleiten. Damit unterstützt sie gleichzeitig die Gesellschaft bei
der Einleitung des Energiewechsels. Gerade die Automobilindustrie verfügt über gute
Voraussetzungen, sich zum Produzenten für stationäre Motorkraftwerke zu entwickeln, ob es
sich um Blockheizkraftwerke, mit Brennstoffzellen betriebene oder sonstige Motoren handelt.
Auch ihre Erfahrungen in der Motorenentwicklung und der Vermarktung, Wartung und Pflege
dezentraler Anlagen über ein weit gespanntes Händler-und Werkstattnetz könnten für den
Durchbruch der erneuerbaren Energien sorgen.
Neue Möglichkeiten ergäben sich auch in den übrigen Verkehrssegmenten.
Eisenbahngesellschaften und Schienenfahrzeugindustrie könnten für Entwicklung und den
Einsatz von mit Brennstoffzellen betriebenen Triebwagen sorgen. Mit an Bord erzeugtem
Strom angetriebene Lokomotiven könnten das Stromoberleitungsnetz konzentrierter
einsetzbar und langfristig vielleicht sogar überflüssig machen. Das brächte erhebliche
Einsparungen bei den Systemkosten im Bahnbetrieb und erhöhte die Zuverlässigkeit.
Die Elektro-und Informationstechnologiebranche ist prädestiniert, neue, hoch effiziente
Stromspeichertechniken zu entwickeln. Der Markt für Erneuerbare-Energie-Anlagen wächst
umso schneller, je intelligenter und kostengünstiger die Speichertechniken werden. In
Thüringen können durch die Nutzung nicht mehr benötigter Talsperren neue
Pumpspeicherkraftwerke als effiziente Speicher geschaffen werden. Die Leistung alter
Pumpspeicherkraftwerke lässt sich optimieren. Überkapazitäten aus Wind-und Solarstrom
können zur Erzeugung von regenerativem Wasserstoff genutzt werden. Dabei ist die
Speicherfähigkeit von Wasserstoff im Erdgasnetz zu gewährleisten.
Die Landwirtschaft kann zum Rohstoffproduzenten werden. Im Anbau von Rohstoffpflanzen
liegt auch die Chance zu einer kompletten Ökologisierung der chemischen Industrie für einen
grundlegenden „Stoffwechsel“. Pflanzen könnten dann als vielfältige künftige Grundstoffbasis
das Erdöl ersetzen. Damit kann die Marginalisierung der Landwirtschaft und der ländlichen
Räume seit der industriellen Revolution dauerhaft beendet werden. In diesem
Zusammenhang eröffnet sich auch der Nahrungsmittelindustrie ein weiteres Geschäftsfeld
und die Chance zur Produktivitätssteigerung, wenn sie systematisch dazu übergeht, ihre
biologischen Reststoffe energetisch zu verwerten – zur Eigenerzeugung von Strom oder zur
Erzeugung und Vermarktung von Biokraftstoffen. Entscheidend ist jedoch, dass
Biokraftstoffe weder regional, national noch weltweit auf Kosten der Nahrungsmittel
produziert werden. Mit dem Energiehunger der ersten Welt sowie der Schwellenländer darf
der weltweite Hunger nicht verschärft werden.
Die Bauwirtschaft, einschließlich der Baustoffindustrie und des Bauhandwerks, wird neben
der Landwirtschaft den größten Aufschwung erleben, wenn sie die Chancen des Bauens auf
der Basis erneuerbarer Energien für sich nutzt. Zahlreiche neue Baumaterialien und
Bauweisen – von wärmedämmendem und zugleich stromproduzierendem Glas,
energiesparenden Holzkonstruktionen bis zu intelligenten architektonischen Lösungen –
könnten dabei zum Einsatz kommen.
Für Hochschulen und Forschungseinrichtungen entstehen komplett neue Forschungsfelder.
Neue Berufe und nachhaltige Arbeitsplätze bieten Zukunftschancen für Thüringen.
Die kommunale und regionale Energiewirtschaft erhält dauerhafte Zukunftsperspektiven,
indem sie die Stromproduktion wieder in eigene Hände nimmt und als Partner der regionalen
Landwirtschaft die Produktion und Vermarktung von Biokraftstoffen als neues Arbeitsfeld
erschließt. Gleiches gilt für die energetische Verwertung organischer Abfälle in Städten und
Gemeinden.
Auch Energiekonzerne könnten sich auf eine dezentrale Energieversorgung einstellen,
indem sie sich zu einer Holding selbständig operierender Unternehmen auf kommunaler und
regionaler Ebene umwandeln, um damit plötzliche Einbrüche zu vermeiden und einen
geordneten Rückzug zu ermöglichen.
Unterm Strich: die Energiewende lohnt sich!
DIE AUSGANGSDATEN FÜR THÜRINGEN SIND AUSSERORDENTLICH GÜNSTIG!
Die energiepolitische Wende könnte für Thüringen eine Wertschöpfung von bis
zu 2.500 Euro pro BürgerIn und Jahr bedeuten.
