Wind, Flaute oder Sturm

Mi. 15.März 2023: Vortrag über Armut in der VHS-Essen

In der VHS Essen am 15. März 2023 von 19-21 Uhr:

Bedroht die wirtschaftliche, soziale und politische Ungleichheit den Frieden/die Demokratie in Deutschland?

Im Verlauf der Corona-Pandemie hat sich die ökonomische, soziale und politische Ungleichheit in Deutschland verstärkt, was eine Radikalisierung der bürgerlichen Mitte befördert. Deutschland hat mit Waffenlieferungen und einer massiven Erhöhung des Rüstungsetats auf den Krieg in der Ukraine reagiert. Kürzungen von dringend benötigten Mitteln für Soziales, Bildung und Klimaschutz dürften folgen und könnten den sozialen Frieden gefährden. Der Referent Prof. em. Dr. Christoph Butterwegge hat bis 2016 Politikwissenschaft an der Uni Köln gelehrt und vor allem die ökonomische und soziale Ungleichheit untersucht und zuletzt das Buch “Die polarisierende Pandemie. Deutschland nach Corona” veröffentlicht.
Einladung

Anmeldung direkt bei der VHS

Die Veranstaltung wird von der Rosa Luxemburg Stiftung und der Leserinitiative des Publik-Forums unterstützt.

VERARMUNG

Die Normalität der Armut im Kapitalismus

„2022 war ein Jahr galoppierender Inflation und Verarmung der Arbeiterklasse und der breiten Massen.“ stellte Gabi Fechtner, Vorsitzende der MLPD, in ihrem letzten Interview fest. Wir erleben „eine in der Nachkriegszeit nicht gekannte relative und absolute Armut in Deutschland!“

Von fu

Montag,  13.03.2023,  15:00 Uhr

Die Normalität der Armut im Kapitalismus
Armut hat viele Gesichter: 2020 lebte jedes 5. Kind in Armut. (Bild: Anna Pou)

Wie wichtig es ist, hier klar die Wahrheit auszusprechen, zeigt das Spiel mit den Zahlen, das dagegen die bürgerliche Regierung betreibt. Von Armut sprechen die Regierungsstatistiker gar nicht mehr, sondern von „Armutsgefährdung“. Das bedeutet natürlich nicht, dass es keine von Armut gefährdeten Menschen in Deutschland gibt, die noch nicht in Armut gefallen sind, aber der Umstand, dass alle Menschen, die jetzt schon arm sind, ebenfalls nur noch als „armutsgefährdet“ erfasst werden, dass es keine Statistik nur über die Armut von offiziellen Stellen gibt, ist der Kern dieser Methode der Verharmlosung.

Dadurch, dass die Menschen, die nachweislich unter dem Existenzminimum existieren müssen, in diesen Wert der „Armutsgefährdung“ eingerechnet werden, wird der Gesamteindruck der Lebensbedingungen der Massen im an Monopolen reichen Deutschland aufgehübscht. Armut wird als Begriff noch verwendet, aber es gibt keine statistische Erfassung der Armut als solches.

Der Stand amtsdeutscher „Armutsgefährdung“

Seit Jahren steigt in Deutschland die Zahl der von Armut betroffenen und gefährdeten Menschen stetig an, nach den unter „Armutsgefährdung“ zusammengefassten offiziellen Zahlen des Statistischen Bundesamts¹ zuletzt (also 2021) auf 16,1 Prozent der Gesamtbevölkerung, mehr als jeder sechste Mensch in Deutschland. Trotz aller Beschönigungen und nach den Zahlen, die die Bundesregierung herausgibt.

Die Verteilung der „Armutsgefährdung“ ist natürlich nicht gleichmäßig. Ein Gefälle besteht nach wie vor auch zwischen alten und neuen Bundesländern: Sind es im Westen „nur“ 15,3 Prozent der Gesamtbevölkerung, so sind es im Osten 18,1 Prozent. Außerdem bleibt auffällig, dass Frauen von „Armutsgefährdung“ überall und in jeder Altersgruppe in höherem Maße betroffen sind als Männer. Bei den Altersgruppen sind ältere Menschen ab 65 und vor allen Dingen jüngere unter 25 überdurchschnittlich oft von Armut betroffen: 25,6 Prozent, mehr als jeder vierte Jugendliche, waren 2020 „armutsgefährdet“! 2021 wurde diese Zahl nicht mehr gesondert ausgewiesen, sondern die Altersgruppe zwischen 18 und 64 zusammengefasst. Ansonsten wird die Perspektivlosigkeit, vor die der Kapitalismus junge Erwachsene stellt, auch allzu offensichtlich.

Interessante Informationen lieferte der jüngste Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI)² der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Die Quote der „sehr armen“ Menschen, die weniger als 50 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben, ist demnach zwischen 2010 und 2019 um gut 40 Prozent gestiegen. Der finanzielle Rückstand von Haushalten unterhalb der Armutsgrenze habe sich um ein weiteres Drittel vergrößert. 2020 konnten sich 50 Prozent der „dauerhaft armen“ Menschen keine Reisen mehr leisten – 5 Prozent nicht einmal eine beheizte Wohnung. Während Superreiche ohne jede Schranke die natürlichen Ressourcen verschwenden, sparen die Ärmsten zwangsweise Heizkosten.

