Özlem A. Demirel (DIE LINKE MdL): Steag-Kauf und Rekommunalisierung

Steag-Kauf und Rekommunalisierung , 07.12.10

Überlegungen zum Steag-Kauf durch Stadtwerkekonsortium

Özlem A. Demirel (MdL) und Angela Bankert (Referentin für Kommunalpolitik der Fraktion) 

Wir stehen richtigerweise für die (Rück-)Überführung von Betrieben, insbesondere der Daseinsvorsorge und natürlich auch der Energieversorgung/-Erzeugung, in öffentliches Eigentum.
Der Steag-Kauf wurde unter dem Stichwort „Rekommunalisierung“ behandelt. Hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse ist jedoch festzustellen, dass sich Evonik-Steag derzeit mehrheitlich in öffentlichem Eigentum befindet. Die RAG-Stiftung (öffentlich, wird verwaltet von Bundesregierung, die Landesregierungen Nordrhein-Westfalen und Saarland, die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie) ist mit 74,99% Mehrheitseigner der Evonik Industries AG, deren Energiesparte die Steag ist. Wenn es darum geht, die Geschäftspolitik von Evonik/Steag zu verändern, dann hat die Landesebene hierüber derzeit mehr Einfluss (z.B. über das einflussreiche Kuratorium, in dem auch Frau Kraft sitzt) als künftig die sieben einzelnen Kommunen.

25,01% der Anteile wurden vor 2 Jahren an den Private Equity Fonds CVC mit Sitz in Luxemburg verkauft. Diese Heuschrecke wäre dann zumindest im Übergang Geschäftspartner des Kommunalen Konsortiums. Aus den Webseiten von RAG-Stiftung geht klar hervor, dass sie die Evoniksparte Kohleverstromung (nicht die Chemiesparte, daran wollen sie langfristig einen Minderheitsanteil halten) immer schon verkaufen wollten, um mit den Erlösen zur Finanzierung der sog. Ewigkeitslasten des Bergbaus beizutragen. Zitate von der RAG-Webseite:„Mehrheitseigner der Evonik Industries AG ist die RAG-Stiftung; sie hält mittelbar und unmittelbar 74,99 Prozent der Anteile, nachdem sie Mitte 2008 eine Beteiligung von 25,01 Prozent an CVC Capital Partners verkauft hatte. Die RAG-Stiftung will als strategischer Aktionär auf lange Sicht mit mindestens 25,01 Prozent an dem Unternehmen beteiligt bleiben.“ „Stiftungsmodell entlastet die öffentliche Hand. Die Stiftung baut einen Kapitalstock auf, um die Finanzierung der Ewigkeitslasten des Bergbaus ohne Inanspruchnahme öffentlicher Gelder ab 2019 sicherzustellen. Sie wirkt damit gewissermaßen als Treuhänder der öffentlichen Hand. Die Stiftung wird mit dem Erlös aus der Veräußerung der Evonikanteile und den Erträgen (Dividenden und Einkünfte aus Vermögensanlagen) einen Kapitalstock zur Finanzierung der Ewigkeitslasten des Steinkohlenbergbaus bilden und die Ewigkeitslasten nach 2019 dauerhaft finanzieren.“
Die Verantwortung für die Ewigkeitslasten lag übrigen ursprünglich mal bei der Bergbauindustrie. Über das Ruhrkohle-Stiftungsmodel sind sie an Bund/Land NRW und Saarland weiter verschoben worden. Mit dem Steag-Kauf würden die kommunalen EVUs dann auch einen Finanzierungsanteil leisten. Die Frage stellt sich: Müsste man nicht den Stopp des Verkaufs fordern und anschließend darüber nachdenken, wie die Krupp/Thyssens & Co. wieder an den Lasten zu beteiligen sind?

Einkauf der Auslauftechnologie Kohleverstromung

Die Steag betreibt zehn Steinkohlekraftwerke in Deutschland, davon einige uralt, wobei drei überwiegend für Industriebetriebe (wie die Raffinerie in Leuna) produzieren. Weitere drei Meiler stehen im Ausland: in der Türkei (daran ist der Militärpensionsfonds zu 49% beteiligt und damit Geschäftspartner), in Kolumbien und auf den Philippinen. Außerdem hat sie ein kleineres Geschäftsfeld Nukleartechnologie.

