Wind, Flaute oder Sturm

Stoppzeichen für Atombomben

zitiert aus: Stoppzeichen für Atombomben (fr.de) Stand:01.03.2024, 17:43 Uhr

Von: Xanthe Hall

Ein weltweites Verbot atomarer Bewaffnung ist fällig – keine europäische Nuklearwaffen. Alles andere würde unseren Werten widersprechen. Ein Gastbeitrag der Abrüstungsexpertinnen Xanthe Hall und Juliane Hauschulz.

Siebzig Jahre nach Castle Bravo, der größten von den USA detonierten oberirdischen Nuklearexplosion, die das Bikini-Atoll nahezu komplett zerstörte und die Menschen der Region über Generationen hinweg strahlenbedingten Krankheiten aussetzte, hat die Menschheit anscheinend immer noch nicht verstanden, was Atomwaffen bedeuten. Das zeigen die Ergebnisse einer neuen Umfrage von Civey im Auftrag von t-online zu eigenen Atomwaffen der EU, in der 40 Prozent der Befragten in Deutschland diese positiv bewerten.

Dabei wäre eine europäische Atomwaffe das endgültige Ende des Selbstverständnisses der EU als „Wertegemeinschaft“ für den Schutz der Menschenwürde, der Menschenrechte und der Demokratie. Denn nukleare Abschreckung ist die Bereitschaft und eine Drohung, Atomwaffen notfalls einzusetzen. Die oftmals unhinterfragte Annahme, unsere Werte könnten mittels nuklearer Abschreckung verteidigt werden, ist ein klassisches Beispiel kognitiver Dissonanz. Denn unsere Integrität und moralischer Kompass werden durch diese vorgebliche Einsatzbereitschaft zunichtegemacht.

Wissen über Atomwaffen auf dem Tiefstand

Die Frage, ob die Europäische Union selbst Atomwaffen besitzen oder eine Art „nukleare Teilhabe“ mit Frankreich einrichten sollte, ist nicht neu. Obwohl viele Expert:innen immer wieder erklären, dass die Idee praktisch kaum umsetzbar ist und das bestehende Kontrollregime für die Weitergabe von Atomwaffen zerstört werden könnten: Politiker:innen und politische Kommentator:innen werden nicht müde, sie zu propagieren. Nun deutet die aktuelle Umfrage auf eine tiefe Verunsicherung der Deutschen hin. Sie fühlen sich auf der einen Seite stärker durch Russland bedroht und auf der anderen Seite haben sie Angst, dass die USA unter Donald Trump Europa nicht verteidigen würden.

Gleichzeitig ist das Wissen über Atomwaffen und ihre Folgen auf einem Tiefstand. Hiroshima und Nagasaki verblassen und werden zu alten Bildern, die an runden Gedenktagen wieder erscheinen. Zwar hat Christopher Nolans „Oppenheimer“ die Atombombe wieder in die Kinos gebracht, aber von den Opfern gesäubert, ein Courtroom-Drama über einen hin- und hergerissenen Wissenschaftler. Die humanitären Folgen, die heute weltweit die Lebenssituation von Menschen prägen, finden keinen Platz auf der Leinwand.

Dabei geht es nicht nur um die Folgen eines künftigen Atomkriegs, der Millionen Menschen direkt betreffen könnte und Milliarden durch die Klimaveränderungen verursachte Hungersnot danach. Wir sollten uns in unserer Wertegemeinschaft dringend die Frage stellen, ob wir unsere Sicherheit in Europa auf dem Leid von Menschen bauen wollen, deren Rechte und deren Würde durch zwei Atombombenabwürfe, mehr als 2000 nukleare Detonationen bei Tests weltweit und einen zerstörerischen Uranabbau massiv angegriffen wird.

Europa würde auf dem Wort „Demokratie“ herumtrampeln, wenn wir das Sicherheitsverständnis der neun Atomwaffenstaaten über das der Mehrheit der Staaten dieser Welt stellen. 120 Staaten unterstützen bereits ein anderes Konzept: das Verbot und die Abschaffung aller Atomwaffen. Bereits knapp die Hälfte aller UN-Staaten haben den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet, 70 Staaten sind Mitglied. Der Beitritt Indonesiens und Brasiliens stehen bevor, dann sind fünf der zehn größten Länder der Welt dabei. Der Vertrag erfährt also breite Unterstützung, insbesondere von den Ländern des Globalen Südens, während er in der deutschen Debatte kaum Beachtung findet.

Gefahr, dass Atomwaffen eingesetzt werden, ist real

Denn die atomare Ära erzählt eine Geschichte von kaltblütigem Kolonialismus. Die indigenen Völker, unter anderem im Pazifik, Australien, China, Kasachstan und den USA, haben die Hauptlast der Entwicklung von Atomwaffen getragen. Jetzt erzählen die Kinder und Enkelkinder dieser Menschen, was Atomwaffen bedeuten und wie die jahrzehntelange Verseuchung ihrer Heimat ihre Völker krank machte.

Es wird zwar weithin behauptet, dass ein Atomkrieg bislang verhindert wurde, weil die Großmächte einander abschrecken. Beweisen lässt sich das aber nicht. Die Gefahr, dass Atomwaffen doch nochmal eingesetzt werden, besteht weiterhin.

Das Schlimmste konnte im Kalten Krieg durch diplomatische Prozesse abgewendet werden. Als das Wettrüsten außer Kontrolle geriet, fingen die Staatschefs der Supermächte an, miteinander zu reden, obwohl sie zuvor meinten, dies sei nicht möglich. Auch heute ruft der Verhandlungstisch wieder zur Vernunft. Selbst wenn eine schnelle Lösung für die Ukraine nicht vorstellbar ist, ist es jetzt möglich, den kollektiven Selbstmord zu verhindern. Es braucht kleine Schritte: etwa neue Gespräche über den Atomwaffenteststopp-Vertrag. In diese Richtung sollten wir gehen, anstatt nuklear aufzurüsten.

Die Autorinnen

Xanthe Hall ist Abrüstungsreferentin bei IPPNW (Internationale Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges)
Juliane Hauschulz ist Projektmitarbeiterin Atomwaffen und Vorstandsmitglied bei ICAN Deutschland.

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