NRZ 17.2.2012: „Wir müssen weg von der linken Eckfahne“

Linken-Fraktionschef Hans Peter Leymann-Kurtz über das schwindende Schmuddelkinder-Image, seine Ungeduld mit den SPD-Genossen und warum Humor die Politik rettet.

Als Friedensdemonstrant fühlte er sich einst von Altkanzler Helmut Schmidt als „zwielichtiger Gesell“ beleidigt – das trieb den diplomierten Sozialarbeiter Hans Peter Leymann-Kurtz 1981 zu den Grünen und in die kommunale Politik.

Er wurde Ratsherr und 1999 auch Bürgermeister auf grünem Ticket, obwohl er zu diesem Zeitpunkt bereits wegen der „Bomben auf Belgrad mit grünem Segen“ aus der Partei ausgetreten war. Als einer der Mitbegründer der WASG in Essen wurde der 47-Jährige 2009 linker Spitzenkandidat. Das Gespräch mit Hans Peter Leymann-Kurtz führte Wolfgang Kintscher, Leiter der NRZ Stadtredaktion Essen.

Halbzeit im Rat, Herr Leymann-Kurtz. Zeit für eine Bestands-„Aufnahme“. Wobei wir ja nicht die einzigen sind, die Ihnen lauschen…

Hans Peter Leymann-Kurtz: Wollen wir übers Abhören reden?

Reden wir über die Schmuddelkinder in der Politik. Andere werden doch nicht belauscht, oder?

Leymann-Kurtz: Da wäre ich mir nicht so sicher. Ob die wirklich Gefährlichen abgehört werden – darüber könnten wir allerdings diskutieren. Ohnehin: Ich war schon mal Schmuddelkind, in der Frühphase der Grünen. Da waren wir offenbar schlimmer, als ich als Linker heute bin.

Woran machen Sie das fest?

Leymann-Kurtz: Daran, dass die Grünen im Rat nur einen Antrag zu stellen brauchten – und jedes Mal gab’s prompt den Übergang zur Tagesordnung. Dagegen ist das jetzt ja ein wirklich konstruktives Miteinander. Auf kommunaler Ebene in Essen ja sowieso. Ich fühle mich jedenfalls nicht als Schmuddelkind, und wer nicht mit mir spielen will, um mal den Liedermacher Degenhardt zu bemühen, der tut’s eben nicht.

Würden Sie sagen: Die Linken sind staatstragender, als mancher glaubt?

Leymann-Kurtz: Ja, einige schon. Natürlich…

…vor allem wenn es sich wie bei Ihnen um Ex-Grüne handelt…?

Leymann-Kurtz: …oder nein, staatstragend ist vielleicht das falsche Wort. Ich würde uns erfahren nennen, weil wir ja auch schon ein paar Jährchen Kommunalpolitik auf dem Rücken haben, und das zahlt sich aus. Wir sind als kleine Fraktion d i e Opposition, das kann man wohl sagen. Ich habe noch mal geguckt, wie viele Anträge wir gestellt haben…

…80 von der SPD sind zu schlagen…

Leymann-Kurtz: …es waren circa 150…

…ach du lieber Himmel…

Leymann-Kurtz: …wobei ich zugebe: Die Menge ist natürlich nicht entscheidend, und es waren auch einige gemeinsame darunter. Aber Pi mal Daumen haben wir knapp 20 Prozent davon durchgebracht. Bei einem Wahlergebnis von 5,8 Prozent! Das macht uns sehr zufrieden, denn wir wollen gestalten. Und mit jedem Antrag, den wir durchbringen, mit dem wir Debatten auslösen, gestalten wir ein Stück weit mit. Das ist unser Anspruch. Sonst würde ich mir das mit Verlaub nicht mehr antun.

„Für mich ist „Ideologie“ kein Schimpfwort“

Dass sie so viel mitmischen können – liegt das daran, dass die Essener Linken nicht immer nur von dort kommen, wo man sie vermutet, von links außen nämlich, sondern manchmal auch aus dem rechten Mittelfeld?

