SvD-Reportage: Krisengeschütteltes Griechenland
Übersetzung von Olaf Swillus aus:
http://www.svd.se/krisdrabbade-grekland–nya-porten-till-eu
Av Tomas Lundin, 17 jul, 2015
1507_svd_Grekland_porten_till_eu_deutsch_v0.pdf
Krisengeschütteltes Griechenland
– neues Tor zur EU
Das krisengeschüttelte Griechenland ist heute das wichtigste Einreiseland für
Flüchtlinge zur EU. Auf gebrechlichen Booten begeben sie sich auf eine
riskante Fahrt zu den griechischen Inseln vor der Türkei und dann nach Athen,
wo viele in tiefem Elend stecken bleiben.
Am frühen Morgen im Hafen von Pireaus. Die Fähren von den verschiedenen
griechischen Inseln beginnen einzulaufen, und mit ihnen eine Mischung von
Touristen und Flüchtlingen. Foto: Linus Sundahl-Djerf
Von Tomas Lundin fre, 05.45
ATHEN.
Es ist sechs Uhr morgens.
Im Hafen von Pireus gleiten die ersten Fähren herein von den Ferienparadiesen
Lesbos, Samos und Kos, die nur einige Seemeilen von den großen türkischen
Hafenstädten entfern liegen.
Des öfteren sind die Fähren brechend voll mit Flüchtlingen. Aber an diesem Morgen
sind es nur ein dutzend Famlien oder kleine Gruppen junger Männer, die müde und
mit eingefallenen Augen hinaussteigen ins brausende Stadtleben von Pireus.
In den Händen haben sie Plastiktüten mit einigen wenigen Habseligkeiten, das
wenige das sie aus einem Leben in Krieg, Terror und Hunger mitnehmen konnten.
Sie wollen nicht mit uns sprechen. Aber wissen wohin sie gehen. Zum Victoria-Platz
im Stadtzentrum von Athen und einem Treffpunkt für alle, die auf der Flucht sind.
Ibrahim Kassim (Mitte) macht sich zusammen mit der Famlie seines Bruders fertig
um mit dem Buss nach Tessaloniki zu kommen, von wo sie versuchen weiter nach
Deutschland zu kommen. Foto: Linus Sundahl-Djerf
Dort treffen wir Mohammed Kasim und seine Familie. Die sitzen auf einem
Berg von Säcken, Tüten und Reisetaschen, die sie unter einem Baum plaziert haben.
Um sie herum gibt es hunderte Flüchtlinge. Erschöpfte Kinder, die schlafen, junge
Männer, die Volleyball spielen, Frauen in langen schwarzen Kleidern und Schleiern.
Oft sind die Fähren brechend voll mit Flüchtlingen. Foto: Linus Sundahl-Djerf
Mohammed und seine Famlie sind aus dem kurdischen Kobane in Nord-Syrien
geflohen. Als die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) vorrückte und zum Schluss
die Stadt belagerte blieb nur übrig zu packen und zu fliehen, genauso wie 200.000
andere Kurden aus Kobane es bereits getan haben.
Die Familie nahm die zurzeit häufigste Flüchtlingsroute über das Mittelmeer. Von
Istanbul zur türkischen Küste und von dort aus zu den griechischen Inseln, eine Reise
mit Lebenseinsatz. Alles arrangiert von Menschenschmugglern.
– Wir waren 56 Personen in einem kleinen Gummiboot. Das war gefüllt bis zur
Belastungsgrenze und jedes Mal wenn Wellen überschwappten, dachten wir, dass wir
untergehen würden, erzählt Mohammed, der während der ganzen Reise zur Insel
Chios die beiden Kinder in den Armen hielt.