Die Bundesrepublik Deutschland verbrauchte im Jahre 2009 Elektroenergie in Höhe von 580
Milliarden kWh. (*2) (Anmerkung 2 Quelle www.wikipedia.org/wiki/strombedarf)
Unter Beachtung von Wirtschaftswachstum, unter Beachtung der Ablösung fossiler
Energieträger sowie der Atomenergie, die zu einem zusätzlichen Energiebedarf führen, unter
Beachtung notwendiger Sparmaßnahmen und unter Beachtung der rückläufigen
Bevölkerung wird der Elektroenergiebedarf mittelfristig seinen mengenmäßigen Zenit bei
etwa 1,1 Billionen kWh erreichen.
Bemerkenswert ist, dass diese Energiemenge vor allem in Form von Elektroenergie erzeugt
werden wird. Der Freistaat Thüringen verbrauchte ebenfalls im Jahre 2009 acht Milliarden
kWh Strom (*3) (Anmerkung 3 vergleiche auch für die folgenden Ausführungen „Energiebericht 2010 –
Hrsg.
Thüringer Wirtschaftsministerium“ Erfurt 2010). Der durchschnittliche Wärmeverbrauch in Thüringen
pro Haushalt betrug 135 kWh pro qm pro Jahr. Gemessen an Deutschland wird der
Eigenbedarf auf etwa 16 Milliarden kWh steigen, werden besondere Härten eines möglichen
drastischen Bevölkerungsrückgangs als Risiko nicht beachtet.
Die Möglichkeiten der Erzeugung erneuerbarer Energien hängen direkt mit vorhandenen
Flächen zusammen. Das bedeutet: wenn Deutschland etwa 1,1 Billionen kWh Strom
produziert, muss auf Thüringen ein Anteil von 53 Milliarden kWh entfallen. Selbst wenn wir
den Flächenvergleich nicht bemühen, wäre es sinnvoll, diese Größe anzustreben, weil
Ballungszentren mittelfristig gewisse Probleme haben werden, ihren Energieanteil zu
erzeugen.
Damit ergibt sich für Thüringen die Chance und Herausforderung, Energieexportland zu
werden. (*4) (Anmerkung 4 Quelle dazu vgl. u.a. www.zw-jena.de/energie/energiebilanz.html.
www.energieundbau.de/altbausanierung/wissen/Der-Gebaeudebestand-in-Deutschland)
Es besteht die große Chance, Wertschöpfung in von bis zu 2.500 Euro pro BürgerIn und
Jahr zu generieren. (*5) (Anmerkung 5 Quelle Scheer, Hermann Scheer: „Die solare Weltwirtschaft“
München 2002, S. 35) Wenn wir nämlich bedenken, dass ein Bundesbürger im Jahr so viel
Energie verbraucht, Tendenz steigend, dann weiß man, dass ein Ort von 2.000 Einwohnern
jedes Jahr fünf Millionen Euro Wertschöpfung erwirtschaften kann.
Dieser erfreuliche Umstand löst nicht jedes Problem in den Dörfern und Städten zumal diese
Einnahmen im Idealfall sich auf die Kommune und alle Familien verteilen. Dennoch sind fünf
Millionen Euro jährlich eine kontinuierliche Summe, die wieder ausgegeben werden kann und
damit die Region belebt. Ja, es wäre auch die Chance, ganz neue Wirtschaftskreisläufe zu
etablieren, dies kann wiederum die Wertschöpfung in der Region befördern.
Mit neuen Technologien auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien ließen sich der
Energiebedarf decken und zugleich regionale Wertschöpfung betreiben.
Ein an Land betriebener Windgenerator liefert – nach heutigem Stand der Technik – 1.200
bis 1.500 Familien den Strom (3.000 kWh pro Familie als bundesdeutschen Durchschnitt
angenommen), und die Effizienzentwicklung geht noch weiter.
Gegenwärtig werden an Land die ersten Windgeneratoren mit einer Leistung von 15 bis 16
Millionen kWh aufgestellt. Eine Machbarkeitsstudie zeigt, dass noch vor 2020 Generatoren
mit einer Leistung von ca. 60 Millionen kWh pro Jahr möglich sind. Ein Solarpark,
ausgestattet mit Dünnschichtmodulen und einer Fläche von vier bis fünf Hektar liefert
momentan zwar „nur“ ca. 1,5 Millionen kWh. Doch auch hier ist die Entwicklung rasant.
Es ist weiterhin klar abzusehen, dass Biomasse und damit die Landwirtschaft enorm an
Bedeutung gewinnen werden. Mindestens drei wichtige volkswirtschaftliche Aufgaben
müssen über die Biomasse realisiert werden. Eine wichtige Eigenschaft von Biomasse ist
vor allem die Speicherfähigkeit. Experten schätzen, dass Bioenergie mindestens zehn
Prozent des Energieaufkommens Thüringens decken kann. Der Spielraum ließe sich
vermutlich durch moderne Technologien und neue Pflanzenzüchtungen noch steigern.
Dabei sind natürlich die umweltgerechte Produktion zu gewährleisten und die Biodiversität
als Notwendigkeit zu beachten.
Der Freistaat hat noch brach liegendes Potential bei der Wasserkraft: Instand zu setzende
alte Talsperren wären eine Möglichkeit. Die Wasserkraftnutzung an vorhandenen und auch zukünftig notwendigen Wehren lässt sich mit neuen, für die Gewässerökologie verträglichen Technologien vorantreiben. Zurzeit sind besonders die Wasserwirbelkraftwerke, auch Gravitationswasserwirbelkraftwerke genannt, gefragt, welche zur Erzeugung von Energie aus Wasserkraft bei kleinen Höhendifferenzen geeignet sind. Natürlich muss dabei die ökologische Durchlässigkeit von Gewässern Priorität haben.