Leymann-Kurtz: Das ist einfach pragmatische Kommunalpolitik. Die ist nicht in jedem Fall ideologisch bestimmt, ganz und gar nicht, sondern praxisorientiert. Es gibt Fragen, wo Ideologie – das will ich gar nicht verteufeln – wichtig ist, weil man wissen sollte, wo man hin will, weil man einen Gesellschaftsentwurf auch für eine Stadt haben sollte, etwa was Gerechtigkeitsansprüche angeht. Das ist ideologisch, und das ist gut so, denn für mich ist „Ideologie“ kein Schimpfwort. Aber müssen Linke immer das bedienen, was ihre Gegner und übrig gebliebene kalte Krieger erwarten?

Da wären wir wieder beim Abhören: Linke muss man beobachten, sonst kommt der Russe…

Leymann-Kurtz: Ganz genau. Der Kollege Ernst hat es schon richtig beschrieben: Wer das noch ernsthaft fordert, muss ein Quartalsirrer sein oder tief im Kalten Krieg der Fünfziger Jahre stecken geblieben. In Wirklichkeit sind sie’s ja nicht, es wird nur politisch instrumentalisiert. Man will uns verunsichern. Mich kratzt das nicht, aber es gibt Genossen, die fühlen sich ausgegrenzt und verhalten sich auch so.

Eine Opferrolle, in der es sich gut schmollen lässt.

Leymann-Kurtz: Ja, so ist es. Ich habe zu Beginn der Ratsperiode auch versucht, nach innen zu diskutieren: Wir müssen weg von der linken Eckfahne. Auch unsere Vorgänger-, diese Sammelfraktion hat sich da ein Stück weit eingerichtet. Wie komme ich denn dazu? Ich betrachte uns als Vollfraktion, die zwar klein ist, die aber versucht, Dinge seriös zu bearbeiten. Ich will gerade angesichts dieser Mehrheitsverhältnisse aufs Spielfeld. Das ist auch ein Grund für viele Wachstumskonflikte und -schmerzen, die wir haben. Denn wenn man sich 30 Jahre lang an der linken Eckfahne herumtreibt, mit der Wechselwirkung der sich selbst erfüllenden Prophezeiung, ist es schwer, mit offenem Blick aufs Spielfeld zu rennen.

Und zum Beispiel was zu tun?

Leymann-Kurtz: Auch mal Ja zu sagen, wenn die Kollegen der FDP einen Antrag stellen, der nicht so verrückt und neoliberal ist.

Ist das Linksfraktion-intern schon schwer durchsetzbar?

Leymann-Kurtz: Ich sag’ mal so: Es gibt unglaublicherweise immer noch Positionen, die da sagen: Diese Person stammt aus der CDU und ist deswegen nicht akzeptabel. Aber das passiert nur noch ganz vereinzelt.

Man hat den Eindruck, dass auch auf der anderen Seite zumindest lokal dieser Pragmatismus Einzug hält.

Leymann-Kurtz: Ja, weil ja jeder die handelnden Personen kennt. Die haben ja nicht bis 1989 in Wandlitz Akten geschleppt.

Ist es insofern hilfreich, dass ein Ex-Grüner die Fraktionsgeschäfte führt und ein anderer mal grüner Bürgermeister war?

Leymann-Kurtz: Nö, das war nicht wichtig. Entscheidend ist, dass man die handelnden Personen einschätzen kann.

Auf der Suche nach einem Ersatzstandort fürs Hauptbad muss man ja auch nicht die Ideologiedebatte führen, sondern entscheidet: Ist jetzt Rüttenscheid besser geeignet oder das Thurmfeld…

Leymann-Kurtz: Der Vorschlag der FDP, das Thurmfeld zu nehmen – Chapeau! Sch…, dass wir nicht drauf gekommen sind.

Wie viel verbindet denn die Linke sonst mit dem Viererbündnis, wo ja schon Bündnis-intern die schärfsten Ecken und Kanten rundgelutscht sind?

