Wind, Flaute oder Sturm

„Zivilgesellschaftliche Prioritäten“ zur Umsetzung von GEAS / Rechtsentwicklung und Linke Gegenbewegung

Gemeinsames Statement von
26 Bundesorganisationen

Zivilgesellschaftliche Prioritäten für die gesetzliche Umsetzung der
Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems in
Deutschland

Berlin, 16. Juli 2024
Die unterzeichnenden Organisationen unterstützen seit Jahren geflüchtete Menschen in rechtlichen, aufnahmebezogenen, sozialen, medizinischen und therapeutischen Belangen. Faire Asylverfahren und menschenwürdige Aufnahmebedingungen sind unser Ziel, wie auch das der Bundesregierung.
Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) wurde im Juni 2024 verabschiedet und gilt ab dem Sommer 2026. Die Zivilgesellschaft hat die Reform mehrfach als starke Verschärfung des europäischen Asylrechts kritisiert, die den Schutz von fliehenden Menschen in der EU gefährdet.
Diese Kritikpunkte bleiben auch nach dem Beschluss der Verordnungen und der Richtlinie bestehen.
Einige Mitgliedstaaten fordern bereits weitere Verschärfungen zur Auslagerung des Flüchtlingsschutzes, wodurch die neuen Regelungen politisch in Frage gestellt werden. Eine nicht
menschenrechtskonforme Umsetzung würde die Erosion rechtsstaatlicher Standards in der EU weiter vorantreiben.
Diesem Trend sollte sich die Bundesregierung mit besonderer Sorgfalt bei der Umsetzung entgegenstellen und die Achtung der Menschenrechte stets in den Fokus nehmen. Die unterzeichnenden Organisationen betonen, dass EU-Recht immer entsprechend der EUGrundrechtecharta (GRCh) menschenrechtskonform angewendet werden muss und so z.B. das Recht auf Asyl, das Recht auf Freiheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsbehelf geachtet werden müssen. Zudem müssen einschlägige internationale Verträge wie die UN-Kinderrechtskonvention oder die UN-Behindertenrechtskonvention eingehalten werden.
Für die gesetzliche Umsetzung der neuen Rechtsakte1
in Deutschland machen die unterzeichnenden
Organisationen auf folgende wichtige Punkte aufmerksam, die im Folgenden kurz ausgeführt werden:
● Starkes Menschenrechts-Monitoring
● Vulnerable Gruppen identifizieren und schützen
● Faire und sorgfältige Asylverfahren
● Unabhängige und durchgängige Asylverfahrensberatung
● Rechtsschutz stärken
● Keine Inhaftierung schutzsuchender Menschen
● Kinder schützen und unterstützen
● Menschenwürdige Aufnahme
Diese Ausführungen sind nicht abschließend und sind unter hohem Zeitdruck entstanden, um eine frühzeitige Berücksichtigung der zivilgesellschaftlichen Expertise zu ermöglichen. Dies ersetzt
ausdrücklich nicht die angemessene Verbändebeteiligung bei Vorliegen eines Referentenentwurfs.
Für diese sollten angesichts der Komplexität der Regelungen schon jetzt mindestens zwei Wochen eingeplant werden. Wir möchten zudem darauf hinweisen, dass die Umsetzung der Reform durch
eine angemessene Finanzierung getragen werden muss.
1 Screening-Verordnung 2024/1356 (Screening-VO), Asylverfahrensverordnung 2024/1348 (AVVO), Aufnahmerichtlinie
2024/1346 (AufnahmeRL), Verordnung über ein Asyl- und Migrationsmanagement 2024/1351 (AMM-VO), Krisenverordnung
2024/1359, Qualifikationsverordnung 2024/1347, Grenzrückführungsverordnung 2024/1349, Resettlementverordnung 2024/1350, Screening-Konsistenz-Verordnung 2024/1352, Eurodac-Verordnung 2024/1358,
Zivilgesellschaftliche Prioritäten für die gesetzliche Umsetzung der GEAS-Reform in Deutschland
3
STARKES MENSCHENRECHTS-MONITORING
Das neue Erfordernis eines unabhängigen Menschenrechts-Monitorings ist eine der wenigen
positiven Regelungen der Reform. Angesichts der massiven Menschenrechtsverletzungen an den
EU-Außengrenzen braucht es starke Überwachungsmechanismen, um diesen etwas entgegensetzen
zu können. Auch auf Deutschland kommen mit dem Wechsel vom Flughafenverfahren zum neuen
Außengrenzscreening und -grenzasylverfahren große Veränderungen zu. Um hier für
menschenrechtskonforme Bedingungen zu sorgen, braucht es ein starkes Monitoring. So kann die
deutsche Umsetzung auch Vorbild für andere EU-Länder sein.