Zusätzliche Möglichkeiten bieten sich auch bei der Geothermie, vom Grundsatz her mit
einem unbeschränkten Energiespeicher. Für die Zukunft besteht dort große Hoffnung, dass
nach entsprechenden Untersuchungen Grundlast an Strom sowie Fernwärme generiert
werden kann. Die Risikoabschätzung ist dabei mit äußerster Sorgfalt zu betreiben.
Und genau hier liegen ideale Ausgangsbedingungen, um eine Rekommunalisierung der
Stromnetze, d.h. eine Überführung in die öffentliche Hand, zu realisieren. Würden sich also
die Thüringer Kommunen bemühen, den bislang gehaltenen Unternehmensanteil von 47
Prozent um mindestens vier Prozent – nämlich die Unternehmensmehrheit – zu erhöhen,
wäre viel gewonnen. Da es sich bei einer solchen Summe nicht nur um eine so genannte
rentierliche Investition handeln würde, sondern deren Amortisierung sich auch relativ gut
prognostizieren ließe, ist ein solcher Schritt unbedingt vorzunehmen.
KONSEQUENT ZUM ZIEL – ERNEUERBAR, SOZIAL, ÖKOLOGISCH!
LINKER Maßnahmeplan für Energieerzeugung, -einsparung, -verteilung.
Es muss uns also nicht bange sein, das Energie-Aufkommen könnte nicht reichen. Es ist
wissenschaftlich bewiesen, dass die genannten Aufgaben alle machbar sind mit einem wohl
durchdachten Energiemix. Intelligent – und über das rein buchhalterische Denken der
Konzerne hinaus – gedacht, eröffnen sich zahlreiche Möglichkeiten.
Windenergie: Durch eine Novellierung des Landesentwicklungsplans und eine
Neukonzipierung der Regionalpläne werden wir die bisherige Verhinderung von Anlagen in
diesem Sektor erneuerbarer Energien beenden. Insbesondere werden wir das „Repowering“
(Leistungsverstärkung) bestehender Windkraftanlagen erleichtern. Dabei müssen die
rasanten technischen Neuerungen im Windanlagenbau kontinuierlich berücksichtigt werden.
Die Regionalpläne sollen künftig lediglich besonders geeignete Flächen entlang der
überörtlichen Verkehrswege für Windenergie der höchsten Leistungsklasse festlegen sowie
darüber hinaus geeignete Standorte ausweisen für Stromspeichertechniken – z. B. für
wasserstoffgeeignete Erdgaslager, als Druckluftspeicher geeignete Bergwerke. Wir werden
es dem Verantwortungsbereich der Gemeinden überlassen, im Rahmen ihrer
Flächennutzungsplanung frei über Vorrangflächen für kleinere Windparks (bis zu vier
Anlagen) zu entscheiden. Dies stärkt die kommunale Selbstverwaltung.
Solarenergie: Verstärkt wird an allen geeigneten Flächen die Solarenergie zum Einsatz
kommen. Bislang ungenutzte Bereiche werden – wenn geeignet – in die Planungen
einbezogen, so z.B. Straßen-u. Bahnböschungen, Parkflächen, Brücken, Altlastenflächen,
Halden und Deponien. Dazu wird ein flächendeckendes Solarkataster erstellt, welches alle
Möglichkeiten sondiert. Wir wollen für alle geeigneten Neubauten und Siedlungen einen
Mindeststandard zur Nutzung der Solarenergie einführen. In diesem Zusammenhang muss
auch das Thüringer Denkmalschutzgesetz angepasst werden, um eine anspruchsvolle
Integration der Solartechnik in denkmalgeschützten Gebäuden zu ermöglichen. Wir werden
den generellen Ausschluss der Solarenergie in bestimmten Ortsteilen (Thüringer
Bauordnung) unterbinden.
Bioenergie: Eine zentrale Rolle kommt auch der Förderung des Ausbaus der Bioenergie
unter gleichzeitiger Beachtung der Nachhaltigkeitskriterien sowie dem Einsatz der Biomasse
als Grundstoff zu. Die Landwirtschaft erfährt eine neue Bedeutung, indem in ihr
Nahrungsmittel-, Energie-und Rohstofferzeugung integriert werden. Somit werden zugleich
eine optimierte ökologische Ressourcennutzung und die kooperativen regionalen
Wertschöpfungsketten verbunden. In Zukunft wird die Zusammenarbeit von Stadtwerken und Landwirtschaft intensiviert, um die Einspeisung von Biogas in das Gasnetz und damit dessen
Einsatz in der Kraft-Wärme-Kopplung voranzutreiben. Damit wird auch das Stadt-Umland-
Verhältnis gestärkt. In Ergänzung dieser Maßnahmen soll die wissenschaftliche
Nutzpflanzenkunde Untersuchungen in Hinblick auf die energetische und stoffliche Nutzung
solcher Pflanzen, die ertragsstark und boden-und grundwasserschonend sind, vornehmen.
Möglicherweise wird dazu die Gründung einer öffentlichen Saatgut-Verwertungsbank
erforderlich. Auch die Thüringer Forstwirtschaft erlangt in diesem Zusammenhang erhöhte
Bedeutung. Insbesondere die Potentiale bei der Gewinnung von Energieholz sind
auszuschöpfen.
