Für eine solidarische und weltoffene Migrationspolitik!

Für eine solidarische und weltoffene Migrationspolitik!

Für eine solidarische und weltoffene Migrationspolitik!
von DIE LINKE. Essen | April 27, 2018 | Antirassismus, Frieden & Internationales, Kreisparteitag | Keine KommentareFür eine solidarische und weltoffene Migrationspolitik!

„Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen.
Er kommt auch nicht auf so eine einfache Weise zustande
wie ein Mensch.
Ein Mensch kann überall zustande kommen,
auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund,
aber ein Pass niemals.
Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist,
während ein Mensch noch so gut sein kann
und doch nicht anerkannt wird.“

Bertolt Brecht, Flüchtlingsgespräche (1940/41)

Als Linke stehen wir an der Seite aller Menschen, die auf dieser Welt unterdrückt und ausgebeutet werden. Für uns ist die internationale Klassensolidarität ausschlaggebend: „Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten.“ Eine Einleitung zum Antrag von Ralf Fischer findest du hier.
Migration ist ein Teil der Menschheit

Migration ist der Normalfall menschlicher Existenz, denn die Menschheit hat sich wandernd über die Welt ausgebreitet. Nach der „Out-of-Africa“-Theorie entstammt die Menschheit aus dem heutigen Afrika. Vor wahrscheinlich 70.000 bis 110.000 Jahren wanderten unsere direkten Vorfahren nach Mesopotamien und von dort in die ganze Welt hinaus.

Auch nach der Besiedlung des gesamten Globus wanderten die Menschen von Kontinent zu Kontinent, von Weltteil zu Weltteil. Diese Wanderungsbewegungen ziehen sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte, auch in der jüngeren Zeit. Von der Völkerwanderung der Spätantike bis zu den großen Migrations­bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts in die USA und andere Länder des damals fortgeschrittenen Kapitalismus.

Natürlich hat sich die Ab- und Zuwanderung von Menschen durch die Etablierung des Kapitalismus ver­ändert. Einwander*innen werden als Lohndrücker*innen missbraucht, Arbeiter*innen werden gegenein­ander ausgespielt, und der Rassismus wird geschürt. Gegen diese modernen Tendenzen werden wir aktiv.
Humanismus, Menschenrechte und Solidarität

Als LINKE stehen wir in der Tradition des Humanismus. Als die Menschen in Westeuropa die Fesseln des Feudalismus sprengten, taten Sie dies unter der Losung der Freiheit und Gleichheit aller. Die universellen Menschenrechte leiten sich daraus ab: Wenn jeder Mensch frei und gleich geboren ist, dann hat jeder Mensch, unabhängig von Nationalität, Herkunft, Religion, Geschlecht oder Weltanschauung, das selbstver­ständliche Menschenrecht auf Leben, auf körperliche und seelische Unversehrtheit, das Recht auf ein Leben in Würde, das Recht auf Wasser, Nahrung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Jeder Mensch hat das Recht, über das eigene Leben zu bestimmen, die Wohnung oder die Arbeit frei zu wählen, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Jeder Mensch hat folglich auch das Recht, in Frieden und Wohlstand zu leben.

Im Kapitalismus sind die Menschenrechte immer in Gefahr. In einer Gesellschaft, die weltweit auf Ausbeutung beruht, auf dem Gegensatz von Kapital und Arbeit, auf der Spaltung zwischen arm und reich, werden die Ärmsten in aller Welt zu Opfern der Strategien des internationalen Großkapitals. Mit ihren Waffenexporten, mit ihren Kriegen in aller Welt, mit ihren umweltzerstörenden Technologien und ihren ausbeuterischen Arbeitsbedingungen erzeugen die „reichen“ Länder erst die Fluchtbewegungen, die sie anschließend beklagen. Als LINKE wissen wir, dass erst eine andere Gesellschaftsordnung die Bedingungen dafür schafft, die Menschenrechte universell durchsetzen zu können.