  1. Unabhängiger Überwachungsmechanismus: Es muss ein eigenständiger und
    unabhängiger Monitoring-Mechanismus für das Screening eingerichtet werden (Art. 10 Abs. 2
    Screening-VO), der sinnvollerweise auch für das ebenfalls verpflichtende Monitoring im
    Asylgrenzverfahren zuständig ist (Art. 43 Abs. 4 AVVO). Eine behördliche Rechts- und
    Fachaufsicht würde hierfür nicht genügen. Es sollte vielmehr durch gesetzliche Regelungen
    sichergestellt werden, dass der Mechanismus unabhängig ist, vor allem hinsichtlich der
    Wahrnehmung der Aufgaben, der Auswahl der Mitarbeitenden und der Finanzierung. In
    Deutschland kommen das Deutsche Institut für Menschenrechte sowie die Nationale Stelle
    zur Verhütung von Folter für diese Aufgabe in Frage (vgl. Art. 10 Abs. 2 UA 4 Screening-VO).
  2. Jährlicher Bericht an den Bundestag: Die in Art. 10 Abs. 2 UA 3 Screening-VO geregelte
    Befugnis des Überwachungsmechanismus, jährliche Empfehlungen an die Mitgliedstaaten
    abzugeben, sollte gesetzlich dahingehend konkretisiert werden, dass die Monitoringstelle
    mindestens jährlich einen Bericht über ihre Tätigkeit, Erkenntnisse und Empfehlungen an den
    Deutschen Bundestag abgibt und die Bundesregierung hierzu Stellung nimmt. Nur dann ist
    eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Empfehlungen sichergestellt.
  3. Einrichtung eines bundesweiten Konsultativforums: Art. 10 Abs. 2 UA 4 Screening-VO
    sieht die enge Zusammenarbeit der nationalen Monitoringstellen mit einschlägigen
    Nichtregierungsorganisationen sowie den nationalen Datenschutzbehörden und dem
    Europäischen Datenschutzbeauftragten vor. Für diesen Austausch sollte ein bundesweites
    Konsultativforum eingerichtet werden. Bezüglich der Abschiebungsbeobachter*innen wurden
    mit den sie begleitenden Foren („Flughafenforen“) gute Erfahrungen gemacht und sie können
    entsprechend als Modell übernommen werden. Dies hätte den Vorteil, dass in unmittelbarem
    Austausch der fachlich kompetenten Akteure entstehende Probleme beim Grundrechtsschutz
    direkt angesprochen, diskutiert und idealerweise gelöst werden können.
    VULNERABLE GRUPPEN IDENTIFIZIEREN UND SCHÜTZEN
    Besonders vulnerable Gruppen wie Minderjährige, Menschen mit Behinderungen, Personen, die
    aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität verfolgt werden (LSBTI+),
    Überlebende schwerer Gewalt oder Folter und Betroffene von Menschenhandel haben ein Recht auf
    besondere Unterstützung, damit das Asylverfahren für sie fair ist und die Aufnahmebedingungen
    angemessen. Um dies zu gewährleisten ist vor allem Folgendes notwendig:
  4. Mindestens zweistufige Identifizierung besonderer Schutz- und Aufnahmebedarfe: Die
    Zuständigkeit für die Durchführung der Vulnerabilitätsprüfung im Screeningverfahren als
    Verfahrensschritt vor dem Asylverfahren muss bei den dafür zuständigen Behörden (BAMF
    und für die Aufnahme zuständige Landesbehörden), nicht bei der Polizei liegen (Art. 2 Abs.