Wasserkraft: In Bezug auf die heimischen Wasserläufe werden wir einen
Bewirtschaftungsplan erarbeiten, um den ökologisch verträglichen Ausbau der
Kleinwasserkraft in Thüringen zu ermöglichen. Vor allem neue technologische Entwicklungen
auf diesem Gebiet sollen zum Einsatz kommen. In diesem Zusammenhang reaktivieren wir
alte und genehmigen gegebenenfalls neue Wasserrechte. Intensiv geprüft werden sollten
vorhandene Talsperren für die Wasserkraftnutzung (für die derzeit möglicherweise die
Stilllegung vorgesehen ist) bzw. auch die Errichtung von Pumpspeicherkraftwerken.
Technische Prüfungen in dieser Hinsicht sind auch für ehemalige Bergbauschächte
notwendig und sollten – wenn geeignet – einer wasserkrafttechnischen Nutzung zugeführt
werden. All diese Maßnahmen werden in Abstimmung mit den Thüringer Umweltverbänden
erfolgen und die zu entwickelnden Kriterien in das Wassergesetz übernommen.
Geothermie: Es werden zudem alle Möglichkeiten geprüft, Geothermie zum Einsatz zu
bringen. Sowohl Oberflächen-Geothermie als auch Tiefen-Geothermie bzw. die Eignung alter
Bergschächte und Salzstöcke sollten in die Prüfung einbezogen werden. Aber auch hier gilt
wie bei allen anderen Maßnahmen das Gebot der Nachhaltigkeit. So sollte ein Einsatz dieser
Technologien erst erfolgen, wenn eine intensive Technikfolgenabschätzung Chancen und
Risiken gegeneinander abgewogen hat.
Wärmenutzung: Wir müssen für eine optimierte Wärmenutzung für die Stromerzeugung die
Abfallwirtschaft besser integrieren. Wir werden flankierend dazu auch das Abfallrecht
grundsätzlich überprüfen, um bei der Entsorgung durch Neuinvestitionen die energetische
Verwertung organischer Abfälle zu ermöglichen. Parallel dazu muss die Kraft-Wärme-
Kopplung deutlich ausgebaut werden. Miniblockheizkraftwerke sowie neue Technologien zur
Stromerzeugung aus Niedertemperaturwärme bieten weitere Potentiale, die es zu nutzen
und mittels spezieller Förderprogramme zu unterstützen gilt. Fernwärme-und
Nahwärmenetze sowie vorhandene Gasleitungen müssen deutlich aufeinander abgestimmt
sein. Bei der Neuplanung von Anlagen muss z. B. im Rahmen der Standortwahl
sichergestellt werden, dass die Abwärme durch vorhandene Abnehmer möglichst
weitgehend verwendet werden kann.
KONSEQUENT ZUM ZIEL – EFFIZIENZ STEIGERN, SPAREN ERMÖGLICHEN
Maßnahmen zur Energieeffizienz und zum Energiesparen
Ein zweiter wichtiger und nicht zu unterschätzender Schwerpunkt der Energiewende ist die
Frage der Energieeffizienz. Es gilt zahlreiche Maßnahmen zu ergreifen, die den
Energieverbrauch senken. So hat eine Studie des Thüringer Landesrechnungshofes aus
dem Jahre 2010 ergeben, dass es auf den Gebieten Energieeffizienz und Klimaschutz bei
den Thüringer Kommunen erheblichen Nachholbedarf gibt. Auch der Energiebericht 2010
des Landes weist – trotz aller unbestrittenen Fortschritte – auf Reserven bei den
Landesliegenschaften hin. Ähnlich verhält es sich bei der Nutzung von Abwärme im
öffentlichen und privaten Raum. Die Umstellung der Energieerzeugung auf 100 Prozent
Vollversorgung aus erneuerbaren Energien kann jedoch nur dann erfolgreich gelingen, wenn
dazu auf dem Gebiet der Energieeffizienz zahlreiche Maßnahmen ergriffen werden. Seriöse
Berechnungen gehen von einem Einsparpotenzial von mehr als 20 Prozent aus.
Neue Baukultur: Wir brauchen ein neues Verständnis des Bauens. Sämtliche Möglichkeiten
des Einsatzes von erneuerbaren Energien sind in die baulichen Überlegungen
einzubeziehen. Dies bezieht sich sowohl auf die Anlagen zur Energieerzeugung als auch
deren Verwendung. Das heißt für die bereits bestehende Bausubstanz eine Überprüfung, an
welchen Stellen durch Einsatz von moderner Technik und Baustoffen deutliche Maßnahmen
zur Einsparung von Energie und CO2 erreicht werden können. Dabei muss realistisch
eingeschätzt werden, dass die bereits bestehende Bausubstanz nicht so umgebaut werden
kann, dass das Niveau eines Niedrigenergie-oder gar Passivhauses praktisch erreicht
werden kann. Allerdings können durch entsprechende Maßnahmen teilweise erhebliche
Einsparungseffekte erzielt werden. Damit die baulichen Veränderungen vorgenommen
werden können, müssen die Förderbestimmungen des Bundes und des Landes aufeinander
abgestimmt und insbesondere für die privaten Haushalte, die Laien auf diesem Gebiet sind,
bürgerfreundlich angeboten werden. Hierzu gehört auch, finanzielle Anreize zu schaffen, die
es den privaten Eigentümern von Wohngebäuden ermöglichen, die Gebäude entsprechend
umzurüsten. Das bestehende Wirrwarr und die chaotischen Zuständigkeiten sind aufzulösen.