Mohammed Kasim, von Kobane, Syrien, wartet zusammen mit seiner Familie den
Buss nach Tessaloniki besteigen zu können, von wo sie versuchen werden durch
Europa nach Deutschland zu kommen. Foto: Linus Sundahl-Djerf
Seit Beginn des Jahres ist die Flüchtlingswelle nach Griechenland
dramatisch gestiegen. In den ersten sechs Monaten des Jahres kamen 68 000, viel
mehr als im ganzen Jahr 2014 und mehr als nach Italien, das bis dahin des ersteFluchtland in der EU war. Über 90 Prozent kommen von Syrien, Irak, Somalia,
Afghanistan und Eritrea, ganze 60 Prozent aus dem von Krieg zerstörten Syrien.
Früher kamen die meisten über den Landweg. Aber seit die Kontrollen bei den
Grenzen zur Türkei im Nordosten Griechenlands verschärft wurden, die dieser Weg
praktisch versperrt. Amnesty International behauptet, dass grieschische
Grenzbeamte Flüchtlinge mit Gewalt zwingen in die Türkei zurückzukehren.
– Nicht genug damit, dass es gegen internationales Recht verstößt. Es zwingtausserdem verzweifelte Flüchtlinge den gefährlichen Weg über das Ägeische Meer zu
wählen, kritisert John Dalhuisen von Amnesty.
Am frühen Morgen im Hafen von Pireaus. Die Fähren von den verschiedenen
griechischen Inseln beginnen einzulaufen, und mit ihnen eine Mischung von
Touristen und Flüchtlingen. Vodafone nutzt die Gelegenheit und verkauft
Telefonkarten besonders an Syrer. Foto: Linus Sundahl-Djerf
Auf den griechischen Inseln wurden die Behörden von der Masse der Flüchtlinge
überrumpelt. Nach der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR ist es auf der Insel Kos
am schlimmten mit über 7 000 Flüchtlinge seit Anfang des Jahres.
– Es gibt keine offizielle Flüchtlings-Entgegennahme. Kinder und Frauen schlafen
im Freien auf Straßen oder Parks oder in bommbadierten Hotels oder verlassenen
Gebäuden ohne Strom und fließendem Wasser. Es fehlt Essen und Trinkwasser sagt
die Sprecherin der Organisation Melissa Fleming.
Restaurants auf der Insel begannen Sichtschutz im Aussenbereich einzusetzen, weil
Turisten über Flüchtlinge klagten, die mir hungrigen Blicken ihre Mahlzeiten
verfolgten.
– Das ist dreckig und nachlässig. Und es fühlt sich ungemütlich an. Ich will nicht in
einem Restaurant sitzen mit Menschen die auf mich starren, sagt die britische
Touristin Anne Servante zur Zeitung Daily Mail.
Die Berichte in britischen Zeitungen haben eine Welle von Protesten in sozialen
Medien ausgelöst. Der Artikel wird als absgtoßend und unmenschlich bezeichnet,
Menschen, die verzweifelt vor Terror, Krieg und Unterdrückung fliehen verdienen
Respekt und nicht Verachtung, lautet die Kritik.
Sanako Panah (links), 32, war früher Ingenieur im Iran, wurde aber wegen seiner
kurdischen Herlunft gefangen genommen. Nach einem Jahr in Gefängnis gelang es
ihm über Schmiergeld frei zu kommen, und floh nach Griechenland.
Im Victoria Square, im nördlichen Teil von der Athener Innenstadt versammlen sich
die Flüchtlinge während den warmen Stunden des Tages. Kinder spielen und die
Erwachsene reden miteinander und warten auf die Nacht. Foto: Linus Sundahl-Djerf
Sanako Panah, 32, von Iran ist eine von ihnen.
Bilder, die er im Mobiltelefon hat, zeigen wie er sein Ingenieursexamen mit seinen
Freunden feiert, eine glückliche Zeit, die zuende ging als er von der Polizei ergriffen
wurde und wegen seines kurdischen Ursprungs ins Gefängnis gesetzt wurde. ImGefängnis war er ständig Übergriffen ausgesetzt. Aber nach zwölf Monaten gelang es
ihm einen Polizisten zu bestechen und zu fliehen. Aus Iran ging zur Türkei, und dann
zum till Victoria-Platz in Athen, wo er nun fest sitzt.