    10 iVm Art. 12 Abs. 3 Screening-VO). Gesetzlich ausdrücklich zu regeln ist außerdem, dass
    vor einer Verteilung auf die Bundesländer zumindest eine erste Identifizierung von
    Vulnerabilitäten erfolgt sein muss und die identifizierten Vulnerabilitäten bei der Verteilung zu
    berücksichtigen sind (Art. 7 Abs. 3, Art. 25 Abs. 1 AufnahmeRL iVm Art. 4 Abs. 1 b
    Screening-VO). Dies gilt genauso für neu ankommende Geflüchtete, die nicht unter die
    Zivilgesellschaftliche Prioritäten für die gesetzliche Umsetzung der GEAS-Reform in Deutschland
    4
    Screening-VO fallen, weil sie etwa in einem anderen Mitgliedstaat bereits gescreent wurden
    (Art. 7 Abs. 3, Art. 25 Abs. 1 AufnahmeRL). Es ist von der Möglichkeit Gebrauch zu machen,
    neben der Prüfung von Aufnahmebedarfen die Länder zusätzlich mit der Ermittlung
    besonderer Verfahrensgarantien nach der AVVO zu beauftragen (Art. 20 Abs. 1 S. 2 AVVO),
    auch um im Bedarfsfall erneute oder zusätzliche Identifizierungsmaßnahmen einzuleiten.
  5. Gewährleistung hoher Qualität der Identifizierung von Schutz- und
    Versorgungsbedarfen: Oberste Priorität muss sein, dass eine Beteiligung von fachkundigen
    Nichtregierungsorganisationen und medizinischen Fachexpert*innen bei der Konzeption und
    Durchführung etwaiger Identifizierungsverfahren in jedem Verfahrensschritt gesetzlich
    verankert (Art. 12 Abs. 3 S. 2 Screening-VO, bspw. auch Art. 11 Abs. 4 MenschenhandelRL)
    und finanziert wird (Art. 8 Abs. 9 UA 4 Screening-VO). Eine Aufklärung zu und Vorbereitung
    auf Maßnahmen der Vulnerabilitäts-Ermittlung durch unabhängige, spezialisierte
    Rechtsberatung vom Anfang des Screenings an ist ebenfalls unabdingbar (Art. 11 Abs. 4
    Screening-VO, Art. 15 AVVO, siehe Punkt “Unabhängige und durchgängige
    Asylverfahrensberatung”). Auch die Verfahrensgarantien für die Identifizierung aus Art. 25
    Abs. 1 UA 1 und Abs. 2 S. 1 AufnahmeRL (bspw. Sprachmittlung und eine detaillierte
    Dokumentationspflicht der Behörden) müssen gesetzlich umgesetzt werden.
  6. Übermittlung von Daten zwischen Behörden: Jegliche Identifizierungs-Maßnahme zu
    Vulnerabilitäten muss in eine schriftliche Dokumentation münden, die der Person
    ausgehändigt wird (Art. 17 Abs. 3 UA 3 Screening-VO, vgl. Art. 25 Abs. 2 S. 1 b)
    AufnahmeRL). Die ermittelten Bedarfe werden unter informierter Einwilligung
    datenschutzkonform nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Datensparsamkeit an
    die zuständigen Behörden übermittelt (Art. 18 Abs. 1 UA 2 ScreeningVO, Art. 20 Abs. 1 S. 3
    AVVO). Es bedarf hier einer expliziten gesetzlichen Klarstellung, dass diese Behörden alle
    mit der Gewährung von Aufnahme- und Verfahrensbedarfen betrauten Behörden sind.