Die junge welt vom 2.12.2010 berichtet von der Gewichtung der Geschäftsfelder: „Von insgesamt 2,6 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2009 entfielen 991 Millionen auf den Kohlehandel und 891 Millionen auf die inländischen zehn Kraftwerke. 511 Millionen Euro steuerten drei relativ neue Steinkohlemeiler im Ausland bei, Iskenderun in der Türkei, Mindanao auf den Philippinen und Termopaipa in Kolumbien. Auf diesem Gebiet plant der Konzern eine weitere Expansion. Ingenieurleistungen werden auch für die Planung und Errichtung atomtechnischer Anlagen angeboten. Dazu paßt, daß die STEAG eine 45prozentige Beteiligung an der Brennelement-Zwischenlager Ahaus GmbH hält. Eher bescheiden sind dagegen mit 248 Millionen Euro die Umsätze im Bereich der erneuerbaren Energie.“

Kohlestrom ist der Klimakiller Nr. 1, eine Auslauf- und Steinzeittechnologie. Diese würde man vor allem mit der Steag einkaufen. Die Erzeugung von EE macht nur einen ganz kleinen Teil aus. Man müsste also das rasche Abschalten der Kohlekraftwerke betreiben sowie den fast komplett neuen Auf- und Ausbau des Bereichs EE finanzieren – zusätzlich zum Kaufpreis.
Die Auslandsaktivitäten der Steag

Hinsichtlich der Steag-Geschäftspolitik ist die erklärte Absicht, vor allem die Rendite aus den drei Auslandskraftwerken weiter einzufahren. Steag- Erklärung vom 30.11.2010: „Für den wirtschaftlichen Erfolg sind auch die drei Kraftwerke der Steag im Ausland wichtig. Sie sind langfristig vermarktet und sorgen für stabile Cash-Flows, die der Steag und damit auch den zukünftigen Gesellschaftern zufließen. Hinsichtlich der Auslandsaktivitäten vertraut das Stadtwerke-Konsortium auch auf die Kontinuität des erfahrenen Steag-Managements.“
Die Süddeutsche Zeitung berichtete gerade kürzlich, am 15.11.2010, unter dem Titel „Fluch der Kohle“, dass „die Minen Kolumbiens neben den chinesischen als die gefährlichsten weltweit“ gelten. Während die Welt kürzlich gebannt nach Chile schaute, starben 80 verschüttete Kumpel in Kolumbien. Zitat SZ: „Der Kohleabbau in Kolumbien fordert auch außerhalb der Minen viele Opfer. Menschenrechtler melden Angriffe auf Gewerkschafter, berichten über Kinderarbeit, Verstöße gegen Arbeitsrechte, Vertreibungen und Mord.“ Derzeit organisiert die Menschenrechtsorganisation FIAN eine Rundreise von Gewerkschaftern aus Kolumbien durch deutsche Städte, um darüber aufzuklären.

Resultat dieser Superausbeutung: Während der Weltmarktpreis für Kohle bei 100 Dollar je Tonne liegt, selbst Kohle aus Polen bei 80 Dollar, zahlen die Abnehmer kolumbianischer Kohle nur rund 30 Dollar. Evonik/Steag bezieht nach eigener Aussage immer mehr Importkohle aus Kolumbien, ihr Kraftwerk in Termopaipa, Kolumbien, wird garantiert mit dieser Kohle versorgt. Die STEAG zieht Extra-Profite aus der Superausbeutung von Regionen wie Kolumbien, auf den Knochen von Kindern, Arbeitern, Gewerkschaftern und Bauern, und will erklärtermaßen auch weiterhin so verfahren.

Wenn dies aber der Grundpfeiler für die Finanzierung künftiger Investitionen ist, dann ist das Geschäftsmodell insgesamt fragwürdig. Dann könnte auch das kommunale Konsortium nichts anderes tun, als dies fortführen. Oder diese Auslandsgeschäfte müssten vor dem Kauf aufgegeben werden. Woher kommen dann die weiteren Investitionsmittel? Würde der Heuschrecken-Geschäftspartner CVC dem zustimmen? Dies ist eine zentrale Frage unserer Glaubwürdigkeit.
Fossile Energieträger sind schon viel zu lange von großen westlichen Unternehmen in den Ländern des Südens gefördert und hierher gebracht worden, ohne dass die dortige Bevölkerung davon profitiert hätte. Billige Rohstoffe aus der sog. Dritten Welt sind zentraler Bestandteil imperialistischer Politik. Von dieser Logik muss sowohl bei den fossilen Energieträgern als auch bei erneuerbaren Energien abgekehrt werden. Auch bei den EE lehnen wir einen neuen Öko-Imperialismus ab. Wir stehen dagegen für eine Entwicklungspolitik, die die Unabhängigkeit und Eigenverantwortung der Länder des Südens respektiert. Wir wollen unterstützen, dass sie selbst auf dem Gebiet beispielsweise der Wind oder Solarenergie tätig werden. Hiesige öffentliche Unternehmen sollten dortige Unternehmen mit Knowhow fördern und Abnehmer der Öko-Energie aus anderen Ländern sein.

