Faschisierung der Flüchtlingspolitik / Appell von Pro Asyl
„Faschisierung der Flüchtlingspolitik“ heißt es in einem Kommentar in der Roten Fahne, der Zeitschrift der MLPD. Für manche Ohren mag es zu drastisch klingen. Pro Asyl hat dagegen an die Parteivorstände der an der Regierungskoalition beteiligten Parteien einen freundlichen Appell formuliert. Das wiederum wird anderen zu harmlos klingen. Zweifel kommen auf, ob solche Appelle auch wirken. Kritik an beiden Herangehensweisen ist also möglich.
Doch immer wieder gilt: Das eine tun und das andere nicht lassen.
Denn selbstverständlich kann an Verantwortliche appelliert, und gleichzeitig deren Politik scharf verurteilt werden. Wir dokumentieren daher beide Texte, und freuen uns auf Kritiken und Hinweise dazu: (gerne an info (at) linksdiagonal.de)
Weiter unten sind auch noch weitere Stellungnahmen von Pro Asyl zitiert und verlinkt.
FLÜCHTLINGSGIPFEL (Kommentar aus RF-News)
Ein Gipfel der Faschisierung der Flüchtlingspolitik
Nach sechsstündigen Beratungen ging am Mittwoch um 21 Uhr der sogenannte Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern zu Ende.
Von gis
Freitag, 12.05.2023, 17:30 Uhr
Rote Fahne News hatte vorgestern prognostiziert, dass nach der – weitgehend vorgeschobenen – Debatte über das Geld die wahren Absichten der Bundesregierung und der Landesregierungen in der Verschärfung ihrer reaktionären Flüchtlingspolitik in den Vordergrund treten würden. So kam es. Allerdings gab es beim Geld doch eine Einigung, eine vorläufige. Der Bund wird eine Milliarde Euro zusätzlich zur Verfügung stellen. Damit sollen die Kommunen u.a. die Digitalisierung der Ausländerbehörden vorantreiben können.
100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr, eine Milliarde für Flüchtlinge. Das Jahresbudget von Frontex, der Organisation für Flüchtlingsabwehr, ist mit 754 Millionen Euro fast genauso hoch. Die eine Milliarde kommt den Flüchtlingen auch nicht wirklich zugute. Nur ein Teil ist für die Unterbringung und Integrationsleistungen der Kommunen wie Sprachkurse gedacht. Die Investition in die Digitalisierung der Ausländerbehörden ordnet sich hingegen in die Leitlinie ein, Flüchtlinge, die nicht aus der Ukraine kommen, so schnell wie möglich loszuwerden. Mit Karteikarten und händischer Ablage lässt sich die angestrebte Beschleunigung von Asylverfahren nicht bewerkstelligen.
Bundesregierung jetzt voll auf Seehofer-Linie
Treffend heißt es heute in einem Kommentar der Frankfurter Rundschau: „Die Welt ist aus den Fugen geraten. In etlichen Ländern herrscht Krieg, nicht nur in der Ukraine. Die Klimakatastrophe zeitigt schlimme Folgen. Armut grassiert vielerorts. Die Zahl der Menschen, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen, wächst. Deutschland muss sich darauf einstellen, ob es will oder nicht. … Die Ergebnisse (des Gipfels, d. Red.) sind allerdings mehr als nur ernüchternd. Sie sind unzureichend, was die Aufteilung der finanziellen Lasten betrifft. Und sie sind menschenrechtlich höchst bedenklich. Die Bundesregierung hat die Not der Kommunen quasi nebenbei genutzt für einen Schwenk in der Asylpolitik.“
Der verhasste ehemalige Bundesinnenminister Horst Seehofer, der sich die Abschiebung von 69 afghanischen Flüchtlingen zum Geburtstag schenken ließ, hat den ultrareaktionären Abschottungskurs wegen der massiven Proteste von Demokraten, Flüchtlingshelfern und Revolutionären nicht verwirklichen können. Im Koalitionsvertrag wurden – hart erkämpfte – flüchtlingspolitische Fortschritte festgeschrieben. Begleitet von einer unsäglichen Hetzkampagne gegen Flüchtlinge und Migranten wurden sie Stück für Stück zurückgenommen, gipfelnd in den Beschlüssen des Flüchtlingsgipfels. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) übertrifft Seehofer beinahe noch. Stramm setzt sie den Wunschkurs der Monopole um: Abschottung gegen wachsende Flüchtlingsbewegungen, gezielte Anwerbung von ausgebildeten Arbeitskräften zur Ausbeutung durch Konzerne und Monopole. Das ist die durch und durch menschenverachtende Flüchtlingspolitik des Imperialismus, der zuerst alle Fluchtursachen schafft und den Menschen dann auch noch das Recht auf Flucht nehmen will. Schon die Sprache mancher bürgerlicher Politiker und Medien ist verächtlich. Da ist von „Migrationsdruck“ die Rede, von „Lastenverteilung“, von „Einwanderung in Sozialsysteme“, von „irregulärer Migration“, von „abschieben“ – in der Schweiz heißt es sogar „ausschaffen“. Haben diese Leute denn mal darüber nachgedacht, was am Leben in Kriegs- und Krisengebieten „regulär“ ist?