  7. Versorgungsanspruch aus identifizierten Schutzbedarfen: Ein Anspruch auf die
    Gewährung festgestellter besonderer Bedarfe ist explizit im Gesetz festzuschreiben (Art. 25
    Abs. 2 S. 2 AufnahmeRL). Eine den ermittelten Bedarfen entsprechende Unterbringung und
    gesundheitliche Versorgung gemäß der AufnahmeRL erfordern eine rechtliche Festlegung,
    welche Leistungen aufgrund des Bedarfs gewährt werden. Dazu muss der entsprechende
    Leistungsumfang und der Kostenträger gesetzlich eindeutig bestimmt werden. Dies betrifft
    unter anderem eine geeignete psychologische Betreuung für Überlebende schwerer Gewalt
    oder Folter (Art. 22, 28 AufnahmeRL), Teilhabe- und Pflegeleistungen für Menschen mit
    Behinderung (Art. 19 Abs. 2 AufnahmeRL iVm Art. 26 GRCh, Art. 22, Art. 25 Abs. 2 S. 2
    AufnahmeRL) sowie bedarfsgerechte Unterbringung (Art. 20, Art. 26 AufnahmeRL). Auch die
    Kostenübernahme für erforderliche Sprach- und Kulturmittlung muss gesetzlich verankert
    werden.
    FAIRE UND SORGFÄLTIGE ASYLVERFAHREN
    Faire und sorgfältige Asylverfahren sind der Schlüssel dafür, dass verfolgte Menschen Schutz
    bekommen. In Deutschland gibt es – trotz bestehender Kritikpunkte – grundsätzlich einen hohen
    Standard im Asylverfahren, der zu halten ist. Wenn die Asylverfahren nicht gut funktionieren, dann
    verlagert sich die Arbeit im Zweifelsfall auf die Gerichte und führt dort zu Überlastung.
  8. Anpassung des deutschen Asylgesetzes: Statt das Asylgesetz durch Streichungen zu
    verkomplizieren, sollte es gemäß der GEAS-Reform angepasst werden. Dies betrifft neben
    den Verfahrensnormen auch die Definitionen von „Familie“ und „Familienangehörigen“,
    schutzbietenden Akteuren, internem Schutz und dem Verfolgungsgrund „Zugehörigkeit zu
    einer bestimmten sozialen Gruppe“. Eine solche Verfahrensweise wäre auch mit der EuGHRechtsprechung vereinbar, insbesondere da die Reform ohnehin nationale
    Umsetzungsspielräume beinhaltet.
    Zivilgesellschaftliche Prioritäten für die gesetzliche Umsetzung der GEAS-Reform in Deutschland
    5
  9. Keine neuen “sicheren Drittstaaten”: Zulässigkeitsentscheidungen im Asylverfahren
    bleiben optional für Mitgliedstaaten (Art. 38 AVVO). Abgesehen von dem separaten DublinRegime, spielen Unzulässigkeitsentscheidungen wegen angeblich sicherer Drittstaaten in
    Deutschland bislang keine Rolle. Es ist auch nicht zielführend, durch neue „sichere
    Drittstaaten“ eine andere Praxis aufzubauen, da dies praktisch nur sehr schwer durchsetzbar
    sein würde und die Asylverfahren bzw. den Zugang zu Schutz stark verzögern würde. Dies
    ergibt sich aus den Stellungnahmen der Sachverständigenanhörungen des BMIs.
  10. Keine Ausweitung von o.u.-Entscheidungen oder “sicheren Herkunftsstaaten”: Durch
    Art. 42 AVVO werden in vielen Fällen beschleunigte Asylverfahren zur Pflicht. Dies bedeutet
    auch kürzere Klagefristen (vgl. Art. 67 Abs. 7 a) AVVO) und keine aufschiebende Wirkung der
    Klage (vgl. Art. 68 Abs. 3 a) i) AVVO), was bereits eine große Benachteiligung für die
    Betroffenen und eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für Anwält*innen wäre. Da
    die Regelung nur „unbeschadet des Grundsatzes der Nichtzurückweisung“ gilt und dieser
    eine aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen erfordert, muss aber auch in diesen Fällen
    die aufschiebende Wirkung der Regelfall sein. Die Bundesregierung sollte die Rechtslage
    nicht weiter verschärfen und keine weiteren o.u.-Gründe einführen oder neue „sichere
    Herkunftsstaaten“ benennen, insbesondere nicht wenn bestimmte Teilgebiete oder
    Personengruppen (z.B. LSBTI+) in dem Land eindeutig nicht sicher sind (vgl. BVerfG).
