Giftmüll in Bergwerken

http://www.die-linke-bottrop.de/nc/presse/detail/zurueck/aktuell-ec23a6c22a/artikel/linke-stellt-anfrage-wegen-giftmuellgefaehrdung-in-bottrop-1/

http://www.lokalkompass.de/bottrop/politik/linke-stellt-anfrage-wegen-giftmuell-gefaehrdung-in-bottrop-d352475.html

http://www.welt.de/regionales/duesseldorf/article118385281/Tickende-Zeitbomben-in-stillgelegten-Zechen.html

http://www.derwesten.de/staedte/gelsenkirchen/alles-ist-sicher-von-wegen-id8324506.html

http://www.derwesten.de/staedte/gelsenkirchen/giftmuell-wie-dioxin-und-schwermetalle-lagern-in-stillgelegten-bergwerken-id8319484.html

NRW Artikel vom 28.07.2013 / Ausgabe 30 / Seite 2 „Das Giftigste vom Giftigen“

Der Abfallexperte und Biochemiker Harald Friedrich über hochriskante Sondermüll-Ablagerungen in Ruhrgebietszechen

Von Johannes Nitschmann

In stillgelegten Schächten von vier Ruhrgebietszechen sollen Hunderttausende Tonnen giftigen Sondermülls lagern. Der renommierte Abfallexperte und Biochemiker Harald Friedrich hat die Gefahrenpotenziale dieser Altlasten jetzt in einem Gutachten für einen vom Bergbau geschädigten Landwirt im westfälischen Bergkamen untersucht. Der 61-jährige Wissenschaftler war zwischen 1996 und 2006 zehn Jahre lang im NRW-Umweltministerium als Abteilungsleiter für Abfallwirtschaft, Bodenschutz und Wasserwirtschaft tätig und zählte zu den engsten politischen Vertrauten der damaligen Umweltministerin Bärbel Höhn (Grüne). Das Gutachten trägt den Titel: „Die Risiken und langfristigen Umweltauswirkungen des untertägigen Versatzes von gefährlichen hochtoxischen Sonderabfällen in den Bergwerken der Steinkohle NRW.“ Der Auftraggeber Hermann Schulze-Bergcamen will das Gutachten demnächst Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) übergeben. So lange unterliegen die konkreten Gutachtenergebnisse einem Sperrvermerk. Im Interview spricht der Gutachter über seine dramatischen Gesamtbefunde bei der hochriskanten Sondermüllentsorgung in den Ruhrgebietszechen.

Welt am Sonntag:

Herr Friedrich, in den stillgelegten Schächten von vier Ruhrgebiets-Zechen sollen mehr als 700.000 Tonnen hochtoxischer Filterstäube aus Müllverbrennungs- und Industrieanlagen lagern. Der Bund für Umwelt und Naturschutz hört da „eine gigantische Zeitbombe“ ticken. Halten Sie diesen Alarm für begründet?

Harald Friedrich:

Bei gründlicher Analyse und Würdigung der tatsächlichen Sachverhalte in den Steinkohlebergwerken ist die Einschätzung begründet. Seine Warnungen an die Ruhrkohle AG sind mehr als berechtigt. Der Bergbautreibende und die Bergbehörden sind bei vollem Bewusstsein ein Risiko eingegangen, das sie offensichtlich weder technisch noch in ihren umweltökologischen Folgen überblickt haben. Wäre diese Sonderabfallverklappung unter der Aufsicht des Abfall- und des Wasserrechts erfolgt, hätte bereits nach einigen Sekunden der Vorprüfung das Ergebnis festgestanden, dass ein solches Ansinnen nicht genehmigungsfähig ist.

Die Abfälle hätten tatsächlich in eine Sonderdeponie gehört?

Nach Abfallrecht wären diese Sonderabfälle in die Hochsicherheitsdeponie im Steinsalz nach Herfa-Neurode gebracht worden, auf keinen Fall in eine Zeche, die nach Beendigung des Bergbaus mit Wasser geflutet wird. Der Unterschied bei der Ablagerung gefährlicher Sonderabfälle in einem Bergwerk oder einer Hochsicherheitsdeponie im Steinsalz entspricht in etwa einem Kartenhaus im Vergleich zum Bundesbank-Tresor.

In welchen Zechen lagert der Abfall?