Leymann-Kurtz: Wir tun uns schwer, schon bei der Frage, wie wir sie nennen: Ich finde „Schwarz-Grün und Gedöns“ trifft es am besten, denn im Kern ist es ja ein schwarz-grünes Bündnis mit Mehrheitsbeschaffern – eine bürgerliche Notgemeinschaft. Gäbe es die nicht, müssten die Grünen Opposition machen. Ob sie dazu noch in der Lage wären? Da habe ich meine Zweifel.

Das haben Sie sich auf die Fahnen geschrieben.

Leymann-Kurtz: Richtig: Wir machen Opposition gegen dieses wenig konturierte und ohne politische Perspektive handelnde Konstrukt, das nur Überschriften produziert, die mal mehr mal weniger verfangen. Dagegen sind wir auch mit nur fünf Ratsmitgliedern d i e Opposition – weil die SPD sich aus bekannten Gründen schwer tut.

Die da wären?

Leymann-Kurtz: Die SPD muss bei allen Themen – vom Haushalt bis zur A52 – die Rolle des Oberbürgermeisters ins taktische Kalkül einbeziehen. Da sind wir freier. Erst wenn ein Linker OB ist, hätten wir das gleiche Problem. Bis dahin können wir Profil entwickeln auf der Grundlage unseres Programms: die Gesellschaft nicht auseinanderfallen lassen, Ausgleich und Gerechtigkeit herstellen, keine Wohltaten verteilen, sondern strukturell gucken, wo wir das Auseinanderklaffen unterbinden.

Auf einen linken OB wird man wohl lange warten müssen, auf einen linken Bürgermeister noch länger, oder?

Leymann-Kurtz: Richtig. Nach der nächsten Kommunalwahl werden wir zwei Bürgermeister haben, das reicht, dabei bleibe ich.

Aus der Erfahrung, als Bürgermeister selbst nicht viel bewirkt zu haben?

Leymann-Kurtz: So ist es. Ich hatte mal nettere, mal weniger nette Grußaufgaben für die Stadt. Diese Erfahrung möchte ich ganz und gar nicht missen, aber sie zeigt mir auch: Wir brauchen die dritte Figur nicht.

Vielleicht geht Rolf Fliß ja ganz anders ran als Sie.

Leymann-Kurtz: Das will ich nicht ausschließen. Nur darf man die Repräsentationstätigkeit dritter Bürgermeister nicht verwechseln mit der Aufgabe eines Wahlbeamten. Wenn man da durcheinander kommt…

Wie viel von Ihrem Antrag, den dritten Bürgermeister abzuschaffen, war: Jetzt ärgern wir mal den grünen Frontmann Rolf Fliß?

Leymann-Kurtz: Das wird mir unterstellt, ich weiß, dagegen kann ich nicht an, aber darum geht’s nicht. Wenn die Bürgermeister sich selber beklagen, kaum Termine zu haben, liegt ein solcher Vorstoß doch auf der Hand.

Hand aufs Herz: Wie viel von dem, was Linke machen, spielen sie als gezielten Pass aus dem humoristischen Abseits?

Leymann-Kurtz: Viel.

Weil?

Leymann-Kurtz: Um ehrlich zu sein: Gäbe es diesen humoristischen Abstand nicht – und den hatte ich zu meinen grünen Zeiten noch nicht –, wäre es doch nicht auszuhalten. Dann würde ich tun, was viele Bürger tun, nämlich mich raushalten. Und das wäre nicht gut. Irgendjemand muss etwas tun.

„Man muss manchmal ironisch sein“

Ironie gehört nach Ihrer Meinung also zur Politik?

Leymann-Kurtz: Man muss manchmal ironisch sein, um Entwicklungen kenntlich zu machen.

Und dann dankt man dem Essener Bürger Bündnis für seine eingesparten Fraktionsgelder und fordert dies auch per Ratsbeschluss für die Zukunft ein…

Leymann-Kurtz: Ja, ich nehme die Kollegen dann nur ernst.

Vielleicht wollen die das gar nicht.

Leymann-Kurtz: Das müssen sie mir dann aber sagen. Diesen Spaßfaktor will ich mir nicht nehmen lassen. Und es gibt ja Kollegen in den anderen Fraktionen, die das verstehen.

