Eine Straße für Hans Marchwitza
Leserbrief betreffend Artikel und Kommentar in der WAZ/NRZ Lokalausgabe Essen vom 5.4.2011 –
Eine Straße für den Stoppenberger Bergarbeiterdichter Hans Marchwitza!
Ich weiß nicht, ob der sowjetische Diktator Stalin je eine Zeile von Hans Marchwitza gelesen hat. Theoretisch könnte es so sein, denn zumindest sein erster Roman „Sturm auf Essen“ von 1930, wurde u.a. auch ins Russische übersetzt. Zu recht vergessen, wie Herr Stenglein in seinem Artikel postuliert, ist Marchwitza auf jeden Fall nicht. Ich bin davon überzeugt, dass Literatur, die in klarer einfacher Sprache darstellt, wie in unserer Stadt vor 100, 80 oder 70 Jahren gelebt wurde, wie die einfachen „Malocher“ überlebten, bis heute lesenswert ist. Niemand muss deshalb diesen Arbeiterschriftsteller für eine zweiten Thomas Mann halten.
Bevor Hans Marchwitza in den zwanziger Jahren mit dem Schreiben begann, gehörte er 1910 zu den Zig-Tausenden von Zuwanderern, die mit großen Versprechungen aus Oberschlesien in den goldenen Westen des Ruhrbergbaus gelockt wurden. Tatsächlich waren die Löhne hier besser, das Leben blieb für viele Kumpels aber erbärmlich und gefährlich. Der Arbeitsalltag war schlecht genug, dass sich viele Bergleute als Freiwillige für den ersten Weltkrieg meldeten und zu oft in den Schützengräben starben. In dieser Kriegserfahrung war Hans Marchwitza einer der wenigen Soldaten, die nach furchtbaren Kriegsjahren den Schritt wagten und aus diesem Eroberungskrieg desertierten.
Sein späteres Engagement als Streikführer im Bergbau, als Truppenführer der „Roten Ruhrarmee“ 1920 im Kampf gegen den rechtsradikalen Kapp-Putsch, seine ab 1933 in Hitler-Deutschland verbotenen Bücher, ab 1936 sein Mitwirken in den internationalen Brigaden im Kampf gegen Franko-Spaniens Diktatur, sein folgendes Exil in Frankreich und den USA wo er sich als Bauarbeiter über Wasser hält, all das weist Marchwitza als Person aus, die das Gegenteil des bequemen Hofsänger eines Staates ist.
Im Alter von 57 Jahren kehrt Marchwitza in ein zerstörtes Deutschland zurück, dass ihn zumindest in der damaligen sowjetischen Besatzungszone mit offenen Armen empfängt. Seine lange verbotenen Bücher werden wieder aufgelegt, und er ist bereit, jedwedes Vertrauen in dieses neue Deutschland zu stecken. Dass sich die bald gegründete DDR dann eben nicht in die erhoffte, tatsächlich demokratische wie sozialistische Republik entwickelt, ist nicht im besonderen diesem Arbeiterschriftsteller vorzuwerfen.
Darf man Kommunisten ehren?
Natürlich ist es das gute Recht von WAZ, NRZ und der CDU, keine Autoren oder andere Personen ehren zu wollen, die sich zu ihren Lebzeiten zum Kommunismus bekannt haben. Konsequenterweise müssten sie dann auch Bertold Brecht, wie den früheren Essener KPD Oberbürgermeister und späteren Bundestagsabgeordneten Heinz Renner von den Straßenschildern herunterholen, oder sich gegen die Ehrung des früheren Kreissekretärs der KPD, Dr. Ernst Schmidt am Essener Stadtarchiv wenden.
Ich habe da liberalere Vorstellungen: Nur weil ein Autor mit hohen Auflagen erfolgreich auch in der DDR der fünfziger Jahre publizieren konnte, ist er kein stalinistischer Hofsänger gewesen.
Frank Stengleins Artikel suggeriert, es gebe belegbare Denunziationen von Hans Marchwitza gegenüber staatskritischen Schriftstellerkollegen oder anderen Bürgern. Der in den fünfziger Jahren und auch nach seinem Tod 1965 in der DDR hochgeehrte Marchwitza hätte also in seinem persönlichen Verhalten mit seiner Kommunismusbegeisterung anderen geschadet. Falls hier Fakten vorliegen sollten, müssen die auch ans Tageslicht kommen. Nach meiner Lektüre verschiedener Literaturgeschichten sind das jedoch unbewiesene Behauptungen.
Ich verlasse mich bei der Beurteilung des Lebenswerks eines Menschen, nicht auf Gerüchte, sondern bewerte einen Schriftsteller nach Tatsachen und seinen Texten.
Mit freundlichem Gruß, Walter Wandtke
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16:49
Dass es der Antikommunismus von CDU-Ratsherr Hans Schippmann, der NRZ, der WAZ und Frank Stenglein nicht zulässt, einen Kommunisten zu ehren, kann ich ja noch nachvollziehen. Dass sie aber nicht einmal in der Person von Hans Marchwitza den Antifaschisten sehen wollen, grenzt schon an Verbohrtheit. Meine politische und weltanschauliche Überzeugung weicht stark von der der Katholiken ab. Ich würde aber nie den Antifaschismus .beispielsweise der Geschwister Scholl anzweifeln und ihnen die Inquisition und die Kreuzzüge zum Vorwurf machen.