Programm der faschistoiden Bekämpfung von Flüchtlingen
Das von der Bundesregierung am 10. Mai veröffentlichte Ergebnispapier ist ein Programm der faschistoiden Bekämpfung von Flüchtlingen und des imperialistischen „brain drain“ gegenüber abhängigen Ländern, ihnen die dringend in den Ländern benötigten ausgebildeten Arbeitskräfte wegzunehmen
Die Unterstützung der Kommunen besteht neben der genannten Investition in Digitalisierung in der Zahlung von „Bürgergeld an hilfsbedürftige Geflüchtete aus
der Ukraine und an anerkannte Asylsuchende sowie durch die mietzinsfreie Überlassung von Gebäuden und Grundstücken des Bundes“. Und was ist mit den noch nicht anerkannten Asylsuchenden? „In den Debatten wird die Zahl der in Deutschland angekommenen Flüchtlinge und Asylbewerber übertrieben“, sagt Rechtsanwalt Frank Jasenski von der Anwaltskanzlei Meister & Partner. „Eine Million Menschen kommen aus der Ukraine. Mit Waffenlieferungen an das Selenskyj-Regime sorgt Deutschland mit für die Verlängerung des Kriegs. Asylbewerberinnen und -bewerber aus anderen Ländern, hauptsächlich Syrien, Afghanistan und die Türkei, machen 248.000 aus. Ihre Unterbringung und Integration könnte gut finanziert werden. Zumal die Leute ja arbeiten und selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen wollen.“
Sonderbevollmächtigter der Regierung für „Rückübernahme“
Seit dem 1. Februar 2023 ist der FDP-Politiker Dr. Joachim Stamp Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung für Migration, angesiedelt im Bundesinnenministerium. Von einigen Medien wurde er schon zum Abschiebeminister gekürt. „Um ausreisepflichtige Personen in ihre Herkunftsländer zurückzuführen, ist es notwendig, die Kooperation mit zahlreichen Herkunftsländern zu verbessern.“ Stamps Gesellenstück ist ein Abkommen über eine „umfassende Migrations- und Mobilitätspartnerschaft“ mit Indien. Darin wird geregelt, dass gut ausgebildete Fachkräfte aus Indien nach Deutschland kommen und abgelehnte indische Asylbewerber von Indien „zurückgenommen“ werden müssen. Stamp soll viele solcher Abkommen auf den Weg bringen. Dabei sind auch Sanktionen im Gespräch wie Reduzierung entwicklungspolitischer Zahlungen, wenn Länder nicht „spuren“. Da kann Bundeskanzler Scholz – wie kürzlich auf seiner Keniareise – noch so viel von Zusammenarbeit auf Augenhöhe reden. Das ist nackte imperialistische Erpressungspolitik. Wie die Lage für rückkehrende Flüchtlinge aussieht, welchen Verfolgungen sie ausgesetzt wären, interessiert Herrn Stamp und Frau Faeser nicht. Indien z.B. wird von einem Faschisten regiert. Die in Deutschland lebenden Geflüchteten wollen in ihrer großen Mehrheit Arbeit, Ausbildung, Asyl und nicht ausgetauscht werden gegen „bessere“ Migranten!