Sie meinen jemanden wie Udo Bayer, der sie von den Linken verdächtigt, die dritte Shanghaier Linie zu vertreten…

Leymann-Kurtz: Zum Beispiel. Mit ihm macht es Spaß, die Klingen zu kreuzen. Und wenn es das nicht gäbe, wäre es ja nur noch öde. Ehrenamtliche Kommunalpolitik in einer Großstadt ist anstrengend, wirklich. Die engagierten Leute aus allen Fraktionen werden in einen Sack gesteckt mit denen, die Berufspolitik machen und dies schlecht machen. Das ist unfair.

Es sind die Mühen der Ebene, die manchen schaffen. Erst in der letzten Ratssitzung beklagte sich Wolfgang Freye aus Ihrer Fraktion bei der SPD: Da habe sie beim Thema Ladenschluss schon mal die Chance, ein rot-grün-rotes Bündnis zu schmieden, und nutzt sie nicht.

Leymann-Kurtz: Guckt man sich die reinen Wahlprogramme an, sind die Schnittmengen von SPD, Linken und Grünen in der Tat so, dass man ein Bündnis schmieden könnte. Das wäre vernünftig. Aber die SPD tut sich schwer, klare Positionen zu vertreten. Wobei ich nicht – wie bei Grünen weit verbreitet – eine tiefe Verachtung für die SPD empfinde.

Eher Mitleid?

Leymann-Kurtz: Nein, Ungeduld. Verdammt Genossen, wann ist bei euch mal wieder klare Kante angesagt. Bei wem steht ihr eigentlich? Wann seid ihr mal wieder mutig?

Weil wer nicht mutig spielt auch nicht gewinnen kann?

Leymann-Kurtz: Ja, dabei ist das doch die stärkste Fraktion im Rat. Aber so verzagt.

Und Partner Nr. 2, die Grünen?

Leymann-Kurtz: Ich mache mir da keine Illusionen. Die Grünen haben nicht den Mut, sich aus der über Jahre gewachsenen Hilfe und Stütze der CDU zu befreien. Wenn ich sehe, welche Verrenkungen die Grünen unternehmen, um manchen unserer Anträge nicht zustimmen zu müssen… Nee, die brauchen sich.

Ist das die Leichtigkeit Ihres Seins, weil Sie als Linke keine Rücksicht nehmen müssen?

Leymann-Kurtz: Ja, wir sind frei, das zu tun, wofür wir gewählt worden sind. Wir sind keine besseren Menschen, aber der Anspruch, Politik zu machen entlang anderer Visionen, den reklamiere ich schon für uns. Dabei wollen wir mehr sein, als das soziale Gewissen. Das muss nur auch wahrgenommen werden.

Und was glauben Sie, wie geht’s weiter in der zweiten Rats-Halbzeit?

Leymann-Kurtz: Die Notgemeinschaft des Viererbündnisses wird weiter halten, bis für einen der Beteiligten die Not zu groß wird. Es fehlt die gemeinsame Vision.

Die hohe Arbeitslosigkeit löst man aber auch nicht mit der Forderung nach einem Sozialtarif im Grugapark.

Leymann-Kurtz: Aber es ist doch Aufgabe, das eigene Gemeinwesen in schwierigen Zeiten so zusammenzuhalten, dass es nicht auseinanderfällt.

Oha, die Linken als die besseren Lokalpatrioten?

Leymann-Kurtz: Näher bei den Menschen, ja.

Was die Frage aufwirft, wie viel Spielraum Sie sich von der nächsten Wahl erhoffen. Ist links dann mehr Platz?

Leymann-Kurtz: Seit wann werden Kommunalwahlen auf kommunaler Ebene entschieden? Entscheidend ist der allgemeine politische Trend im Bund, deswegen spekuliere ich da nicht. Ich glaube, für die Linke gibt es viel Potenzial in Essen. Wir wollen stärker werden, wir wollen eine noch größere Rolle spielen. Und die jetzigen Mehrheitsverhältnisse eröffnen uns Räume, um im Fußballbild zu bleiben.

Der Verfassungsschutz würde sagen: Wir beobachten das mal.

Leymann-Kurtz: Genau.

Wolfgang Kintscher