An Oberhausens atomwaffenfreie Tradition anknüpfen!

An Oberhausens atomwaffenfreie Tradition anknüpfen!
Zum Gedenken an die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki
Liebe Freundinnen und Freunde,
ich freue mich über die Gelegenheit, heute hier sprechen zu können, auch wenn das Thema eher
schwierig ist: Ich möchte über Atomwaffen sprechen. Wie Ihr wisst, hat der Rat der Stadt
Oberhausen 1993 unsere Stadt zur atomwaffenfreien Zone erklärt. Daraus ist leider bis heute nicht
viel gefolgt. Daher stelle ich meinen Beitrag unter das Motto: „An Oberhausens atomwaffenfreie
Tradition anknüpfen!“


Vor 77 Jahren, am 6. und am 9. August 1945, warfen die USA zwei Atombomben auf die japanischen
Städte Hiroshima und Nagasaki. Etwa 100.000 Menschen wurden unmittelbar getötet, weitere
130.000 starben an den Folgen. Militärisch war der Abwurf zu diesem Zeitpunkt nicht mehr nötig,
denn die japanische Armee stand kurz vor der Kapitulation. Doch die USA wollten verhindern, dass
die Sowjetunion in Ostasien noch in den Krieg eingreift. Mit dem Abwurf setzten die USA ein
tödliches Zeichen, fortan die führende Weltmacht sein zu wollen. Seither wissen alle, welche
Bedrohung für die ganze Welt von den Atomwaffen ausgeht. Putins Drohungen im Ukraine-Krieg
haben uns das kürzlich noch einmal verdeutlicht.
Nach neuesten Angaben des Friedensforschungsinstituts SIPRI aus Stockholm gab es im letzten Jahr
weltweit 12.705 Atomsprengköpfe, davon 90 Prozent in den USA und Russland. Rund 2.000 waren in
ständiger Alarmbereitschaft. Die Menschheit kann sich gleich mehrfach komplett vernichten. Da
braucht es nicht einmal die Absicht kriegführender Mächte, sondern nur einen Computerfehler, und
der Wahnsinn geht los.
Wir alle kennen die Geschichte des sowjetischen Militärs Stanislaw Petrow. Am 26. September 1983
war er der leitende Offizier in der Kommandozentrale der sowjetischen Satellitenüberwachung. Er
erkannte, dass ein vom System gemeldeter Angriff mit Interkontinentalraketen aus den USA ein
Fehlalarm war, und unterließ den vermeintlichen „Gegenschlag“. Tatsächlich hatten
Sonnenreflexionen auf Wolken im elektronischen Frühwarnsystem nur wie Raketen ausgesehen. Da
hat ein Militär in einer Situation unmittelbarer Gefahr einen kühlen Kopf bewahrt und einen
Weltenbrand verhindert. Seit 1990, als der Vorfall öffentlich bekannt wurde, gilt Petrow als „Der
Mann, der die Welt rettete“, so der Titel eines Dokumentarfilms, den Ihr noch in der ARD-Mediathek
findet. Auf Arte gab es am letzten Dienstag auch einen halbdokumentarischen Spielfilm, der auf
spannende Weise diesen Tag schildert, Ansehen lohnt sich unbedingt.
Mit Stanislaw Petrow ist Oberhausen eng verbunden. Auf Betreiben des Oberhausener
Unternehmers Karl Schumacher besuchte Petrow im Jahr 1999 unsere Stadt für zwei Wochen. Seit
seinem zweiten Todestag erinnert eine Gedenktafel im Park an der Vestischen Straße in Osterfeld an
ihn. Wenn ihr darüber mehr wissen möchtet, findet Ihr auf Youtube ein Interview, das wir mit
unserer DFG-VK-Gruppe im Januar 2021 mit Karl Schumacher über Stanislaw Petrow und die atomare
Gefahr geführt haben.
Es ist also höchste Zeit, diese Waffen zu verschrotten. Aber wie kommen wir dahin?
Bereits seit 1968 gibt es den Atomwaffensperrvertrag, oder genauer: Vertrag über die
Nichtverbreitung von Kernwaffen, auch „Nichtverbreitungsvertrag“ genannt. Abgeschlossen von den
USA, der Sowjetunion und Großbritannien, trat der Vertrag 1970 in Kraft. Die Atommächte China und
Frankreich traten 1992 bei. Seit der Überprüfungskonferenz von 1995 in Genf ist der Vertrag
unbefristet in Kraft. Bis heute sind 190 Staaten dabei. Nur Indien, Pakistan, Israel und Südsudan
traten nicht bei, 2003 trat Nordkorea wieder aus.