Es sind Schachtanlagen in den Regionen Gelsenkirchen, Bergkamen und am Niederrhein. Konkret geht es um die stillgelegten Zechen Consolidation, Haus Aden und Walsum, die ursprünglich ihren Anfang in Duisburg hatte und sich mittlerweile unterirdisch auf die Stadtgebiete von Dinslaken, Voerde und Kamp-Lintfort ausgedehnt hat.

Welche Gifte enthält der Müll?

Es handelt sich bei den eingelagerten Abfällen um das Giftigste vom Giftigen, was als Sonderabfall in einem mitteleuropäischen Land anfällt. Die Filterstäube aus Hausmüllverbrennungsanlagen stellen die Schadstoffsenke des Verbrennungsprozesses dar. Alle im Abfall enthaltenen Stoffe wie zum Beispiel die giftigen Schwermetalle Cadmium und Blei, die Krebs erzeugenden polyaromatischen Kohlenwasserstoffe und die bei der Verbrennung entstehenden Giftstoffe wie Dioxine und Furane werden in der Schadstoffsenke als Filterstaub abgeschieden. Es gehört schon eine gewisse Kaltschnäuzigkeit dazu, ein aufkonzentriertes Gift-Abfall-Gemisch einer Schadstoffsenke wieder großräumig in der Umwelt zu verteilen und möglicherweise riesigen Grundwasserleitern zugänglich zu machen.

RAG und Bergaufsicht versichern, der Giftmüll sei durch Dämme abgeschlossen und könne somit gar nicht an die Oberfläche austreten.

Die RAG und die Bergbehörden können keinen sauberen technischen und naturwissenschaftlich korrekt geführten Beweis für ihre Behauptung vorlegen. Das Herunterbeten von Glaubensbekenntnissen hilft nicht bei seriösen Risikobetrachtungen. Die Vierteljahresberichte zu den Einlagerungen in den Steinkohlebergwerken erfüllen nicht die Anforderungen an eine überprüfbare und objektivierbare Dokumentation. An keiner Stelle kann die RAG belegen, dass die Laboruntersuchungen, die für bestimmte Überprüfungen durchgeführt wurden, wirklich mit den Proben identisch sind, die der Bergbautreibende selbst während der Sonderabfallverklappung gezogen hat.

Soll hier etwas vertuscht werden?

Wenn die RAG wirklich die Absicht gehabt hätte, die Einbauten der Sonderabfälle nachvollziehbar und überprüfbar nachzuweisen, dann hätte sie die Überwachung dieser Maßnahme objektivierbar organisiert. Aufgrund der tatsächlich erfolgten Genehmigungssystematik und der Überprüfungspraxis der Bergbehörden ist eine objektivierbare Überprüfung aber verunmöglicht. Man ist eindeutig davon ausgegangen, dass kurz nach Einbau der Streckenabschnitt unter Tage einstürzt, sodass jegliche Nachprüfungen von da ab unterbleiben müssen. Hier haben Bergbautreibender und Bergbehörden sehr geschickt zusammengearbeitet, aber nicht zum Wohle einer objektiven Überwachung.

Sie befürchten, dass sich der durch Rohre in die Tiefe beförderte breiige Abfallstoff irgendwann auflöst und ins Grundwasser gelangt?

Nein, das Gegenteil ist der Fall. Es ist vor Ort unter Tage an keinen Punkt der Beweis angetreten worden, dass das angerührte Sonderabfallgemisch vor Ort wirklich ausgehärtet ist. Die Möglichkeit, dass der Sonderabfall nach wie vor als viskoser Brei vor Ort vorliegt, der seinerseits wasserlöslich ist, kann vom Bergbautreibenden RAG durch objektive unabhängige Beweisführung nicht ausgeschlossen werden.

Gefährlich würde es für Wasser und Böden demnach erst, wenn die RAG nach dem Auslaufen der Bergbausubventionen 2018 ihre Pumpen abstellt, um jährlich 200 Millionen Euro an Ewigkeitskosten einzusparen.

Ja, das ist richtig. Derzeit wird noch gesümpft, das heißt, das Grundwasser in den Tiefenbereichen der Steinkohlebergwerke wird technisch an definierten Punkten gehoben. Wenn jedoch mit Eintritt des Endes der Steinkohleförderung im Jahre 2018 die Grundwasserabsenkung in den Bergwerken beendet wird, werden alle ausgebeuteten Steinkohlebergwerke zwischen Kamp-Lintfort am Niederrhein und Dortmund/Hamm absaufen. Diese Bergwerke stehen untereinander in physikalischer Verbindung, das heißt, eine große geologisch und wasserwirtschaftlich zusammenhängende Landmasse wird unter Tage wie eine riesige Anordnung von kommunizierenden Röhren miteinander in Verbindung stehen und über unterirdische Strömungen den wässrigen Inhalt der ausgebeuteten Bergwerke untereinander austauschen.

