NRZ: Per Bürgervotum zum Messergebnis?

Soll’s die „Erweiterung Nord mit Eingriff“ sein oder eher das Model „Vision“? Könnte man auch mit der Klapp-Variante leben, benannt nach einem bekannten Architekten, und wie weit darf der Grugapark angeknabbert werden?

Nur bis zur Außenkante der Treppenhäuser an den Nordhallen, oder steht womöglich auch das Bahnhofsgelände des Grugabähnchens zur Verfügung?

Und überhaupt: Soll die Stadt die Messe um- und ein bisschen ausbauen, mit Millionenzusagen auf Jahre hinaus?

Wenn es nach den Linken geht, dann könnte diese derzeit auf Eis liegende Frage im Herbst im Rahmen eines sogenannten „Ratsbürgerentscheids“ geklärt werden – einer noch recht frischen Erfindung der direkten Demokratie, bei der das Stadtparlament beschließt, über eine Angelegenheit der Gemeinde ein Bürgervotum einzuholen.

„Warum sollte man die Bürger

nur fragen, ob es künftig Schulmilch mit oder ohne Geschmack gibt – oder nicht, wofür die Politik einen dreistelligen Millionenbetrag ausgeben will?“, so begegnet der Fraktionsgeschäftsführer der Linken, Jörg Bütefür, Fragen, warum denn ausgerechnet in diesem Fall die Bürger ran sollen. Bei den Sozialdemokraten ist man dieser Tage immerhin bereit, über einen solchen Ratsbürgerentscheid, wie er in der Gemeindeordnung verankert ist, nachzudenken. Ganz im Gegensatz zur CDU: „Die Linken drücken sich nur vor der Verantwortung und wollen diese an die Bürger delegieren“, spottet Fraktionschef

Thomas Kufen. Ein solcher Entscheid „würde unseren Zeitplan gefährden und damit auch die Messe“, den im Herbst, wenn der Stadt-Etat im Rat zur Abstimmung gestellt wird, wollte das Viererbündnis aus CDU, Grünen, FDP und EBB auch eine endgültige Antwort auf alle Zukunftsfragen der Messe an der Norbertstraße geben.

56 Ratsstimmen nötig

Dieser Zeitplan muß, bei Lichte besehen, einem Ratsbürgerentscheid nicht unbedingt widersprechen, denn wenn der Rat in seiner nächsten Sitzung am 12. Juli die Weichen

dafür stellt, könnte ein solcher Entscheid für Anfang November eingestielt werden.

Dennoch stehen die Aussichten für ein solches Verfahren nicht sonderlich gut, denn dafür, dass der Rat den Bürgern das Votum überträgt, verlangt die Gemeindeordnung NRW eine satte Mehrheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Zahl der Mitglieder. Im 83-köpfigen Essener Rat – Oberbürgermeister inklusive – wären dies also mindestens 56 Stimmen. Was im Umkehrschluss heißt: Schon die CDU (mit 26 Ratsleuten) und die FDP (mit weiteren fünfen) zusammen könnten mit ihren 31 Stimmen

das Ansinnen zu Fall bringen.

Dass dies die Bürger gänzlich von der Entscheidungsfindung ausschließt, gilt aber keineswegs als ausgemacht. Im Zweifel wäre auch ein „klassischer“ Bürgerentscheid denkbar, so wie es ihn schon 2001 zu den Bäderschließungen sowie 2007 zum Masterplan Sport und zu möglichen Privatisierungen gegeben hat. Die Landesregierung will die dafür nötige Erfolgshürde in den nächste Wochen deutlich senken: Eine Mehrheit in Höhe von zehn Prozent der Wahlberechtigten würde dann entscheiden können, dass sind knapp 46.000 Essener.



Die neue Macht der Bürger

Anmerkungen zum Stadtgeschehen

Bei einer wirklich wichtigen Entscheidung zwischen zwei fünf Jahre auseinanderliegenden Wahlterminen die Bürger nach ihrer Meinung zu fragen – ist im Prinzip kein schlechter Gedanke. Und er wird auch nicht schlechter dadurch, dass einem manchmal das Gefühl beschleicht, die zunehmende Begeisterung für Elemente der direkten Demokratie hänge hie und da womöglich damit zusammen, dass die wachsende Wut einer politisch wachen Gesellschaft auf den schwindenden Mut der Entscheidungsträger trifft. Sollen doch „die Leute“ entscheiden – das funktionierte schon vor 2000 Jahren gan gut als, Pontius Polatus das Volk nach seiner Meinung fragte und nach ergangenem Urteil die eigenen Hände so wunderbar in Unschuld waschen konnte.
Damals ging es um Leben und Tod, heute „nur“ um Großprojekte der der Infrastruktur, bei deren Rechtfertigung es das gesamtstädtische Wohl gegen Partikularinteressen aller Art oftmals schwer hat. So naheliegend der Gedanke der Linken auch erscheinen mag, die Frage des Messe-Ausbaus samt seiner Finanzierung in einem „Ratsbürgerentscheid“ an die vielzitierte Basis zu delegieren, es schmeckt doch allzu sehr nach dem Versuch, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Oder als Versuch, eigene (durchaus verständliche) Unsicherheit mit Bürgernähe zu kompensieren.

Dabei könnten die Bürger auch so auf der Matte stehen, wenn im Herbst der Messe-Ausbau beschlossen werden sollte – und eine qualifizierte Minderheit sich damit nicht abfinden möchte. SOlche Versuche, die Politik „von oben“, durch Initiativen „von unten“ zu korrigieren, hat es schon mehrfach gegeben, aber bis auf das Begehren in Sachen Saalbau und Philharmonie, das von einem breiten Spektrum ernormen Rückenwind bekam – von der CDU über Grüne und FDP bis hin zu eher links verorteten Kulturinitiativen – scheiterten alls anderen (Auf-)Begehrens-Versuche.

Doch die Zeiten ändern sich:
Wenn der Landtag im Sommer einem Gesetzesentwurf der Landesregierung folgt und die Zustimmungs-Hürden für Bürgerentscheide in Großstädten von 20 auf 10 Prozent der Wahlberechtigten senkt, bringt dies nicht nur manches Projekt mit höchstem Wut-Potential ins Wanken. Denn wir dürfen mal erinnern: Ein solches Quorum, das für Essen knapp 46.000 Stimmen bedeutet (=zehn Prozent der zur Kommunalwahl 2009 festgestellten Wahlberechtigten) hätte dazu geführt, dass die letzten drei Bürgerentscheide im Triumphgeheul ihrer Initiatoren geendet hätten: Nicht nur der von SPD, Grünen und Linksaußen unterstützte Bäderentscheid von Mai 2001, auch das Doppel-Bürgerbegehren von 2007 gegen den „Masterplan Sport“ und mögliche Privatisierungen landeten über diese Marke.

Droht neben der Verhinderungsmehrheit durch Stimmabweichler im Rat demnächst also eine ebensolche von außerhalb des Stadtparlaments? So viel steht fest: Im Verhältnis zur Politk werden die Bürger mächtiger denn je. Und wer weiß, ob sie nicht beim Messe-Ausbau zum ersten Mal ausprobieren.

Wolfgang Kintscher

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