Damit sind wir bei Karl Marx, der dazu aufrief: „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“ Den Ärmsten, den Ausgebeuteten, den Geknechteten dieser Welt gilt unsere Solidarität. Offene Grenzen für alle sind die einzig richtige Konsequenz auf die Krisen dieser Welt. Wie können wir Menschen verweigern, sich dort niederzulassen, wo sie ein besseres Leben erwarten, vor allem, wenn sie selbst für die Umstände nicht verantwortlich sind: „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.“ (Karl Marx)
Nein zum Einwanderungsgesetz

Der siebte Kongress der 2. Internationale fasste richtigerweise zusammen: „Die Ein- und Auswanderung der Arbeiter sind vom Wesen des Kapitalismus ebenso unzertrennliche Erscheinungen wie die Arbeitslosigkeit, Überproduktion und Unterkonsum der Arbeiter.“ Der Kapitalismus hat sich seit Marxens Lebzeiten weiter­entwickelt. Trotzdem bleiben die damaligen Feststellungen richtig. Unter kapitalistischen Bedingungen hat jegliche gesetzliche Regelung von Einwanderung stets einen stark restriktiven Charakter: Sie regelt immer auch, unter welchen Bedingungen Menschen gehen müssen. Das trifft leider auch für das vorliegende Konzept der ostdeutschen Landtagsfraktionen der LINKEN für ein Flüchtlings- und Einwanderungsgesetz zu.

Daraus ergibt sich ein ziemlich konkretes Bild, wie „Bewegungsfreiheit, soziale Sicherheit, Gleichstellung und Teilhabe“ erreicht werden können. Um diese Forderungen durchzusetzen, brauchen wir kein linkes Einwanderungsgesetz. Es ist vielmehr Aufgabe der Linken, gegen ausschließende und diskriminierende Gesetze zu kämpfen. Dieser Kampf kann kein rein parlamentarischer sein, sondern bedarf des Aufbaus gesellschaftlicher Gegenmacht durch soziale Bewegungen, auch und gerade mit Migrant*innen.

Letztendlich müssten linke Befürworter*innen eines Einwanderungsgesetzes erläutern, welche Kriterien für Einwanderung und Ausschluss ausschlaggebend sind, und die Frage beantworten, ob sie mit ihrer Argumentation nicht einer kapitalistischen Nützlichkeitslogik auf den Leim gehen. Zudem stellt sich die Frage, wie man mit jenen Menschen umgehen möchte, die dennoch einwandern und sich einer solchen Logik nicht unterwerfen wollen. Für uns ist klar: Ein Einwanderungsgesetz ist kein linkes Konzept.
Offene Grenzen

Natürlich sehen auch wir die Probleme, die Einwanderung unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen mit sich bringen kann. Doch wir ergeben uns nicht den Sündenbockrufen und der (Un-)Logik nationaler Kapitalfraktionen, die nach geschlossenen Grenzen rufen. Stattdessen wollen wir die Ursachen für Flucht bekämpfen, die internationale Klassensolidarität stärken und die Betroffenen nicht chauvinistisch ausgrenzen. Wir halten fest am Erfurter Programm unserer Partei, in dem es heißt: „Wir fordern offene Grenzen für alle Menschen.“ Aus diesem Grund verweigern wir uns der Debatte, wer kommen und wer bleiben darf, und fordern:

