Wind, Flaute oder Sturm

Dietrich Keil, Ratsherr „Essen steht AUF“: Zur Zukunft der Messe Essen

Dietrich Keil

Dietrich Keil

Ratssitzung 23.3.2011,
TOP 6

Dietrich Keil, Ratsherr „Essen steht AUF“
Zur Zukunft der Messe Essen,

Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren,

es ist schon bemerkenswert: Kaum hat dieser Rat im Schweinsgalopp und nach dem Takt von evonik sich auf das hochriskante Steag-Stromerzeugungsgeschäft eingelassen, soll er schon wieder im Galopp entscheiden über hohe Millionenbeträge, die angeblich ganz plötzlich unsere Messe braucht. In meinen Augen ein mindestens so riskantes Unterfangen für die Stadtfinanzen. Und von jetzt auf gleich sollen zumindest 2,5 Mio für die Messe alternativlos sein, sonst drohe Insolvenz. Ich halte so was für Pistole auf die Brust, nicht für seriöse Finanzpolitik.

Der OB hat gerade bedauert, dass die Messe jahrelang knapp gehalten wurde. Dabei wurde der Messe jahrelang in Millionenhöhe meist ohne Ratsbeschluss zugeschossen, in Geld oder Grundstücken, wurde das Abschmelzen des Messe-Eigenkapitals hingenommen, das ja schließlich der Stadt gehört. Doch die Verluste wuchsen schneller auf inzwischen 103 Millionen. Und 100 Millionen will Roland Berger schleunigst investiert sehen, und mit ihm der Oberbürgermeister.

Der OB hat erneut bezweifelt, dass es um 200 Millionen geht. Es hilft aber nichts, ob man sich für Bürgschaften Geld pumpt oder direkt, ob man die Schuldenzahlung zeitlich hinzieht oder nicht, die Stadt müsste sich letztlich um diesen Betrag neu verschulden. Eigentlich müsste Kämmerer Klieve aufheulen bei dieser Aussicht. Essen steckt mit inzwischen 3,1 Milliarden Schulden mit am tiefsten in der strukturellen Finanzkrise, die viele NRW-Städte beutelt. Nächstes Jahr sind wir bei fast 3,3 Mrd, mit den Messe-Krediten kämen wir auf 3,5 Mrd Schulden. Damit hätten sie das Doppelte der jährlichen Einnahmen erreicht, die Stadt wäre rettungslos überschuldet.

Meine Damen und Herren, es geht deshalb nicht darum, ob die Stadt auf die Messe verzichten will, was heute Messechef Thorwirt anprangert in der Presse. Das will doch keiner, das will auch ich nicht. und so steht die Frage auch gar nicht. Sondern es geht darum, ob die Stadt das bezahlen kann. Das ist für mich der entscheidende Punkt.

Diese 200 Mio zusätzliche Verschuldung sind fast 350 Euro pro Einwohner, vom Baby bis zur Oma. Wollen wir das? Tatsächlich fehlt es doch überall in dieser Stadt an Geld für soziale Leistungen, gerade auch bei den Pflichtaufgaben der Stadt. Eine Messe ist zwar ein Wirtschaftsfaktor, aber keine Pflichtaufgabe der Kommune. Es mag angehen, dass sie etwas kostet statt Gewinn zu machen, weil es sich an anderer Stelle lohnen kann. Entwickelt sie sich aber zu einem regelrechten schwarzen Loch für die prekären Stadtfinanzen, dann geht das massiv auf Kosten der Daseinsvorsorge der Bürger dieser Stadt. Hier sollte man innehalten und ergebnisoffen prüfen, ob das gerechtfertigt ist. Da ist wenig hilfreich, wenn Herr Thorwirt behauptet, es gäbe nur eine, nämlich seine Lösung des Problems.

Die Vorlage der Verwaltung behauptet das Gleiche, schlägt nur die sog. Ertüchtigung für 100 Mio vor und nennt das „Stand alone“. Ich würde das mit „Augen zu und durch“ übersetzen. Die Vorlage enthält keine kritische Analyse der Geschäftsentwicklung und der Ursachen der Verluste, während jeder weiß, dass sich die Zahl der Messeplätze in Deutschland halbieren wird. Sie enthält kein Konzept, keinen klaren Businessplan, wie Essen in der, wie wir schon hörten gnadenlosen Konkurrenz zu großen und mittleren Messeplätzen bestehen will. Es ist ein letztlich teures Wunschdenken, dass allein Investitionen auf Pump in neue Hallen die Situation der Messe Essen heilen würden. Die Vorlage kommt auch nicht auf die Idee, andere Business-Modelle für das Gelände zu untersuchen, die z.B. nicht auf Kosten des Gruga-Parks gehen, sondern dieses Alleinstellungsmerkmal in Essen viel bewusster einbeziehen. Diese Ideenlosigkeit sehen offenbar auch andere Fraktionen kritisch, und wollen die Stadt nicht ins Blaue hinein verschulden.

Ergebnisoffen heißt für mich, dass auch ein Ausstieg aus dem verlustreichen Messegeschäft, ein geordneter Rückzug davon eine denkbare Alternative ist. Sicher, das ist nicht gerade populär, und kostet auch. Die Frage steht aber, und sie muss seriös, auf einen Zeitpunkt gerechnet, mit anderen Alternativen verglichen werden, nicht wie in der Vorlage bezogen auf verschiedene Zeiträume. Dass schon soviel Geld in die Messe versenkt wurde, kann doch ernsthaft kein Argument sein, damit immer weiter zu machen. Und dass bei einem Ausstieg der CBL-deal von 2001 der Stadt auf die Füße fällt, das sollte man den damaligen Finanzjongleuren um die Ohren hauen.

Meine Damen und Herren, ergebnisoffen ist allerdings auch der Gegenantrag des Viererbündnisses nicht Er geht nur von einer Richtung aus, nämlich weiter wie bisher, aber etwas überlegter als die Verwaltungsvorlage. Dabei legt er sich eigentlich auf nichts fest.

Was ich daran unterstütze ist, dass Entscheidungen zur Messe als eine Frage des Haushalts verstanden werden, also nicht losgelöst von allem anderen, sondern im Zusammenhang mit der Finanzkrise der Stadt. Damit können wir im Herbst hier im Rat eine alternative Verwendung der für die Messe veranschlagten Mittel in den Blick nehmen – für die Kinder und- Jugendarbeit, für Sport, Bäder, Kultur usw., oder auch für Schuldenabbau. Damit können wir abwägen, ob wir das wenige Geld, das wir haben, lieber für die Verbesserung der Lebensqualität in der Stadt einsetzen und für Investitionen in ihre Infrastruktur, statt den Spielraum dafür durch hohe neue Schulden für die Messe weiter zu verengen.

Es darf nicht tabu sein, ob wir so mehr gewinnen für die Stadt – danke.

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