– Fast jeden Tag gehe ich zur Einwanderungsbehörde. Ich bin dort um fünf Uhr
morgens, und die Schlange ist dann schon lang. Wenn das Büro dann um neun Uhr
öffnet, wählen die Beamten einige aus. Dann schlagen sie wieder erzhählt Sanako.
Im Unterschied zu den meisten vom Victoria-Platz hat er Hoffnung geschöpft,
dass er von Griechenland nach Deutschkand oder Schweden kommen kann, was ein
Traum für die meisten ist. Ohne Papier von der Einwanderungsbehörde lebt er in
einem Schattenreich – illegal und abhängig von Gelegenheitsjobs auf dem schwarzen
Arbeitsmarkt, wo er vielleicht nicht einmal bezahlt wird nach zehn Stunden harter
Arbeit auf einer Baustelle. Aber das Schlimmste ist das Ausgeliefertsein. Geht man
zur Polizei wird man ermahnt das Land in 30 Tagen zu verlassen. Aber das geht ja
nicht. Der Weg nach Westeuropa ist verschlossen. Und zurück zu Krieg und
Verfolgung will niemand.
Mohammed Ebrahimir zählt das Geld für die Nachtunterkunft. Die
Flüchtlingsströme nach Athen sind ein lukratives Geschäft für gewisse Bewohner
geworden. Flüchtlingen wird ein Dach übern Kopf geboten für 3-5 Euro pro Person.
Oft drängen sich zwischen 15 une 20 Personen im Raum und man ist gezwungen im
Sitzen zu schlafen. Foto: Linus Sundahl-Djerf
– Wir sitzen fest. Wir können nicht weiter. Aber wir können auch nicht hier
überleben, sagt Mohammed Ebrahimir, der unserem Gespräch zugehört hatte.
Genau wie alle anderen kam er mit Boot nach Griechenland. – Wir waren 60
Personen in einem neun Meter langen Gummiboot. Kurz vor der Ankunft zur Insel
Samos ging es entzwei und wir mussten an Land schwimmen. Zwei Personen starben.
Nun wohnt Mohammed zusammen mit Ehefrau Maria und dem 4-jährigen Sohn
Sobhani in einer Mietwohnung in Athen, die sie mit 15 weiteren Flüchtlingen teilen,
manchmal sogar noch mehr.
– Manchmal müssen wir im Sitzen schafen, erzählt er.
Die Griechen, die an Flüchtlinge vermieten,verdienen gut. Der Preis für eineÜbernachtung ist in der Regel 5 Euro pro Person. Mit 20 Personen macht das 3000
Euro im Monat, umgerechnet circa 28000 Kronen für ein Einzelzimmer. Viele die es
sich nicht leisten können schlafen daher im Park Areos vor dem Victoria-Platz, ein
berüchtigter Aufenthaltsort von Drogenabhängigen und Alkoholikern. Am Rande des
Parks wurden wir Zeuge einer Polizeikontrolle. Fünf Polizisten mit Gesichtsmasken
haben zwei Flüchtlinge gezwungen auf die Knie zu gehen. Der ganze Körper zittert
unkontrolliert bei dem einen. Er wirkt verstört.
– Sie haben keine Papiere. Aber es ist ganz klar, dass sie illegale Einwanderer sind,
murrt einer der Polizisten.
Was passiert nun mit ihnen? Wir nehmen sie zur Polizei-Station, dann werden
wir sehen.
Im schlimmsten Fall landen sie in einen der berüchtigten Flüchtlingslager, zum
Beispiel in Amygdaleza am Rande Athens, das für 900 Flüchtlinge gebaut wurde aber
zeitweise über 2000 beherbergt. Das Lager wurde scharf kritisiert sowohl vom
Europagericht als auch von der Hilfsorganisatiion „Ärzte ohne Grenzen“ (MDM die in
ihrem letztem Report darauf hinweisen, dass Mangel herrscht an allem, von
Krankenversorgung zu Kleidung und Schuhe.