Wir schlagen vor, dass es in jeder Gemeinde einen Beauftragten geben muss, der die
privaten Haushalte im gesamten Prozess berät und begleitet. Dies erfordert die enge
konzeptionelle Zusammenarbeit von EigentümerInnen, Gemeinden, ArchitektInnen und
Baufachleuten.
Contracting: Da oft die Finanzkraft der EigentümerInnen nicht ausreichend ist, müssen
verstärkt Möglichkeiten des so genannten Contractings, also der Vorfinanzierung durch Dritte
und Abzahlung der Investitionskosten aus den eingesparten Energiekosten, genutzt werden.
Entsprechende Programme sind über die Thüringer Aufbaubank bereitzustellen.
Beispielwirkung öffentliche Hand: Die öffentliche Hand muss mit gutem Beispiel vorangehen.
Wo noch nicht geschehen, werden alle öffentlichen Einrichtungen des Landes die Strom-
und Heizenergiekosten durch entsprechende Energiespar-und Effizienztechniken senken.
Zusätzlich sollen alle Möglichkeiten der erneuerbaren Energien, bis hin zur Eigenversorgung
genutzt werden. Alle Landesbehörden werden für eine klimafreundliche Mobilität sorgen.
Dazu muss der öffentliche Fahrzeugpark vollständig auf Kraftstoffe aus erneuerbaren
Energien umstellt werden. Für Dienstreisen ist vorrangig der ÖPNV zu nutzen. Wir werden
eine Initiative starten, mit der die Straßen-und Platzbeleuchtungen sowie Ampelanlagen in
den Kommunen flächendeckend auf LED-Technik umgestellt werden sollen. Zudem soll bei
Verkehrssignalanlagen auf den Einsatz erneuerbarer Energien umgerüstet werden.
Energiesparen in allen Haushalten: Das Thema Umwelt geht jedoch nicht nur öffentliche
Stellen an, auch Privathaushalte können einen eigenen Beitrag dazu leisten. Eine
„Ökologische Erste Hilfe“ für private Haushalte wäre ebenso die Nutzung von
Ökokühlschränken und Energie sparenden Lampen sowie die Anschaffung effizienterer
Haushaltsgeräte (ohne Stand-by). Thüringen wird sich über eine Bundesratsinitiative dafür
stark machen, dass entsprechende Fördermaßnahmen eingeleitet werden, um
Energiesparen und den Kauf energiesparender Geräte allen – auch Haushalten mit
geringeren Einkommen – zu ermöglichen.
Verbraucherfreundlichkeit: In diesem Zusammenhang plädieren wir für die Integration der
Stromkosten in die Kosten der Unterkunft für BezieherInnen von SGB II und XII-Leistungen
und Erstattung der Kosten für die Kommunen über den KFA, die Wiedereinführung einer
Preiskontrolle nach Bundestarifordnung Elektrizität (BOTElt) und Schaffung einer
Preiskontrolle für einen Gas-Endkundentarif sowie die Bereitstellung eines Fonds für Kreise
und kreisfreie Städte, aus dem Aufwendungen zur Bündelung des Strombedarfs von sozial
Bedürftigen (von Rundfunkgebühren Befreite) zu einem Großabnehmervertrag (vorrangig mit
örtlichen Stromanbietern) finanziert werden.
Gerade bei Personen mit geringem Einkommen muss die Daseinvorsorge greifen, denn
bislang ist es eine Frage des Geldbeutels, ob man sich ökologisch erzeugte Energie und
Lebensmittel leisten kann. Für sie muss der Umstieg auf neue Technologien bezahlbar und attraktiv werden. Zahlreiche Menschen in Thüringen besitzen ältere Häuser, verfügen jedoch
nicht über die Eigenmittel, diese energetisch zu sanieren. Hier müssen Zuschüsse und
attraktive Kredite zur Verfügung gestellt werden, um ihnen die notwendigen Umbauten zu
ermöglichen.
Zudem dürfen die Kosten des Atomausstiegs nicht auf die Verbraucherinnen und
Verbraucher abgewälzt werden. Die vier Stromriesen RWE, Eon, Vattenfall Europe und
EnBW fahren seit Jahren Milliardengewinne ein. In den letzen zehn Jahren haben sich die
Strompreise verdoppelt. Eine staatliche Preisaufsicht gibt es nicht mehr. Die Spekulation mit
Strom auf den Finanzmärkten treibt den Preis in die Höhe. Laut Umweltbundesamt zahlen
Stromkunden 10 bis 15 Milliarden Euro pro Jahr zu viel in die Kassen der Stromanbieter.
840.000 Haushalte waren nach Angaben des Bundesverbands der Energieverbraucher 2009
sogar von Strom-und Gassperren betroffen, weil sie ihre Rechnungen nicht bezahlen
konnten – Tendenz steigend. Deshalb unsere Forderung: Sozialtarife im Energiebereich
sowie die Wiedereinführung der staatlichen Energiepreisaufsicht.