Alternative:Eigene Energieerzeugung der kommunalen EVUs

Das Ziel, die eigene Energieerzeugung der kommunalen EVUs zu erhöhen statt bei den großen 4 einzukaufen, ist richtig und wird von allen geteilt. Aber wie wird es erreicht? Eine Umrüstung von Kohlekraftwerken auf erneuerbare Energien ist technisch nicht möglich. Die Dampferzeuger (Großteil der Anlagen eines Kohlekraftwerks, mit denen durch Kohleverbrennung der Dampf erzeugt wird) sind nicht regenerativ umrüstbar, diesbezügliche Behauptungen der Landes-Grünen sind Scharlatanerie. Die Kraftwerke sind Dinosaurier einer veralteten Technologie und gehören außer Betrieb genommen. Es ginge nur so, dass man für stillgelegte Kohle-befeuerte Dampferzeuger neue GUD-Blöcke aufbaut (GUD = kombinierte Gas- und Dampf-Kraftwerke; primäre Energie ist Gas; die Gasverfeuerung bewegt eine Turbine, aus der Abwärme wird zusätzlich Dampf gewonnen, der auf eine Turbine gelenkt wird).

Aber mit den bis zu 1,2 Mrd € ist ja noch kein Cent in etwas Neues investiert, das ist nur der Kaufpreis für eine veraltete Technologie. Danach müsste ja erst wieder neues Geld für die Neuinvestitionen in GUDs, KWKs, etc. aufgetrieben. Ganz besonders benötigt werden Finanzmittel für Investitionen in den Ausbau der Fernwärmenetze.

Es wäre besser, wenn die kommunalen EVUs mit dem Konsortium selbst ein Geschäftsfeld eröffnen, um direkt in regionale, dezentrale Erzeugung erneuerbarer Energien zu investieren. Es ist überhaupt nicht nachvollziehbar, warum die kommunalen EVUs dies nicht selbst stemmen können sollen. Denn sie müssten es ja nach dem Kauf ohnehin tun, wenn die Umsteuerung ernst gemeint ist. Die Zeitschiene kann hier auch kein Gegenargument sein, denn ehe man nach einem Kauf der Dreckschleudern tatsächlich zum Abschalten und zum Neuaufbau von EE-Kapazitäten kommt, vergeht auch eine Weile.

In der Diskussion fiel das Argument: die Kommunen haben keine Standorte für eigene EE-Anlagen. Bei dezentraler Energieversorgung braucht man für den Aufbau von GUD/KWK-Anlagen keine Riesenflächen. Für Neubausiedlungen geht eine Anlage in zwei Mehrfamilienhäuser, ansonsten braucht es den Platz von Gewerbehof-Flächen, die es in oder am Rande aller Kommunen gibt.
Wenn den kommunalen EVUs ingenieurwissenschaftliches Know-how auf dem Gebiet der erneuerbaren Energieerzeugung fehlt, dann können diese Bereich erweitert, mit neuen Stellen ausgestattet werden, um das Knowhow einzukaufen. Das alles ließe sich mit den 0,6 bis zu 1,2 Mrd. € sinnvoll anstellen.

Erneuerbare Energien ausbauen, mehr Transparenz und Kontrolle der EVUs
Viele Unternehmen in öffentlichem Eigentum führen ein Eigenleben, das in keiner Weise an den gesellschaftlichen Bedürfnissen orientiert ist. Vattenfall ist staatlich und ein durch und durch profitorientierter Monopolist. RWE ist noch überwiegend in öffentlichem Eigentum und eine unkontrollierbare Krake. Die WestLB ist im Staatsbesitz verhob sich auf den internationalen Finanzmärkten. Die Deutsche Bahn ist im Staatsbesitz, verschleudert Steuergelder und ist alles andere als kundenfreundlich

Um rund 20% sind die Strompreise in den letzten 2 Jahren gesunken, aber fast alle Energieversorger (auch die kleinen) haben die Preise laufend erhöht, und über 400 EVU’s haben dies für 2011 wieder angekündigt. Sie alle machen mehr oder weniger was sie wollten, zocken als Global Player durch die Weltgeschichte, kümmern sich mehr um Renditen oder Auslandsgeschäfte als um ihre Region und ihre Kunden.

