Dietrich Keil zum Teilnahmeantrag der Stadt am Stärkungspakt NRW

Essen steht AUF – Ratsherr Dietrich Keil – Ratssitzung 28.3.2012

Zu TOP 21 – Teilnahmeantrag der Stadt am Stärkungspakt NRW
Der sog. „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ der Landesregierung wurde im Dezember beschlos­sen, nachdem er jahrelang unter dem Namen „Entschuldungsfond“ als Lösung der Finanzkrise der NRW-Städte angepriesen wurde. Von Entschuldung kann aber keine Rede sein, deswe­gen wurde dieser Name tunlichst kassiert. Der nun umgetaufte Stärkungspakt löst die grundle­genden Probleme keineswegs, sondern soll vor allem die Widersprüche der Städte zu ihrer fort­dauernden Unterfinanzierung dämpfen, und ist deshalb in meinen Augen untauglich.

Innen- und Kommunalminister Jäger hat inzwischen 34 Städte und Gemeinden an die Spitze der finanziellen Hilfsbedürftigkeit gestellt, das sind nicht einmal zehn Prozent der 396 NRW-Kommunen. Städte wie Essen mit einer riesigen Ver-, aber noch nicht Überschuldung sind ausgeschlossen. Die 34 müssen teilnehmen, ob sie wollen oder nicht, und werden zu einem rigorosen Sparprogramm auf Kosten der Bürger verpflichtet. Die Mittel dafür, jährlich 350 Mio bis 2020, sind Landesmittel. Dürens Bürgermeister nennt das einen «Versuch, einen Flächen­brand mit dem Wassereimer zu löschen». Er hat Recht: Letztes Jahr waren die NRW-Kommunen mit 53 Milliarden verschuldet.
Für freiwillig teilnehmende Kommunen der zweiten Stufe – da will Essen dabei sein – gelten bei weniger Finanzmitteln im Prinzip die gleichen Knebelbedingungen: Sie sollen in sechs Jah­ren mit den Mitteln des Stär­kungspakts Haushaltsausgleich erreicht haben, drei Jahre spä­ter ohne diese Mittel. Dazu muss statt des üblichen HSK ein sog. Haushaltssanierungsplan vorge­legt werden, ohne dass bei über 100 berechtigten Kommunen überhaupt klar ist, ob und wie viel ihnen an zusätzlichen Mitteln zufließen würde. Viel kann es nicht sein. Und weiter gilt für mich: So wie die Haushaltssicherungskonzepte in Essen schon immer auf Kosten der Daseins­vorsorge gingen, so gilt das verschärft für dieses neue Kontrollinstrument. Es ist für mich genauso abzulehnen.

Dazu kommt: Die noch geringeren Mittel für die zweite Stufe des Stärkungspakts sind keine Lan­desmittel, sondern kommen aus der Ausgleichsmasse des Gemeindefinanzierungsgeset­zes. Es gibt bereits Städte, die befürchten, dass ihnen dann aus dieser Masse mehr abge­zo­gen wird, als sie an Unterstützung aus dem Stärkungspakt erhalten würden. Letztlich sollen sie diese Stufe also selbst bezahlen.
Für diesen Widersinn, der mir vorkommt wie der Esel, dem sein Reiter zum Laufen eine Stange mit einer Möhre vor die Nase hält, dafür also will sich Essen bewerben. Ich halte es für völlig absurd, dass sich die Stadt wegen der Teilnahmebedingungen, so wie auch MH und andere, dazu mit fal­schen Zahlen in 2016 überschuldet rechnen muss, obwohl eigentlich das Ziel besteht, schon vorher ausgeglichen zu sein. Diese uns präsentierten fiktiven Rechnungen könnten ehrlich gesagt aus Schilda stammen.

Umsomehr ist zu kritisieren, wenn die Kämmerei trotz der zugegeben „schwer beherrschbaren Zinsaufwendungen“ von historischen Chancen spricht und meint, sogar Kassenkredite mit den völlig unsicheren Zuwendungen tilgen zu können. Das ist reines Wunschdenken, und so wohl auch von Düsseldorf beabsichtigt. Ausweislich des geltenden Haushalts ist in Essen bis 2015 mit jährlich 150 Mio Zinsen zu rechnen, die schnell in die Höhe schießen bei über drei Milliar­den Schulden, wenn das Zinsniveau auch nur geringfügig steigt. Da sollte man eher von ei­nem historischen Zinsrisiko sprechen!

Zu kritisieren ist auch, dass der Stärkungspakt nur vom Eigenkapitalverzehr ausge­ht, und die Schuldenlast insgesamt, in Essen eine der höchsten deutschlandweit, ausge­klam­mert wird. Deshalb beklagt die Stadt Leverkusen zu Recht: “Das kommunale Selbstve­r­wal­tungsrecht, das in der Landesverfassung festgeschrieben ist, existiert nur noch auf dem Papier. Wir haben zum Teil griechische Verhältnisse bei den Stadtfinanzen in NRW.“

Der Vergleich ist nicht abwegig. Wie die Euro-Rettungsschirme bei Griechenland, so hat auch der Stär­kungspakt objektiv die Wirkung, die Gläubigerbanken zu bedienen, ohne dass dem grie­chi­schen Volk bzw. den Bürgern der NRW-Städte damit geholfen wäre, im Gegenteil, sie sollen dafür bluten. Das ist meine Hauptkritik.

Bisher galt als sicher, dass Städte im Haftungsverbund mit dem Land nicht insolvent werden können. Inzwischen gibt es aber mehr oder weniger offen Ratings für Kommunen, und erste Kre­ditsperren von Banken. Dem soll der Stärkungspakt entgegenwirken mit der Absicherung: Ihr kriegt schon eure Zinsen.

Dabei ist ein wirklicher Schuldenschnitt, also die Niederschlagung ganz oder teilweise der Schul­den auf Kosten der Banken, zwar ein kapitalistischer Sündenfall, aber in Euroland inzwi­schen nicht mehr tabu. Wenn wie bei Griechenland ein Totalausfall droht, sind die Banken auch mit einem Bruchteil ihrer sonst ja unantastbaren Forderungen zufrieden. Es war also kei­ne linke Spinnerei, wenn ich hier schon öfter eine reale Entschuldung der Kommune auf Kos­ten der Banken gefordert habe.

Der Stärkungspakt weicht dieser Konsequenz aus und will die Ban­ken besänftigen. Auch deshalb bin ich gegen die Teilnahme der Stadt Essen daran.

Die Profiteure der Verschuldung heranzuziehen statt die Folgen auf die Bürger abzuwälzen, das halte ich für den richtigen Weg. Früher oder später werden die Menschen dafür auf die Straße gehen, nicht nur in Griechenland.