    UNABHÄNGIGE UND DURCHGÄNGIGE ASYLVERFAHRENSBERATUNG
    Eine unabhängige Asylverfahrensberatung ist ein entscheidender Faktor für faire Asylverfahren und
    wirkt sich auch positiv auf die Abläufe im Asylverfahren aus. Entsprechend gut sollten die
    Möglichkeiten der Verordnungen für ein starkes Beratungssystem genutzt werden. Eines der Ziele der
    Reform ist es, Rechtsberatung durchgängig in allen Verfahrensstadien zu gewährleisten.
  11. Asylverfahrensberatung weiterhin gesetzlich verankern: Die Garantie einer
    angemessenen und unabhängigen Rechtsberatung ist unter Berücksichtigung der unlängst
    eingeführten Asylverfahrensberatung (§12a AsylG) als konkretisierende bundesgesetzliche
    Regelung des Art. 15 Abs. 3 AVVO weiterhin gesetzlich zu verankern. Diese muss sowohl die
    unabhängige Asylverfahrensberatung als auch die besondere Rechtsberatung für vulnerable
    Personen in allen Verfahrensschritten sicherstellen. Neben der gesetzlichen Regelung muss
    die ausreichende Bundesfinanzierung sichergestellt werden, um den tatsächlichen Zugang
    gewährleisten zu können.
  12. Rechtsberatung von Anfang an und überall: Der Zugang sowohl zur unabhängigen
    Asylverfahrensberatung als auch zur besonderen Rechtsberatung für vulnerable Personen
    muss explizit bereits im Screeningverfahren und auch im Grenzverfahren sichergestellt
    werden. Gerade wenn Asylsuchende sich nicht frei bewegen dürfen, ist es essentiell, dass
    Beratungsorganisationen uneingeschränkten Zugang zu den Einrichtungen haben. Bezüglich
    des Screenings sollte geregelt werden, dass Informationen durch NGOs erteilt werden (Art.
    11 Abs. 4 Screening-VO).
  13. Rechtliche Unterstützung ohne Ausnahmen garantieren: Art. 19 Abs. 2, Abs. 3 iVm Art.16
    Abs. 3 und Art.17 Abs. 2 AVVO gibt Mitgliedstaaten die Möglichkeit, den Rahmen der
    Rechtsauskunft, -beratung und -vertretung näher auszugestalten. Bei der Ausgestaltung
    sollte ein uneingeschränktes Recht auf Unterstützung für alle Antragstellenden verankert
    werden, unabhängig von der finanziellen Situation der Antragstellenden und unabhängig von
    der Erfolgsaussicht oder der Instanz der rechtlichen Unterstützung.
    RECHTSSCHUTZ STÄRKEN
    Nur mit einem funktionierenden Rechtsschutz können wir von einem fairen Asylsystem sprechen.
    Schon jetzt arbeiten Rechtsanwältinnen und Richterinnen in Deutschland unter hohem Druck. Um
    Zivilgesellschaftliche Prioritäten für die gesetzliche Umsetzung der GEAS-Reform in Deutschland
    6
    den effektiven Rechtsschutz zu garantieren, sollten folgende Punkte bei der Umsetzung
    berücksichtigt werden:
  14. Angemessene Fristen für den Rechtsschutz: Bezüglich der Rechtsschutzfristen wird den
    Mitgliedstaaten ein gewisser Spielraum zugestanden, den Deutschland positiv nutzen sollte,
    um effektive Rechtsvertretung zu ermöglichen. So sollte für Entscheidungen nach einem
    beschleunigten Prüfverfahren eine Frist von zehn Tagen für den Rechtsbehelf und bei einer
    Entscheidung in anderen Fällen eine Frist von einem Monat festgelegt werden (vgl. Art. 67
    Abs. 7 AVVO).