-Die Flüchtlinge sind vernachlässigt,
unterernährt und leben in vollständiger Isolation ohne Zukunftsaussichten, stellt
Nikitas Kanakis, Chef der griechischen MDM, nach einem Besuch zu Beginn des
Jahres klar. Auf dem Victoria-Platz ist es nun dunkel geworden. Viele sind zurück
gegangen in ihre überfüllten Räume. Andere sind auf dem Weg zu den Halteplätzender Überlandbusse nach Thessaloniki, das der Ausgangspunkt für die weitere Flucht
über die Grenze nach Makedonien und dann weiter nach Nord-Serbien und das EU-
Land Ungarn ist.
In einer langen Reihe entdecken wir Mohammed Kasim und seine Familie.Es ist
22:30 Uhr und die Kinder sind müde. Vor ihnen liegt eine Bussreise von fast sieben
Stunden. In Thessaloniki übernehmen dann Menschenschmuggler, die sie zur Grenze
führen, wo ein langer und mühevoller Fußmarsch ins Nachbarland Makedonien
führt. Der Bus ist brechend voll. Kinder winken von einen der Hinter-Fenster. Viel
Glück, rufen wir.
Danke, antwortet Mohammed und steigt ein.
Flüchtlinge drängen sich, um in den Bus nach Tessaloniki zu kommen,von wo die
meisten dann versuchen durch Europa, oft nach Deutschland oder Schweden zu
kommen. Foto: Linus Sundahl-Djerf
Das Ziel ist Deutschland, vielleicht Schweden. Mindestens fünf Grenzen werden
überwunden. Das Risiko, dass die Familie angehalten und nach Athen zurück
geschickt wird ist groß. In Ungarn wird nun ein neuer Grenzzaum an der serbischenGrenze aufgebaut mit hochtechnologischer Überwachung.
In einem neu herausgekommenen Amnesty-Report erzählen Zeugen von
Grenzpolizisten in Makedonien und Serbien, die ausraubt und mißhandelt haben,
über astronomische Schmiergelder und Banden, die sich darauf spezialisiert haben
illegale Flüchtlinge auszurauben. Aber was bedeutet das im Vergleich zu
Unterdrückung und blutigem Terror in Syrien oder Irak?
Zwei afghanische Flüchtlinge werden von griechischer Polizei festgenommen. Foto:
Linus Sundahl-Djerf
Neue Grenzen verschließen Fluchtwege.
Die neuen Grenzanlagen in Griechenland und Bulgarien haben den Landweg von der
Türkei über den Balkan zu EU abgeschnitten. Stattdessen kommen zehntausende
Flüchtlinge nach Griechenland über die Inseln vor der türkischen Küste.
Griechenland hat nun Italien als größtes Empfängerland in der EU abgelöst, aber es
ist für die meisten nur die erste Etappe auf den Weg zu Ländern wie Deutschland,
Niederlande, oder Schweden und Norwegen. Für die Bootsflüchtlinge ist es eine
riskante Reise. Von 137000 Menschen, die während des ersten halben Jahres über
das Mittelmeer flohen verloren 1800 ihr Leben, nach der UN-Flüchtlingsorganisation
UNHCR, die in einem neuen Bericht das Mittelmeer als Massengrab bezeichnet und
als tötlichste Grenze der Welt. Die Profiteur der Flüchtlingskrise sind die
Menschenschmuggler. Es ist ein ganzer Wirtschaftszweig mit einem wogl
ausgebauten System von Transportwegen, Geldwäsche und Fälscherwerkstätten für
Identitätspapiere.
Für einen gestohlenen britischen Paß bezahlt man in Athen bis zu 2000 Euro. Aber es
gibt auch eine ganze Industrie von professionellen Druckerreien in Thailand, China
und Bangladesh, die den europäischen Markt versorgen.
Eine große Rolle spielt auch das muslimische Bank-System Hawala, das ein Netzwerk
informeller Wechselstuben ist, die versteckte Geld-Transaktionen zuläßt. Es wächst
nun stark in Griechenland und hat schon Verbindungenzu Hawala-Büros in Italien
und Deutschland.