Abschaffung aller Beschränkungen, die Menschen vom Aufenthalt in diesem Land und den sozialen, politischen und ökonomischen Rechten der Einheimischen ausschließen.
Abschaffung des modernen Grenzregimes, angefangen bei der Festung Europa. Eröffnung legaler Fluchtwege, um Schlepper und kriminelle Organisationen trockenzulegen.
Abschaffung der Praxis der Abschiebung und Wiederherstellung des Asylrechts von vor 1992 als ersten Schritt zur Entwicklung eines uneingeschränkten humanitären Asylrechts im Sinne der Vereinten Nationen. Gleiche Strafen für die gleichen Taten. Sonderstraftatbestände, die nur für einzelne Gruppen gelten, sind aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.
Abschaffung von Fiktionsbescheinigungen und Kettenduldungen. Vereinfachte Einbürgerung von Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben. Uneingeschränkte Möglichkeit der mehrfachen Staatsbürgerschaft. Straferlass in allen Fällen des Verstoßes gegen das derzeit geltende Aufenthaltsrecht; Entkriminalisierung des illegalisierten Aufenthalts in Deutschland.
Uneingeschränktes Wahlrecht für alle Menschen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene, die seit mindestens fünf Jahren ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben.
Gesetze gegen Lohndrückerei, die verhindern, dass Arbeiter*innen wie Waren von Land zu Land „verschoben“ werden. Wir fordern einen stärkeren gesetzlichen Arbeiter*innenschutz durch Verkürzung des Arbeitstages, eine Anhebung des Mindestlohns auf ein deutlich höheres Niveau ohne Ausnahmen, eine höhere und auskömmliche Rente, Abschaffung sachgrundloser Befristungen, das Verbot von Streikbruch sowie das Recht auf Arbeit.
Uneingeschränkten Zugang zu Bildung, Kultur und gesellschaftlicher Teilhabe. Gesundheits- und Sozialwesen sind so auszubauen, dass alle Menschen die gleiche und ausreichende Daseinsvorsorge in Anspruch nehmen können, niemand bevorteilt und niemand benachteiligt wird.
Bekämpfung von Fluchtursachen: Krieg, Waffenexporte, Klimaveränderung und die Ausbeutung des globalen Südens durch den Norden müssen verhindert werden. Die Verbindung der Kämpfe um Umwelt­schutz, um gute Löhne und gegen Krieg sind essentiell für eine solidarische Welt. Diese Fluchtursachen sind international als legitime Fluchtgründe anzuerkennen und in das Asylrecht aufzunehmen.
Ein solidarisches und bedarfsorientiertes Weltwirtschaftssystem, das die individuellen sowie lokalen Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt und auf regionale Wirtschaftskreisläufe setzt. Für einen guten Lebensstandard weltweit, der die Natur schont und Ressourcen fair verteilt.

Wir stehen an der Seite der Menschen, nicht des Kapitals

Wir widersprechen an dieser Stelle allen, die sich für eine Begrenzung der Migration einsetzen wollen. Wir widersprechen allen, die sich für stärkere Grenzkontrollen, Deportationen/Abschiebungen und Einwande­rungsbeschränkungen aussprechen.

Stattdessen stellen wir uns in die Tradition von Karl Marx, Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Clara Zetkin und anderen Teilen der Linken, die sich stets gegen Rassismus, Chauvinismus und Migrationsbeschrän­kungen eingesetzt haben und es auch heute noch tun.

Der Kampf um die Gleichstellung aller in Rechten und Pflichten, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder Weltanschauung, ist nach wie vor das beste Mittel gegen die mit dem Kapitalismus untrennbar verbundene Spaltung und Ausbeutung.
Begründung:

Liebe Genossinnen und Genossen,

der Kreisverband DIE LINKE. Essen legt dem Bun­desparteitag nach gründlicher interner Debatte das vorangestellte Positionspapier zur Migrationsfrage vor. Der Bundesparteitag als höchstes Gremium der Partei möge mit der Beschlussfassung ein nach außen wie innerparteilich deutlich sichtbares Zeichen gegen Rassismus setzen.

Wir berufen uns vor allem auf das Grundsatzpro­gramm unserer Partei, in dem es heißt: „Allen in Deutschland lebenden Menschen ist unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus eine Gesundheits­versorgung zu garantieren. Schutzsuchende dürfen nicht abgewiesen werden. Wir fordern offene Grenzen für alle Menschen.“ (Erfurter Programm, Seite 52)

Wir wollen, dass unsere Partei diese grundlegende Haltung mit einem solchen Positionspapier argu­mentativ untermauert und damit in die gesell­schaftliche Debatte eingreift. Denn Migration, gleich aus welchem Grund, ist so alt wie die Menschheit. Wir alle sind zu 100 Prozent Nach­fahren von Migrant*innen! Wer dies verleugnet, verleugnet sich selbst.