Änderung des Steuerrechts: Wir formulieren auch ehrgeizig, dass wir Energiesparen
belohnen und Energieverschwendung „bestrafen“ wollen. Das trifft in besonderem Maße auf
den Energie-und Rohstoffverbrauch zu. Ökologisch verträgliches Handeln soll in Zukunft
finanziell belohnt, ökologische Schäden verursachendes Handeln dagegen deutlich belastet
werden. Energiesparen muss sich lohnen, und konsequente Rohstoffwiederverwertung muss
gefördert werden. Diesbezügliche Änderungen im bundesdeutschen Steuerrecht wird die
DIE LINKE auf den Weg bringen.
KONSEQUENT ZUM ZIEL – INTELLIGENT VERNETZT VERTEILEN
Maßnahmen zur Energieverteilung
Dritter zentraler Schwerpunkt ist die Frage der Stromnetze. Betreiber der
Höchstspannungsnetze (380 kV) ist die 50 Hertz-Transmission GmbH, welche im Besitz des
belgischen Übertragungsnetzbetreibers Elia (60 %) und des australischen Infrastrukturfonds
Industry Funds Management (40 %) ist. Die übrigen Netze (220 bzw. 110 kV) sind,
abgesehen von drei „Inseln“ (im Altenburger Land, in Teilen des Kyffhäuser-und des
Wartburgkreises), in einer hochinteressanten Eigentümerschaft. Der Betreiber E.ON
Thüringen ist der einzige E.ON-Ableger, der nicht komplett dem Konzern angehört. Am
Thüringer Netz besitzt E.ON nur einen 53-Prozent-Anteil, die übrigen 47 Prozent sind ein
kommunaler Anteil, der über die KEBT (Kommunale Energie Beteiligungsgesellschaft
Thüringen AG) strukturiert ist. Das heißt, hier existiert eine starke Stellung der Kommunen.
Fast 800 Gemeinden sind an E.ON Thüringen beteiligt, zudem ist E.ON Thüringen auch an
vielen Stadtwerken beteiligt. Es ergibt sich somit, dass das regionale Stromnetz fast
flächendeckend in der Hand von E.ON Thüringen ist.
Und genau hier liegen ideale Ausgangsbedingungen, um eine Rekommunalisierung der
Stromnetze, d.h. eine Überführung in die öffentliche Hand, zu realisieren. Würden sich also
die Thüringer Kommunen bemühen, den bislang gehaltenen Unternehmensanteil von 47
Prozent um mindestens vier Prozent – nämlich die Unternehmensmehrheit – zu erhöhen,
wäre viel gewonnen. Da es sich bei einer solchen Summe nicht nur um eine so genannte
rentierliche Investition handeln würde, sondern deren Amortisierung sich auch relativ gut
prognostizieren ließe, ist ein solcher Schritt unbedingt vorzunehmen.
Es muss nochmals betont werden: Förderung der erneuerbaren Energien setzt auch eine
völlig neue Netzphilosophie voraus! Die Energieerzeugung erfolgt zukünftig dezentral
weitestgehend da, wo die Energie benötigt wird. Das jetzige vorhandene Stromnetz muss
entsprechend umgebaut und angepasst werden. Parallel dazu wird eine völlig neue Struktur
aufgebaut.
Netze in öffentliche Hand: Die LINKE wird in erster Linie Impulse dafür setzen, dass
zunächst die Beteiligung der Kommunen über die KEBT an der E.ON Thüringen AG erhöht
wird und somit sich mehrheitlich in öffentlicher Hand befindet. Verschiedene
Unterstützungsmöglichkeiten durch das Land (Bürgschaften, Kredite) werden dafür
ausgeschöpft.
Neues Netzsystem: Mit der Übernahme wird in einem zweiten Schritt durch Gründung einer
eigenen Landesgesellschaft, in die alle vorhandenen Stromnetze Thüringens integriert
werden, die neue Netzphilosophie konzipiert und umgesetzt. Es geht um die Gründung eines
virtuellen Kraftwerks. Dabei sollen modernste Managementsysteme (wie z.B. smart grid oder
smart metering) und neueste Speichertechnologien zum Einsatz kommen. Daneben wird
beim Umbau des Netzes konsequent nur noch auf Erdverkabelung entlang bestehender
infrastruktureller Trassen gesetzt. Mit solchen dezentralen Netzstrukturen erleichtern wir die
Entstehung kommunaler Energiesysteme und eröffnen durch Synergieeffekte und die
Vermeidung zusätzlicher Übertragungs-und Netzausbaukosten erhebliche
Kostensenkungspotentiale in der Stromversorgung.
Konzeptionell muss bereits auch jetzt ein „Tankstellensystem“ für Elektromobilität mitgedacht
werden. Dies meint ausdrücklich nicht nur die Infrastruktur von Elektroautos. Die Entwicklung
im Bereich der Elektro-Fahrradmobilität für Ballungszentren ist rasant und wird von uns
gefördert. Wir sehen dort eine echte Alternative zum Auto. Dementsprechend sind
notwendige Infrastrukturmaßnahmen zu schaffen.
Keine zusätzliche 380-kV-Leitung: Gleichzeitig werden wir die Initiative zum unverzüglichen
Abbau nicht mehr benötigter Höchst-und Hochspannungsleitungen ergreifen und wollen
durch Umbau und Ertüchtigung bestehender Trassen den umstrittenen Bau der 380-kV-
Freileitung durch den Thüringer Wald verhindern. Die Rückgewinnung dieser bislang durch
Stromtrassen zergliederten Räume wird die Flächen, die für erneuerbare Energie-Anlagen
benötigt werden, bei weitem übertreffen.