  15. Angemessene Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens: Laut Art. 69 AVVO sollen die
    Mitgliedstaaten angemessene Fristen für das Rechtsbehelfsverfahren in erster Instanz
    festlegen, wobei ebenso festgehalten wird, dass dies eine angemessene und vollständige
    Prüfung des Rechtsbehelfs nicht beeinträchtigen darf. Bei der MPK im November 2023 wurde
    eine Frist von sechs Monaten diskutiert. Dies geht jedoch an der Realität vieler
    Verwaltungsgerichte vorbei und würde einen Druck verursachen, der zu Lasten sorgfältiger
    Prüfungen gehen könnte. Anstatt enge Fristen gesetzlich zu regeln – an die Richter*innen
    letztlich nicht gebunden sind – sollte eine bessere personelle Ausstattung der Gerichte
    sichergestellt werden, die eine sorgfältige und schnelle Bearbeitung gewährleistet.
  16. Rechtsmittel zur Überprüfung der Außengrenz-Screeningentscheidung normieren:
    Effektiver Rechtsschutz iSd Art. 13 EMRK und Art. 19 Abs. 4 GG setzt voraus, dass sich
    Betroffene auch gegen die Screeningentscheidung wehren können, wenn es um die Zuteilung
    zum Außengrenzverfahren geht. Aus Sicht der Organisationen müssen die Mitgliedstaaten
    deshalb auch einen Rechtsbehelf zur Überprüfung der Entscheidung vom
    Außengrenzscreening schaffen. Die Bundesregierung sollte deshalb bereits jetzt aus
    Gründen der Rechtsklarheit und des effektiven Rechtsschutzes einen konkreten Rechtsbehelf
    normieren. Dieser Rechtsbehelf sollte auch gegen Altersangaben, negativ entschiedene
    vorläufige Vulnerabilitätsprüfungen und die Verpflichtung zum Verbleib im Grenzverfahren
    einschlägig sein.
    KEINE INHAFTIERUNG SCHUTZSUCHENDER MENSCHEN
    Die unterzeichnenden Organisationen befürchten, dass die Reform durch das Außengrenz-Screening
    und neue Grenzverfahren zur (de facto) Inhaftierung von Schutzsuchenden führen wird, was ihre
    psychische Belastung erhöhen und faire Asylverfahren erschweren würde. Allein die Tatsache, dass
    die asylsuchende Person theoretisch ausreisen könnte – und damit auch ihren Asylantrag
    zurückziehen würde -, reicht nicht, um eine Freiheitsentziehung tatbestandlich zu verneinen. Letztlich
    kommt es nicht auf die Bezeichnung an, sondern auf die tatsächlichen Umstände. Besonders
    problematisch sind Situationen der de facto Inhaftierung, in denen den Personen Richtervorbehalt und
    Klagemöglichkeiten vorenthalten werden.
  17. Keine Haft während des Screenings: Gem. Art. 6 und Art. 7 Abs. 1 Screening-VO müssen
    die Mitgliedstaaten Regeln erlassen, um sicherzustellen, dass die Personen sich dem
    Screening nicht entziehen. Hierfür sollten klare Alternativen zur Haft wie Meldeauflagen
    festgelegt werden, da die Inhaftierung stets nur als letztes Mittel angewendet werden darf
    (vgl. ErwG. 11 und Definition der Inhaftnahme in Art. 2 Abs. 12 Screening-VO). Gerade beim
    Screening im Inland ist auch nicht mit Fluchtgefahr zu rechnen – denn die Menschen wollen in
    Deutschland ihr Asylverfahren durchlaufen. Somit wären auch keine Einschränkungen der
    Bewegungsfreiheit gerechtfertigt.
  18. Keine (de facto) Haft während des Grenzverfahrens: Asylsuchende dürfen nicht inhaftiert
    werden, nur weil sie einen Asylantrag gestellt haben oder aus einem bestimmten Staat sind.