Doch vom Grundsatz der offenen Grenzen wurde in den vergangenen zwölf Monaten immer wieder abgewichen. Internationalismus und Klassenso­lidarität wurden nationale Borniertheit, Chauvi­nismus und Kurzsichtigkeit entgegengestellt. Der vorliegende Antrag soll dazu dienen, unsere LINKEn Grundsätze in Erinnerung zu rufen und uns die Weitsicht zu geben, sie zu bewahren und weiterzuentwickeln.

Als LINKE stehen wir an der Seite aller Menschen, die auf dieser Welt unterdrückt und ausgebeutet werden – für uns ist die internationale Klassen­solidarität ausschlaggebend. „Was bedeuten Grenzen? Was sind Grenzen? Was bezwecken Grenzen? […] Wir Arbeiter haben keine Grenzen nötig; diese dienen nur gewissen Schichten jedes Landes, denen alle Mittel gut genug sind, die Völker zu verhetzen.“ (Karl Liebknecht)

Auch der siebte Kongress der 2. Internationale fasste 1907 richtigerweise zusammen: „Die Ein- und Auswanderung der Arbeiter sind vom Wesen des Kapitalismus ebenso unzertrennliche Erscheinungen wie die Arbeitslosigkeit, Überproduktion und Unterkonsum der Arbeiter.“ Der Kapitalismus hat sich seit den Zeiten Liebknechts weiterentwickelt – dennoch bleiben die Feststellungen richtig.

Entsprechend ist ein Einwanderungsgesetz weder damals noch heute ein linkes Konzept, sondern vielmehr das Produkt eines neoliberalen Nütz­lichkeitsrassismus, der Menschen im Sinne der herrschenden Klasse danach bewertet, wie viel Profit man aus ihnen ziehen kann. Denn wer sagt, wer kommen darf, sagt im gleichen Atemzug, dass es auch eine Gruppe gibt, die nicht kommen darf. Wenn dem nicht so wäre, bräuchte man kein Einwanderungsgesetz.

Diese verstoßen tagtäglich gegen LINKE Program­matik. Doch auch die Konzeption eines neuen Einwanderungsgesetzes macht es nicht besser. Wenn im Papier der ostdeutschen Landesverbände behauptet wird, man würde Abschiebungen nur in Staaten vollziehen, die eine menschenwürdige Existenz zusagen, dann unterscheidet sich das im Ergebnis kaum vom aktuellen Stand der Politik. Im ostdeutschen Papier heißt es, eine zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht sei zulässig. Inwiefern passt dies zu einer Politik, die interna­tional und klassensolidarisch organisiert ist und die die Menschenrechte ernst nimmt?

Darum, liebe Genossinnen und Genossen, bitten wir euch, dem Migrationspapier zuzustimmen. Wir bitten euch, DIE LINKE für eine zukunftsorientierte und solidarische Migrationspolitik aufzustellen. Wer im 21. Jahrhundert noch der Meinung ist, mit Abschiebungen oder „Migrationskontrolle“ Einwan­derung regeln zu können, begibt sich mit voller Absicht in den Sumpf kleinbürgerlicher Logik.

Mit der Annahme dieses Antrags kann es der Partei DIE LINKE zum einen gelingen, die Irritationen innerhalb der Partei auszuräumen, welcher Kurs denn nun eigentlich gefahren werden soll. Zum anderen benötigen die vielen Initiativen in der Gesellschaft, in denen ehrenamtlichen Helfer*in­nen die Geflüchteten unterstützen, ein Signal, das ihr Engagement würdigt und untermauert, indem wir argumentatives Rüstzeug bieten. Eine Gesell­schaft, die in ihrer Haltung gegenüber Migration schwankt oder gar vollständig in rechtes Fahrwas­ser zu geraten droht, braucht eine starke und wirkmächtige Positionierung von links!

Beschluss des Kreisparteitages DIE LINKE. Essen vom 3. Februar 2018, redigiert in dessen Auftrag von einer für alle Mitglieder offenen Arbeitsgruppe.