KONSEQUENT ZUM ZIEL – ENERGIE WEITER DENKEN
Weitere flankierende Maßnahmen
Von der Umstellung der Energieerzeugung auf 100 % Vollversorgung aus erneuerbaren
Energien sind viele weitere Bereiche betroffen. Viele zusätzliche Sparten werden in naher
Zukunft unweigerlich einbezogen werden (müssen). Das Land soll auf eigenen Flächen und
in Landesgebäuden geeignete Anlagen zur Energieerzeugung durch geeignete
Tochtergesellschaften betreiben.
Unterstützung von Kommunen Das Land muss sich verpflichten, Initiativen von Kommunen
und Siedlungen zur unabhängigen Stromversorgung mit Mikronetzen in enger Kooperation
mit den jeweiligen Gebietskörperschaften zu fördern und entsprechende
Finanzierungsmechanismen vorzuhalten. Vorrang haben dabei öffentliche und
genossenschaftliche Modelle. Wir wollen eine integrierte Stadt-und Regionalentwicklung.
„Kurze Wege“ stehen dabei im Vordergrund. Dies bedeutet die enge Vernetzung von Leben,
Arbeiten und Wohnen.
Erneuerbare Energien finanzieren: Wir wollen die Finanzierung von Investitionen in den
Ressourcenwechsel und zur Ressourceneinsparung durch die Förderinstitute des Landes
erleichtern, sie überschaubarer machen und unbürokratisch ermöglichen. Dabei sollte auch
über eine generelle Bündelung aller Maßnahmen in einer Hand nachgedacht werden. Zudem
muss geprüft werden, wie zusätzliche Geldquellen, z.B. eine Kreditförderung für Investitionen
in den Ressourcenwechsel oder die Einführung revolvierender Fonds, akquiriert werden
können. Auch die bereits vorgeschlagene Änderung des deutschen Steuerrechts
(Besteuerung von Energieverschwendung und die Belohnung des Energiesparens) muss
dazu herangezogen werden.
Offensive auf dem Gebiet der Bildung, Wissenschaft, Forschung und Industrie: Aber auch
dem Gebiet der Bildung können wir neue Impulse geben. Für erneuerbare Energien gibt es
momentan in Deutschland kein Berufsbild. Das bedeutet im Konkreten auch keinerlei
Ausbildung oder Ausbildungsberufe. Die bislang in Thüringen tätigen Personen mit einer
solchen Qualifizierung, z.B. SolartechnikerInnen, stammen alle aus anverwandten
technischen Berufen und wurden an Weiterbildungsstätten in Thüringen ausgebildet (besser gesagt weitergebildet). Auch beispielsweise bei der Windkraft wird in
Weiterbildungseinrichtungen außerhalb Thüringens so vorgegangen. Langfristiges Ziel muss
daher die Einführung neuer Ausbildungsberufe auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien
sein. Die Ausbildung in diesen Bildungsgängen soll die erforderlichen Qualifikationen zur
Ausübung solcher anerkannten Ausbildungsberufe vermitteln. Die Schritte dazu sind
gesetzlich im Berufsbildungsgesetz bzw. in der Handwerksordnung geregelt.
Thüringen könnte sich einen unschätzbaren Vorteil und ein Alleinstellungsmerkmal
verschaffen, wenn es als erstes Bundesland eine solche zentrale Ausbildungsstätte schaffen
würde. Das würde nicht nur Arbeitsplätze schaffen, sondern möglicherweise auch (junge)
Leute ins Land ziehen. Zudem korrespondiert dies ausgezeichnet mit einem Gesamtkonzept
für eine Energiewende im Land. Es stärkt und sichert darüber hinaus die beiden
vorhandenen Einrichtungen, die bereits solche Weiterbildungsgänge anbieten. Hinzu kommt,
dass für eine Anerkennung als Ausbildungsstätte gemäß Handwerksordnung hier relativ
zügig viele Voraussetzungen vorhanden wären, um ohne großen Zeitverzug zu starten.
An den wissenschaftlichen Einrichtungen Thüringens wird an zahlreichen wichtigen
Innovationen im Energiebereich geforscht (u.a. an Speicher-und
Strommanagementtechnologien). Die Landesförderung sollte zusätzlich über das
landeseigene Exzellenzprogramm diese Initiativen unterstützen. Zudem muss der Impuls für
eine Clusterbildung gegeben werden, der alle Thüringer Akteure der diesbezüglichen
Wissenschaftseinrichtungen an einen Tisch bringt. Darüber hinaus muss auch für eine
zügige Überführung von Forschungserkenntnissen in die unmittelbare industrielle Fertigung
gesorgt werden. Damit entstehen nachhaltige Arbeitsplätze hier vor Ort.