Hürden gegen Abschiebungen sollen fallen
Mehr Abschiebungshaftplätze, die Verlängerung der Zeit, die Menschen dort verbringen, Informationsweitergabe und der Einsatz von Gewalt bei Abschiebungen sind Thema im Beschluss vom 10. Mai, z.B. hier: „Um Fragen bei polizeilichen Aufgriffen von vollziehbar ausreisepflichtigen Personen – auch durch die Bundespolizei – sowie in Eilrechtsschutzverfahren jederzeit zügig klären zu können, stellen Bund und Länder eine durchgängige Erreichbarkeit der jeweils zuständigen Behörden sicher.“ Die letzten gesetzlichen Hürden gegen Abschiebungen sollen fallen. Widerspruch und Klage gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote sollen keine aufschiebende Wirkung mehr haben. Das alles bedeutet nichts anderes, als dass die Flüchtlinge und Asylbewerber Freiwild werden sollen, ihrer verbliebenden bürgerlich-demokratischen Rechte und Freiheiten beraubt!
Asylverfahren sollen ausgelagert, Grenzkontrollen ausgebaut werden
„Optimiertes Aufgriffsverfahren“ ist laut Beschluss vom 10. Mai ein wichtiges Ziel von Bund und Ländern. Das heißt: Flüchtlinge sollen so früh wie möglich auf ihrem Fluchtweg inhaftiert und zurückgeschoben werden. Damit würden die bisher als illegal deklarierten Pushbacks wie in Griechenland auf breiter Front salonfähig! Flucht wird illegalisiert, Unterdrückung von Flüchtlingen legalisiert. „Die Bundesregierung tritt in den laufenden Verhandlungen zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) auf europäischer Ebene für verpflichtende Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen für bestimmte Personengruppen ein.“ Diese Personengruppen sind z.B. Flüchtlinge aus Afghanistan, Ghana, Senegal. Aus Sicht der Herrschenden gelten viele als sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge. Ein Fischer, dessen Arbeitsmöglichkeit durch Umweltzerstörung wegbricht – ein „Wirtschaftsflüchtling“? Eine Textilarbeiterin aus Bangladesch, deren Arbeitsplatz vernichtet wird – ein „Wirtschaftsflüchtling“? Diese Flüchtlinge sind Arbeiter und Arbeiterinnen! Sollen gegen sie etwa libysche Küstenwachen oder faschistoide Grenzpolizisten Asylverfahren durchführen? Wer es trotz aller Hindernisse bis Österreich oder nach Deutschland schafft, soll durch Ausbau der Grenzkontrollen und Schleierfahndung jederzeit abgefangen und abgeschoben werden können.
Nein zu dieser Faschisierung der Flüchtlingspolitik!
Was Seehofer nicht hingekriegt hat, will jetzt eine SPD-/FDP-/Grünen-Regierung auf den Weg bringen. Kein Demokrat, kein Christ, kein fortschrittlicher Mensch kann sich damit abfinden. Es ist Ausdruck einer massiven Rechtsentwicklung von Regierungen und bürgerlichen Parteien. Menschen werden zu Freiwild erklärt. Das Programm muss vom Tisch! Auch deswegen, weil eine Regierung, die so gegen Flüchtlinge vorgeht, tut es früher oder später auch gegen die „einheimische“ Arbeiterklasse und die Massen. Klären wir über den wahren Inhalt der Festlegungen des Flüchtlingsgipfels auf! Schließen wir Menschen zusammen im Kampf gegen diese ultrareaktionäre Flüchtlingspolitik! Werben wir für eine sozialistische Alternative zur menschenverachtenden Politik des Imperialismus! Für das Recht auf Flucht! Vorwärts zur internationalen sozialistischen Revolution!