Hinzu kommt: Besonders Auslandsaktivitäten von öffentlichen Unternehmen, die zudem privatrechtlich verfasst sind, können von Feierabendpolitikern in Kommunalparlamenten nicht wirklich kontrolliert werden. Und übrigens auch Vollzeitpolitiker in Landesparlamenten können das nicht, wie die WestLB zeigt.

Es kann nicht unser Ziel sein, dass mit dem Erwerb der Steag wieder eine unkontrollierbare Krake wie RWE aufgebaut wird, die dann der 5. Oligopolist wird. Es wird schon schwierig genug, die Aktivitäten der bestehenden kommunalen EVUs umzusteuern, neu auszurichten, ökologisch, dezentral, sozial und kundenfreundlich zu gestalten. Dazu müssen wir vor allem Schritte unternehmen, um bei rein kommunalen Stadtwerken durchzusetzen,

– dass sie die Strompreissenkungen an die Verbraucher weitergeben

– dass sie demokratischerer Strukturen erhalten und mehr öffentlicher Kontrolle unterworfen sind,

– dass sie stärker in EE investieren.

Falsche Positionen der Grünen übernehmen?

Es gibt ja bei den Grünen keine einheitliche Haltung dazu. Basis-Konferenzen wie die MV in Duisburg haben sich ja gegen die Positionen der Parlaments- und Regierungs-Grünen gewendet.
Wir greifen vielmehr die besten Traditionen der Grünen auf (so wie wir auch weiterhin die ehemals grüne Anti-Kriegs-Position aufrechterhalten).

Politik des „geringeren Übels?

Die Frage, ob das mitbietende tschechische Konsortium das besser oder schlechter machen würde („geringeres Übel“?) stellt sich dann nicht, wenn die beteiligten Stadtwerke in eigener Verantwortung und mit o. g. Zielen selbst EE Kapazitäten aufbauen.

Um zu verhindern, dass andere Private dann die Dreckschleudern kaufen und weiter laufen lassen, wäre ein Stopp des Verkaufs die korrekte Forderung. Die Landesregierung NRW sitzt maßgeblich mit in der Stiftung und wäre entsprechend aufzufordern.

Damit blieb die Kraftwerkssparte in öffentlichem Mehrheitseigentum und es wäre zu überlegen, wie die Kraftwerke stillzulegen sind unter Heranziehung von Finanzbeiträgen der ehemaligen Bergaukonzerne. Diese haben sich nämlich mit dem Modell Ruhrkohle-Stiftung, an die sie ihre Anteile für 1 € abgegeben haben, aus der Verantwortung für die Ausstiegs- und Ewigkeitskosten geschlichen.
(siehe auf der Evonik-Webseite: Investoreninfo/ Stiftungsmodell: http://corporate.evonik.de/de/investor-relations/ueberblick/stiftungsmodell/pages/default.aspx

Im Übrigen ist das Argument des „geringeren Übels“ immer eins, das vor allem sog. „Sachzwänge“
für alternativlos erklärt.

Fazit

Der Kauf der STEAG

– ist kein Schritt zur Übernahme in öffentliches Eigentum, sondern womöglich ein Rückschritt in Sachen öffentlicher Einflussmöglichkeiten

– bindet große Investitionsmittel der EVUs, die für ein Umsteuern Richtung ökologische, dezentrale, soziale und kundenfreundliche Energieversorgung eingesetzt werden könnten

– bedeutet die Übernahme von Mitverantwortung für die katastrophalen Zustände in ausgeplünderten Bergbauregionen im Ausland

– setzt öffentliche Mittel dafür ein, dass sich Evonik-Steag mit den Verkaufserlösen den Ausstieg aus dem Auslaufmodell der Kohlestromerzeugung finanziert  und wäre ein Beitrag zu den Kosten der Ewigkeitslasten des Bergbaus seitens der Stadtwerke/Kommunen

– enthält die Gefahr, wieder eine schwer oder unkontrollierbares Gebilde aufzubauen wie RWE
Die aufgeworfenen Fragen sollten vor dem möglichen Erwerb des restlichen 49%-Anteils weiter geprüft werden, ebenso wie die Erfahrungen bis dahin: Hat uns das Ganze dem Ziel einer ökologischen, dezentralen, sozialen und kundenfreundlichen Energieversorgung in öffentlicher Hand nähergebracht? Haben wir umsteuern und demokratisch kontrollieren können? Konnten wir überhaupt irgendeine Einflussnahme erreichen?

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