Gesetzesinitiativen unabdingbar: Zur Verwirklichung unserer Vorstellungen ist ein Paket an
Gesetzesinitiativen und Novellierungsvorschlägen vonnöten. Es werden generell alle
Bereiche der Bundes-und Landesgesetzgebung an die Anforderungen für eine
Energiewende angepasst. Von Thüringen aus werden diesbezügliche Bundesratsinitiativen
gestartet. Wir werden darauf achten, dass die gesamte Atomgesetzgebung als
unumkehrbares Ausstiegsszenario überarbeitet und gesetzlich angepasst wird. Das
Erneuerbare Energiengesetz muss grundsätzlich von allen Hemmnissen und
Lobbyismusbedingungen entrümpelt werden. „Ähnlich werden wir mit artverwandten
Gesetzen (z.B. dem Energiewärmegesetz etc.) verfahren. Vorhandene Gesetzesvarianten –
wie z.B. das Energieleitungsausbaugesetz (kurz EnlaG) müssen deutlich überarbeitet und
entsprechend dem tatsächlichen Bedarf angepasst bzw. die Prüfung wirtschaftlicher
Alternativen vorgeschrieben werden. Da es sich um eine Grundfrage der Daseinsvorsorge
handelt, ist langfristig eine komplette Rückführung der zentralen Energieerzeugung und verteilung
in die öffentliche Hand vorgesehen. Dies wird zu gegebener Zeit mittels diverser
Gesetzesinitiativen unterstützt.
Unter den Überlegungen der Energieproduktion, -effizienz und -verteilung müssen auch
mindestens folgende Landesgesetze an die neuen Rahmenbedingungen angepasst werden:
die Raumordnung und Landesplanung, die Bauordnung und betroffene Richtlinien, die
Architekten-und die Ingenieurkammergesetze, die gesamte Kommunalgesetzgebung, das
Thüringer Denkmalschutzgesetz, das Naturschutzgesetz und andere mit der Energiewende
zusammenhängende Gesetze (z.B. Wassergesetz).
Zum Schluss ein Blick in die Zukunft der Mobilität: Nur kurz ansprechen kann man die
Fragen der Elektromobilität. Die Zukunft in diesem Bereich wird – so viel ist absehbar – auf
Elektroantriebsmittel hinauslaufen. Die gesamte Netzstruktur muss darauf ausgerichtet
werden. Welche Möglichkeiten die modernen Speichermedien (inklusive aller technischen
Details wie Speichermenge, Effizienz, Ladezeiten usw.) bieten werden, kann sich nur
spekulativ umreißen lassen. Aber alles scheint möglich, vom „Auftanken“ während des
Einkaufs im Supermarkt bis hin zur Stromabgabe an die Hausversorgung bei Nichtbenutzen
des Fahrzeugs etc. Dennoch genügt es nicht, die herkömmliche „Autoflottille“ lediglich vom
Otto-auf einen Elektromotor umzurüsten. Vielmehr muss auch Verkehr vermieden oder
effizienter gestaltet werden. Bei künftigen Planungen sind die Lebensbereiche Wohnen,
Arbeit und Freizeit deshalb konsequent zusammen zu führen. Dazu müssen wohnortnahe Angebote geschaffen werden. Im Personen-und auch im Güterverkehr kommt der Bahn eine
besonders wichtige Rolle zu. Antriebsmöglichkeiten aus erneuerbaren Energien schaffen
hier völlig neue Möglichkeiten und erfordern einen entsprechenden Ausbau der
Schieneninfrastruktur, um einen attraktiven ÖPNV zu schaffen. Eine kluge Vernetzung
umweltfreundlicher Verkehrsmittel ist dringend notwendig. Wir brauchen ein Tempolimit. (130
km/h auf Autobahnen.)
Das System im Ganzen denken: Stromnetze, Bahnnetze, Wärmenetze, Gasnetze – alle
diese Systeme müssen als Ganzes betrachtet und gedacht werden. Selbst die gesamte
Mobilität muss darin einbezogen und künstliche Abgrenzungen müssen überwunden werden.
Es geht um ein intelligentes, kleinteiliges Mosaik, welches jedoch nur im Gesamtgefüge
funktioniert. Gleich einem Uhrwerk muss ein Rädchen in das andere greifen.
FAZIT
Die Realisierung dieser langfristigen und nachhaltigen Strategie bedeutet:
• einen wirkungsvollen Beitrag für den Schutz unserer Umwelt und die Erhöhung der
Lebensqualität der Menschen,
• eine Bezahlbarkeit der Energiepreise für alle Menschen,
• einen Aufschwung in der regionalen Wirtschaft, der alle Teile des Landes erfasst,
• einen Innovationssprung für zahlreiche Wirtschaftszweige,
• die Schaffung zahlreicher Arbeitsplätze in der Region, damit Steigerung der
Wertschöpfung in Thüringen sowie die Attraktivität des Landes,
• eine demokratische Kontrolle und Kultur Thüringer Energiepolitik, die Übernahme von globaler sozialer Verantwortung.
Die soziale Dimension dieses Energiewechsels ist und bleibt ein zentrales Thema der
LINKEN. Stromsparen muss man sich erlauben können, neue Technologien müssen
bezahlbar sein, moderne energieeffiziente Wohnungen müssen sich auch alle leisten
können.
Unsere Antwort auf den so genannten „grünen“ Kapitalismus ist der sozial-ökologische
Umbau unserer Gesellschaft – eine sozial-ökologische Energierevolution. Denn eine
Gesellschaft und die in ihr lebenden Menschen sind nur dann bereit, einen solchen
anspruchsvollen Weg mitzugehen, wenn diese Energierevolution untrennbar mit der sozialen
Gerechtigkeit verknüpft wird.
Deshalb brauchen wir flankierend eine Politik, die eine Grundversorgung mit Energie als
Basisdienstleistung für alle sicherstellt.
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