Appell an die Parteivorstände der Ampel-Koalition (Pro Asyl)
Wir wollen ein anderes Europa! PRO ASYL – Aktionen
Sehr geehrte Parteivorstände,
Im Koalitionsvertrag steht: »Wir wollen die illegalen Zurückweisungen und das Leid an den Außengrenzen beenden. […] Der Asylantrag von Menschen, die in der EU ankommen oder bereits hier sind, muss inhaltlich geprüft werden.«
Nun hat sich die Bundesregierung Medienberichten zufolge aber grundsätzlich dazu bereit erklärt, einem Grenzverfahren unter haftähnlichen Bedingungen an der EU-Außengrenze zuzustimmen. Das heißt:
Flüchtlinge, die die EU-Außengrenze erreichen, müssen nicht nur befürchten, Opfer von gewaltsamen und illegalen Pushbacks zu werden. Künftig droht ihnen dort auch die sofortige Festsetzung. Was in der bundesdeutschen Debatte als »Asylverfahren an den Außengrenzen« bezeichnet wird, hat nichts mit einem fairen, rechtsstaatlichen Vorgang zu tun. In fernab gelegenen, geschlossenen Lagern an den Rändern der EU geht es nicht um Schutzgewährung, Geflüchtete sollen dort Schnellverfahren unterzogen werden, an deren Ende für viele die Abschiebung in einen sogenannten »sicheren Drittstaat« steht. Eine inhaltliche Prüfung des Asylgesuchs findet in vielen Fällen gar nicht erst statt. Die Suche nach Schutz und Sicherheit in Europa ist für die betroffenen Menschen damit gescheitert.
Werden diese Pläne umgesetzt, ist das ein großer Erfolg für alle rechtspopulistischen, nationalistischen und postfaschistischen Regierungen in der EU, die für ein Europa der Gewalt und der Rechtlosigkeit stehen. Eine fürchterliche Niederlage nicht nur für asylsuchende Menschen und ihr Recht auf Schutz vor Krieg, Folter oder Verfolgung, sondern für uns alle, die wir ein anderes Europa wollen: Ein Europa der Menschenrechte, der Freiheit und der Demokratie.
Wir appellieren daher an Sie als Parteivorstände: Treten Sie für die von Ihrer Partei im Koalitionsvertrag festgehaltenen Positionen ein und stoppen Sie diese Pläne auf EU-Ebene! Die Bundesregierung darf der faktischen Abschaffung des Zugangs zu einem fairen Asylverfahren in der EU unter Prüfung individueller Schutzgründe nicht zustimmen!
Gipfel der Abschottung und Entrechtung: Erste Analyse von PRO ASYL zum Flüchtlingsgipfel | PRO ASYL
Beim Flüchtlingsgipfel der Ministerpräsident*innen mit Bundeskanzler Scholz am 10. Mai ging es ursprünglich um die Kostenverteilung bei der Unterbringung. Doch die Politiker*innen gingen weit darüber hinaus, einigten sich auf umfassende Rechtsverschärfungen: Ein menschenrechtlicher Dammbruch, der den Koalitionsvertrag der Regierung konterkariert.
Haftlager an den Außengrenzen und Abschiebungen in Drittstaaten: Ist das die Zukunft? | PRO ASYL
Haftlager an den Außengrenzen, neue »sichere Drittstaaten«, Schnellverfahren ohne Prüfung der Fluchtgründe: Die europäischen Abschottungspläne rücken immer näher. Schon am 8. Juni wollen die EU-Innenminister*innen darüber entscheiden. Bei der Ministerpräsidentenkonferenz wurde Zustimmung hierfür signalisiert – ein Bruch des Koalitionsvertrags!
Grenzen schließen und abschieben? Die Vorschläge von Friedrich Merz im PRO ASYL Faktencheck | PRO ASYL
Die Zahl der nach Deutschland Geflüchteten ist vergleichsweise hoch und schon wird eine Asyldebatte losgetreten, die den Geflüchteten das Recht auf Schutz abspricht. CDU / CSU rufen nach Grenzschließungen, Stopp von Aufnahmen, nach mehr Abschiebungen. Der Faktencheck zeigt: Die Schutzquote ist hoch und das vermeintliche Abschiebungsdefizit komplex.