Doch auch wenn der Vertrag erstmals eine Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung festschreibt, wird
zu deren Umsetzung wenig getan. Es ist deshalb ein großes Missverständnis, diesen Vertrag als
„Abrüstungsvertrag“ zu bezeichnen, wie man es manchmal in der Presse liest. Denn das verschleiert
das Interesse der fünf „offiziellen“ Atommächte, im Club der Staaten, die als „Weltmächte“ gelten
wollen, für sich selbst keine Konkurrenz aufkommen zu lassen. Es ist in ihrem eigenen Interesse, die
Technologie zum Bau von Atomwaffen nicht weiterzuverbreiten. Aber von Abrüstung sind wir hier
weit entfernt. Vielmehr modernisieren die Atommächte ihre Arsenale, machen ihre Atomwaffen
„kleiner“ und leichter einsetzbar und damit auch gefährlicher, weil die Hemmschwellen zum Einsatz
sinken. SIPRI warnt in seinem Jahresbericht dann auch vor einem neuen atomaren Wettrüsten.
Wenn der Vertrag auch ein Schritt in die richtige Richtung war, hat er die Verbreitung von
Atomwaffen doch nicht ganz verhindern können. Die feindlichen Nachbarn Indien und Pakistan
haben die Bombe. Nordkorea testet fleißig Raketen und Sprengköpfe. Israel hat sie auch; da will der
Erzfeind Iran natürlich nicht hintenanstehen. Wir können davon ausgehen, dass die größte
Dummheit, die ein US-Präsident in der internationalen Politik jemals beging, die Kündigung des
Atomabkommens mit dem Iran durch Mr. Trump gewesen ist. Dieser Fehler ist schwer wieder zu
berichtigen.
Um die Unzulänglichkeiten des Nichtverbreitungsvertrages ein Stück weit zu aufzufangen und der
Abrüstung wieder näher zu kommen, kam 2010 die Idee zu einem neuen Vertrag auf: dem
Atomwaffenverbotsvertrag. Ab 2016 begannen auf Beschluss der Generalversammlung der
Vereinten Nationen die Verhandlungen. Am 7. Juli 2017 stimmten schließlich 122 Nationen dem
Vertrag zu. Mit der Ratifizierung durch den 50. Staat wurde der Vertrag am 22. Januar 2021
völkerrechtlich bindend. Bis heute, dem 6. August 2022, haben ihn 86 Staaten unterzeichnet und 65
Staaten in ihren Parlamenten ratifiziert.
Dieser Vertrag ist ein großer Fortschritt. Denn danach ist alles verboten, was Atommächte so tun:
Atomwaffen zu entwickeln, sie herzustellen, sie zu testen, sie zu lagern, sie zu transportieren, sie zu
stationieren und sie einzusetzen. Das ist alles ausführlich im Vertrag beschrieben. Das ist so
weitreichend, dass es eigentlich kein Wunder ist, dass bisher keine einzige Atommacht und kein
einziger NATO-Staat diesem Vertrag beigetreten ist.
Die letzte Bundesregierung behauptete sogar, dass der Verbotsvertrag die Bemühungen des
Nichtverbreitungsvertrages behindern würde. Das war natürlich blühender Unsinn. Denn der neue
Vertrag ist ein geeignetes Instrument, um das viel zu schwach aufgestellte Abrüstungsgebot des
Nichtverbreitungsvertrages zu unterfüttern. Die neue Bundesregierung hat ihre Haltung leicht
korrigiert und nahm kürzlich mit Beobachterstatus an der ersten Überprüfungskonferenz des
Verbotsvertrages in Wien teil. Das ist besser als nichts. Doch handelt die Bundesregierung in der
Atomfrage höchst widersprüchlich.
In ihrem Koalitionsvertrag steht auf Seite 145: „Unser Ziel bleibt eine atomwaffenfreie Welt und
damit einhergehend ein Deutschland frei von Atomwaffen.“ Schöne Worte! Doch vier Seiten weiter
bekräftigt die Bundesregierung die sogenannte „nukleare Teilhabe“ mit den USA, also die Ausbildung
von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr an mit Atomwaffen bestückten Kampfflugzeugen.
Alles frei nach dem Motto: Solange es Atomwaffen gibt, und solange Atomwaffen Teil der NATOStrategien sind, so äußerte es Verteidigungsministerin Christine Lamprecht, müsse man eben dabei
sein, damit man mitreden könne. Und Außenministerin Annalena Baerbock bekundete: „Die nukleare
Abschreckung muss glaubhaft bleiben!“ Das war im Tagesspiegel am 1. August zu lesen. So wird aus
der nuklearen Abrüstung natürlich nichts!