Armut durch einen Mangel an Arbeit: Unterbeschäftigung

Weil die statistischen Verschleierungsversuche der Bundesregierung in Bezug auf Armut und Arbeitslosigkeit einen Grad erreicht haben, der jede Analyse verunmöglicht, verwendet auch die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) für die Erfassung annähernd realistischer Verhältnisse die Kategorie der Unterbeschäftigung: „Diese enthält neben den registrierten Arbeitslosen auch Personen, die an bestimmten – aber nicht pauschal allen – Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik teilnehmen oder einen rechtlichen Sonderstatus aufweisen. Diese Personen befinden sich in unterschiedlicher Nähe zur gesetzlich definierten Arbeitslosigkeit. Ohne diese Regelungen würde die Zahl der Arbeitslosen entsprechend höher ausfallen.“, so schreibt die bpb selbst auf ihrer Webseite³.

Diese Statistik gibt somit die Möglichkeit, zu erfassen, wie viele Menschen in Deutschland am definierten Existenzminimum leben müssen und deren Einbeziehung in die Arbeit nicht ihren Möglichkeiten entspricht: 2020 waren es 3,519 Millionen. Zum Vergleich: Arbeitslos gemeldet waren im gleichen Zeitraum „nur“ 2,695 Millionen. Das gibt eine Vorstellung, in welchem Umfang hier Zahlen beschönigt werden.

Über diese Methoden der Herrschenden sowohl bei der Abwälzung der Krisenlasten auf die Masse der Bevölkerung und ihrer Vertuschung muss gesprochen werden, so dass sich eine breite gesellschaftliche Diskussion entwickeln kann. Die Bundesweite Montagsdemobewegung organisiert seit über 18 Jahren, unabhängig von jeder staatlichen Bevormundung und in klarer Abgrenzung von rechten Demagogen, Aufklärung und den Widerstand – hier sprechen die von Armut „bedrohten“ selbst.

Mit diesem Widerstand gehen auch völlig berechtigte Reformforderungen einher. Wir brauchen eine Erhöhung des Bürgergelds, einen Lohnnachschlag und progressive Gehaltserhöhungen, die mit der Inflation Schritt halten. Um diese Forderungen ist der Kampf zu führen. Es ist unbestreitbar richtig, sich auch unter den gegebenen Bedingungen für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen einzusetzen. Allerdings darf es sich darin nicht erschöpfen. Wir brauchen mehr. Eine gesellschaftliche Alternative muss her, um die Armut wirklich beenden zu können.

Echter Sozialismus – die einzige Alternative

Wer sich die Situation in Stadt und Land ansieht, der braucht gar keine offizielle Bestätigung mehr für das, was er sieht. Wie anders war es da in den Ländern, in denen der sozialistische Aufbau gewagt wurde. In der sozialistischen Sowjetunion bis in die 1950er Jahre, der frühen DDR oder dem sozialistischen China Mao Zedongs wurden die Lebensbedingungen der Massen innerhalb kürzester Zeit angepackt und zum Besseren verändert. Sei es im Bereich der Bildung, der Gesundheitsversorgung oder bei der Schaffung von Arbeit. Etliche dieser Errungenschaften wurden auch nach der revisionistischen Entartung der UdSSR und der DDR noch eine Zeit lang aufrechterhalten als Zugeständnis an die Massen.

An den Symptomen herumzudoktern, wie es manche weiterhin versuchen, kann die Krankheit nicht heilen. Die Überwindung der Armut der Massen zusammen mit dem Stopp der globalen Umweltkatastrophe ist nur möglich, wenn der Imperialismus revolutionär überwunden und der echte Sozialismus aufgebaut wird.

Christoph Butterwegge präsentiert mit diesem Buch – wie
er in der Einleitung formuliert – einen Beitrag zur Sozial- und
Diskursgeschichte der Armut.

Im ersten Teil widmet er sich der Auseinandersetzung um den
Armutsbegriff, stellt in diesem Zusammenhang Begriffsdefinitionen und Typologien in der Armutsforschung dar und bietet auf S. 28 eine eigene Armutsdefi nition an. Relativ ausführlich werden hierbei die Exklusionsdebatte, politische Armutsdefinitionen (u.a. im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung), Globalisierung und neoliberale Politiken sowie deren Konsequenzen (die Aufl ösung von Normalitäten von Arbeit, Familienformen und Lebensstandards) und die aktuell diskutierten Figuren der Kinder- und Altersarmut dargestellt und diskutiert. Im zweiten Teil analysiert der Autor gesellschaftliche Bilder und Erklärungsmodelle von Armut, so Schelskys „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ und die These der privilegierten Armen in der Wohlstandsgesellschaft. Darüber hinaus wird die öffentliche (Nicht-) Thematisierung von Armut, Rolle und Positionen der Sozialforschung (hier u.a. die Milieuforschung) sowie politische Diskurse zur Sozialstaatskritik erörtert. Initiativen wie die Agenda 2010 und gerechtigkeitstheoretische Veränderungen in der aktuellen Ausgestaltung des Sozialstaats werden ebenso dargestellt wie die Prekariats- und „Underclass“-Debatte und die Abstiegsangst der Mittelschicht – allerdings wird letztere konfrontiert mit einer
Darstellung der Politik der Großen Koalition, die vor allem Besitzenden Entlastung verspracht und Arme – nicht nur im Kontexte des aktivierenden Sozialstaats, sondern auch in der Verfolgung von ‚Sozialschmarotzertum‘ – stärker unter Druck setzte.

Im dritten Teil setzt sich Butterwegge mit den aktuellen Strategien der Armutsbekämpfung wie dem aktivierenden Sozialstaat, dem Bildungspostulat (Bildung statt Umverteilung) und verschiedenen Modellen des bedingungslosen Grundeinkommens auseinander und entwickelt vor dem Hintergrund seiner Analysen Perspektiven für eine wirkungsvolle Armutsbekämpfung:

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