NEIN zum Steag-Kauf, Rede von Dietrich Keil für Essen steht AUF am 23.2.2011 im Rat

Essen steht AUF – Ratsherr Dietrich Keil, 23.2.2011
NEIN zum Steag-Kauf – Redebeitrag im Rat

Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren,

schon vor drei Monaten, als Sie hier spät abends schnell den Kauf der ersten Tranche beschlossen haben, hatten gleichwohl alle Kritik und Bedenken zum Risiko dieses Geschäfts. Das kam in langen Zusatzanträgen zum Ausdruck, die – leider muss man das feststellen – vielleicht gut gemeint, aber völlig folgenlos sind, da sie keine rechtliche oder wirtschaftliche Bindekraft und keinerlei Einfluss auf den Gang der Geschäfte haben.
Schon damals habe ich anders als die Mehrheit des Rates die offenkundigen Risiken höher gewichtet als die vermuteten Chancen des Steag-Kaufs und ihn abgelehnt. Unsere Ablehnung beruht vor allem auf drei Gründen.

Erstens
auf dem Verfahren. Warum lassen sich die Stadtwerke, ihre Konsorten und die beteiligten Räte freiwillig so unter Druck setzen? Sowohl die Abläufe wie die Bedingungen des Steag-Deals sind von evonik gesetzt, und das höchst kurzfristig und scheibchenweise. Ganz offensichtlich verfolgen hier nicht die Stadtwerke eine durchdachte Strategie, sondern die RAG-Stiftung will für die Ewigkeitskosten des Bergbaus nach 2018 ihr größtes Vermögen, nämlich die evonik, gewinnbringend an die Börse bringen. Dafür soll evonik die Steag mit dem Kern ihrer teils veralteten und wirtschaftlich riskanten Stromerzeugung durch Kohleverbrennung los werden. Das bestimmt den Takt, nicht die beteiligten Kommunen.
Schon diese Art von Entscheidungsprozess, die dem Diktat der RAG-Stiftung folgt, ist für mich Grund zur Ablehnung. Dabei geht es übrigens durchaus um eine Art Paradigmenwechsel. Die Kommune will ihre Kernaufgabe Daseinsvorsorge erweitern um die Produktion von Waren, nämlich Strom und Fernwärme, und muss dann sehen, wie sie die vermarktet. Unabhängig davon, wie man dazu steht: Das in wenigen Wochen, ohne die Verträge offen zu legen, durchhauen zu wollen, ohne dass die Auswirkungen vor allem für die Bürger abschätzbar sind, halte ich für falsch.

Zweitens
ist für mich der Kauf aus ökologischen Gründen abzulehnen. Ökologisch ist Kohleverstromung ein Fossil. Es ist doch kein Zufall, sondern umweltpolitisch bedingt, dass sich die Steag-KKWs Walsum, Hamm und Herne verzögern, und das Eon-KKW Datteln wohl gar nicht ans Netz geht. Einer Stadt wie Essen, die sich Umweltschutz- und Klimaschutzziele steckt und damit wirbt, steht es schlecht zu Gesicht, ein solches Fossil zu kaufen und weiter zu betreiben. Der Hauptanteil fossiler Kraftwerke an der weltweiten Klimaerwärmung ist wissenschaftlich unbestritten. Hier muss gegengesteuert werden, statt sich daran zu beteiligen!

Was für ein Konzern ist die Steag eigentlich? Nach Zahlen von 2009 machte er über 2,6 Mrd Umsatz, davon rd 1,4 Mrd oder 54 Prozent mit Kohlestrom, dem Hauptgeschäft, davon über ein Drittel im Ausland. Weit weniger, nämlich 248 Mio oder 9 % des Umsatzes, kamen aus dem Bereich erneuerbare Energien, wobei Ingenieurleistungen usw. enthalten sind. Das meine ich mit Fossil. Und das wird unterstrichen durch den Rest des Umsatzes von knapp 1 Mrd oder 38 Prozent, die ausgerechnet mit Kohlehandel gemacht werden.

Wollen die Stadtwerke jetzt internationale Kohlenhändler werden? Oft genug mit Kohle aus Ländern mit menschenrechtsverletzenden Arbeitsbedingungen? Das Geschäftsinter-esse besteht hier natürlich darin, diese Kohle zur Verbrennung zu liefern, also für Millionen Tonnen CO2-Ausstoß in die Atmosphäre. Das ist nicht zu akzeptieren für kommunale Dienstleister wie es die Stadtwerke sein sollten.