Der Giftmüll ist bereits in den 90er-Jahren in die Zechenschächte verbracht worden. Offenbar ganz legal und mit Zustimmung der zuständigen Landesbehörden.

Bei der Bewertung der Legalität ist große Vorsicht angebracht. Eine Genehmigung nach Bergrecht ist formaljuristisch eine rechtskräftige Genehmigung. Das Bergrecht an sich ist aber kein den Umweltgesetzen vergleichbares Recht. Im Endergebnis kennt es nur die hundertprozentige Durchsetzung der Interessen des Bergbautreibenden und keine ernst zu nehmende Abwägung mit den öffentlichen Interessen und den Belangen des Umweltschutzes. Dazu kommt leider noch, dass die das Bergrecht umsetzenden Mitarbeiter der Bergbehörden nicht den im Vergleich mit anderen Behörden nötigen Abstand zu dem Antragsteller, dem Bergbautreibenden, haben. Die Mitarbeiter der Bergbehörden legen meistens ein Genehmigungsverhalten an den Tag, als seien sie lediglich vom Staat bezahlte Befehlsempfänger des Bergbautreibenden.

Jedenfalls ist das Verbringen von Sondermüll in Bergwerke erst Ende der 90er-Jahre unter dem grünen Bundesumweltminister Jürgen Trittin bundesgesetzlich untersagt worden. Trittin wollte ursprünglich gar nicht glauben, dass es in NRW solche Entsorgungspraktiken gegeben hat.

Bei den Abstimmungsgesprächen zwischen den Bundesländern und dem Bundesumweltministerium zur Schaffung einer bundesgesetzlichen Bergversatz-Verordnung war ich in meiner früheren Position im nordrhein-westfälischen Umweltministerium als Abteilungsleiter für Abfallwirtschaft, Bodenschutz, Wasserwirtschaft beteiligt. Die Mitarbeiter der Umweltministerien aus den anderen Bundesländern wollten gar nicht glauben, was da – wie sie sagten – „für eine Schweinerei“ unter der Zuständigkeit des damaligen Landeswirtschaftsministeriums in Düsseldorf angeblich genehmigt worden war.

Hat die RAG mit der Endlagerung des Sondermülls nach Ihren Erkenntnissen schnelles Geld gemacht?

Eine Tonne dioxinhaltiger Filterstaub ist zu damaliger Zeit zu Preisen zwischen 500 und 800 Mark in den dafür nach Abfallrecht zugelassenen Sonderabfalldeponien entsorgt worden. Die RAG hat mit ihrer nach sicherheitstechnischen Gesichtspunkten betriebenen „Billigvariante“ Millionensummen in dreistelliger Höhe verdient.

Es gibt Hinweise, dass die RAG offenbar Unterlagen vernichtet haben soll.

Mein Auftraggeber hat für das Bergwerk, das unter seinen Ländereien angeordnet ist, alle Antragsunterlagen, Genehmigungsunterlagen, Begleitvermerke sowie Berichte über Störfälle in meterlanger Aktenform ausgehändigt bekommen. Auf Nachfrage zur Akteneinsicht der Sonderabfallverbringung in drei weiteren Bergwerken wurde vom zuständigen Landesoberbergamt mitgeteilt, dass es reiner Zufall sei, dass die Unterlagen über das beschriebene Bergwerk noch existierten und daher auch in kopierter Form übergeben worden seien. Die Unterlagen über die Sonderabfallverklappung in den drei anderen Bergwerken seien zwischenzeitlich vernichtet worden. Ich vermeide es, über den Wahrheitsgehalt dieser amtlichen Aussage nachzudenken.

Halten Sie als Abfallexperte eine systematische Entsorgung aus den Bergbauschächten für möglich?

Die RAG hat sich mit der Ablagerung von Sonderabfällen in vier Steinkohlenbergwerken eine eigene Altlast systematisch aufgebaut, die in ihren ökotoxikologischen Auswirkungen der Problematik mit der Altlast Asse in Niedersachsen vergleichbar ist. Müsste diese Altlast saniert werden, das heißt der runtergebrachte Sondermüll geborgen werden, was technisch unter großem Aufwand möglich ist, dann würden diese Rückführungskosten die Einnahmen aus der Sonderabfallverbringung um Größenordnungen übersteigen.