Im Koalitionsvertrag vom letzten September steht auch schon die Anschaffung des Kampfjets F-35,
der getarnt fliegen und mit Atomsprengköpfen bestückt werden kann, allerdings noch unter dem
Decknamen „Nachfolgesystem für den Tornado“. Dessen Anschaffung hat also mit dem Ukraine-Krieg
nichts zu tun. Putins Krieg wird nur benutzt, um der Öffentlichkeit dieses hochbrisante
Aufrüstungsprogramm zu verkaufen.
Das ist noch nicht alles: Der F-35-Kampfjet hat mit „Verteidigung“ im Wortsinn nichts mehr zu tun.
Denn getarnt fliegen, das sagt schon der gesunde Menschenverstand, muss ich doch nur, wenn ich
widerrechtlich in den Luftraum anderer eindringe und dabei nicht gleich vom gegnerischen Rader
ertappt werden will. Es handelt sich also trotz all der friedlich klingenden Worte im Koalitionsvertrag
um eine Angriffswaffe! Da fragen wir uns doch, wen diese Bundesregierung eines Tages angreifen
will.
Vor allen Dingen müsste die Bundesregierung mit dem Verbotsvertrag endlich auch die 20 USamerikanischen Atomsprengköpfe im rheinland-pfälzischen Büchel höflich aber bestimmt aus
unserem Land hinauskomplimentieren. Entschuldigt, wenn ich das etwas unfein ausdrücke: Zu so
einem Schritt hatte noch keine Bundesregierung, auch die neue nicht, den nötigen Arsch in der Hose!


Wir müssen also die Bundesregierung in Sachen Atomwaffenverbot zum Jagen tragen. Geeignet dazu
ist meines Erachtens der sogenannte „Städteappell“ der Internationalen Kampagne zur Abschaffung
von Atomwaffen, abgekürzt nach dem englischen Namen ICAN. In diesem Appell heißt es:
„Unsere Stadt/unsere Gemeinde ist zutiefst besorgt über die immense Bedrohung, die Atomwaffen für
Städte und Gemeinden auf der ganzen Welt darstellen. Wir sind fest überzeugt, dass unsere
Einwohner und Einwohnerinnen das Recht auf ein Leben frei von dieser Bedrohung haben. Jeder
Einsatz von Atomwaffen, ob vorsätzlich oder versehentlich, würde katastrophale, weitreichende und
lang anhaltende Folgen für Mensch und Umwelt nach sich ziehen. Daher begrüßen wir den von den
Vereinten Nationen verabschiedeten Vertrag zum Verbot von Atomwaffen 2017 und fordern die
Bundesregierung zu deren Beitritt auf.“
In Deutschland haben bereits 142 Städte und Kreise sowie die vier Bundesländer Berlin, Bremen,
Hamburg und Rheinland-Pfalz diesen Städteappell unterzeichnet, so auch unsere Nachbarstadt Essen
mit ihrem Oberbürgermeister Thomas Kufen von der CDU. Da stehen unsere Chancen doch gar nicht
so schlecht. Denn unser Oberbürgermeister Daniel Schranz hat sich in der Friedensfrage schon
einmal seinen Essener Parteifreund zum Vorbild genommen: In einer Podiumsdiskussion der DFG-VK
vor der Oberbürgermeisterwahl 2014 hatten wir ihm das Versprechen abgenommen, wie der Essener
OB Mitglied der „Bürgermeister für den Frieden“ zu werden. Das Versprechen hat Daniel Schranz
nach seiner Wahl gehalten. Da gäbe es doch einen guten Anknüpfungspunkt, dass die Stadt
Oberhausen nun auch den ICAN-Städteappell unterschreibt.
Das Atomwaffenverbot ist in Deutschland offenbar nur von unten durchsetzbar. Je mehr Gemeinden
dabei sind, desto größer wird die Chance, dass noch ein paar Bundesländer mitziehen. Und wenn
eine Mehrheit der Bundesländer dabei ist, wird eine Bundesratsinitiative möglich, die das
Atomwaffenverbot aktiv betreiben kann. Daran käme auch die Bundesregierung nicht mehr vorbei.
Auch wenn wir dafür einen langen Atem brauchen: Bringen wir hier bei uns den ICAN-Städteappell
auf den Weg! Und wenn wir erfolgreich sind, dann feiern wir das im Park an der Vestischen Straße,
den wir bis dahin in „Stanislaw-Petrow-Park“ umbenannt haben werden, in der würdigen
Gesellschaft eines Militärs, der in einer existenziellen Krise vernünftig blieb, statt sich von Emotionen,
Moral und Ideologien lenken zu lassen.
Im selben Jahr 1983, als Stanislaw Petrow die Welt rettete, erklärte der Rat der Stadt Oberhausen
unsere Stadt zur „atomwaffenfreien Zone“. Liebe Freundinnen und Freunde, es wird Zeit, dass daraus
Taten folgen!
Vielen Dank.
Ralf Fischer, 06.08.2022