Eine Umrüstung alter KohleKW auf modernere GuD-KW und dazu möglichst noch mehr Erneuerbare – das findet sich nirgends als verbindlich. Laut Anlage 2 (S.4) wird betont, dass „unternehmerische Entscheidungen insbes. bei Großprojekten strikt nach angemessenen Rendite- und Risikogesichtspunkten getroffen werden“ sollen. Und für die ist der Weiterbetrieb von KohleKW rentabel. Von Umwelt keine Rede.

Dazu kommt: Zu den Nachfolgekosten dieses Kaufs für notwendige oder vielleicht sogar gewünschte Stilllegungen und Ersatz- oder Neuinvestitionen liegen uns heute keinerlei Angaben vor! Bei einem Gesamtwert der Steag von 3,7 Mrd können Folgeinvestitionen schnell in den Milliardenbereich klettern, ein Risiko vor allem für die Bürger der Städte, wenn sich die Stadtwerke dafür weiter verschulden müssen, und dafür ihre Preise erhöht werden, oder Gebühren und Preise an anderer Stelle, wenn Quersubventionierungen etwa des ÖPNV wegfallen.

Drittens
lehnen wir deshalb den Kauf aus ökonomischen Gründen ab. Ich möchte gar nicht auf die Mechanismen der Preisfindung, der Optionen usw. im Einzelnen eingehen. Sie tragen in jedem Fall die Handschrift von evonik und der Absicherung ihrer Strategie. Sie sind nicht das Entscheidende, sondern die Frage:

Welchen Maßstab soll man denn anlegen, ob sich der Kauf „lohnt“, wie die meisten hier beschwören? Ich meine, hier sind nicht Auswirkungen auf die SWE, ihre Konsorten, Vorschaltgesellschaft usw. entscheidend, sondern welche Folgen das für die Bürger der Stadt hat. Essen wird dieses Jahr mit über 3,1 Mrd verschuldet sein bei den Banken, die Konsortialstädte zusammen mit rund 12 Mrd. Alle haben Haushaltssicherungskonzepte mit schmerzhaften Einschnitten für ihre Bürger. In ihrem Interesse ist doch Risikominimierung angesagt und nicht Höherverschuldung durch die Aufnahme von Krediten für ein 1,2 langfristiges Mrd-Geschäft mit hohem Risiko.

Dieses Risiko will evonik los werden, weil es in vieler Hinsicht gefährlich ist. Wenn ab 2013 für CO2-Zertifikate zu zahlen ist, sollen die Stadtwerke das tragen. Wenn die veraltete Technik gesellschaftlich nicht mehr haltbar ist, sollen die Stadtwerke Umrüstungen tragen. Die Energieriesen gehen alle von sinkenden Margen und Vermarktungsschwierigkeiten beim Strom aus, der Steag-deal aber nicht. Dieses entscheidende wirtschaftliche Risiko wird negiert oder schön geredet. So wird kein Wort über die Schwemme mit Atomstrom verloren, die mit der Laufzeitverlängerung der AKWs den Markt jahrelang fluten wird.

In der Folge dieser unkalkulierbaren Risiken muss beim Bürger kassiert oder zumindest „gespart“ werden. Letztlich muss er dafür gerade stehen, das lehnen wir ab. Daran ändern auch die Finanzierungsmodelle nichts, nach denen es nur um ein paar Millionen für Essen gehen soll. Denn auch für die 70 Prozent, die über die Vorschaltgesellschaft finanziert werden, stehen deren Gesellschafter gerade, wenn es schief läuft, wer denn sonst. Daran ändert auch die Hereinnahme eines Privatinvestors nichts grundsätzlich. Der Wunsch danach besteht ja wegen des Risikos dieses Geschäfts, und ich wage die Prognose, dass sich keiner auftreiben lässt.

Nein, es läuft alles auf eine sehr wahrscheinliche, langfristige und hohe Belastung der Stadt hinaus, deren prekäre Finanzlage zu Lasten der Bürger verschlechtert wird. Dem kann ich nicht zustimmen.

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