    Die Möglichkeit, Asylsuchende während des Grenzverfahrens zu inhaftieren, ist vor diesem
    Hintergrund und angesichts der vorgesehenen Dauer der Grenzverfahren mehr als
    Zivilgesellschaftliche Prioritäten für die gesetzliche Umsetzung der GEAS-Reform in Deutschland
    7
    fragwürdig (Art. 10 Abs. 4 d AufnahmeRL). Auch eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit –
    z.B. durch Beschränkung auf eine Unterbringung – muss individuell begründet werden, z.B.
    mit Fluchtgefahr (Art. 9 Abs. 1 AufnahmeRL). Eine Fluchtgefahr ist idR nicht anzunehmen,
    wenn die Menschen in Deutschland Asyl bekommen wollen.
  19. Keine Inhaftierung bei der Gefährdung von vulnerablen Personen: Die Inhaftierung von
    Schutzsuchenden mit besonderen Bedürfnissen ist ausgeschlossen, wenn die Haft ihre
    körperliche und psychische Gesundheit ernsthaft gefährdet (Art. 13 Abs. 1 UA 2
    AufnahmeRL). Dieser Ausschlussgrund muss explizit gesetzlich geregelt werden. Für die
    effektive Umsetzung bedarf es einer von Amts wegen zu erfolgenden ärztlichen und
    psychologischen Untersuchung vor Inhaftnahme, um die etwaige Gesundheitsgefährdung zu
    prüfen. Kinder sollten nie inhaftiert werden, da eine Haft im Asylverfahren dem Kindeswohl
    immer zuwiderläuft (vgl. ErwG. 31 und 40 sowie Art. 13 Abs. 2 und Art. 26 AufnahmeRL).
  20. Haftbedingungen: Die Inhaftierung von Asylsuchenden darf keinen Strafcharakter haben
    (Art. 10 Abs. 1 S. 3 AufnahmeRL). Daher ist zwingend eine gesonderte Unterbringung nötig,
    die sich von Strafhaft unterscheidet (z.B. eigene Kleidung, Mobiltelefonnutzung). Inhaftierte
    Schutzsuchende müssen Beratung und Besuch empfangen können und Einschlusszeiten
    sollten minimal sein. Die Höchstfristen für die Überprüfung der Haftanordnung gemäß Art. 10
    Abs. 3 UA 1 AufnahmeRL müssen gesetzlich verankert werden.
    KINDER SCHÜTZEN UND UNTERSTÜTZEN
    Kinder und Jugendliche gehören zu den besonders vulnerablen Personen und haben spezielle
    Bedarfe und Rechte, die berücksichtigt werden müssen. Ihre besonderen Rechte, allen voran das
    Kindeswohl, müssen zu jeder Zeit gewährleistet sein, egal woher ein Kind kommt oder welchen
    Aufenthaltsstatus es hat. Dies muss sich auch bei der Umsetzung der GEAS-Reform durchsetzen.
    Dabei gilt es insbesondere folgende Punkte zu beachten:
  21. Primäre Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für unbegleitete minderjährige
    Geflüchtete: In Deutschland gilt das Primat der Jugendhilfe nach SGB VIII. Die öffentlichen
    Träger der Kinder- und Jugendhilfe sind vorrangig für die Unterbringung, Versorgung und
    Vertretung von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten zuständig. Die vorläufige
    Inobhutnahme erfolgt durch die Jugendämter und die Feststellung besonderer Schutzbedarfe
    muss ausschließlich im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe verbleiben. Der
    Alterseinschätzung bei unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten (als Zugangsvoraussetzung für den Minderjährigenschutz) kommt in diesem Kontext eine besondere
    Bedeutung zu. Sie muss daher zwingend in der Verantwortung der Jugendämter bleiben.
  22. Zulässigkeitsentscheidung: Bei der Überstellung von Minderjährigen ist Art. 24 GRCh zu
    beachten. Unbegleitete minderjährige Geflüchtete sollten daher nie überstellt werden, es sei
    denn dies dient nachweislich dem Kindeswohl.
  23. Keine segregierte Beschulung: Minderjährige haben den gleichen Zugang zu Bildung wie
    deutsche Staatsangehörige und sind mit ihnen in einer Schule zu unterrichten (Art. 16
    AufnahmeRL). Es muss gewährleistet sein, dass minderjährige Schutzsuchende
    schnellstmöglich in das reguläre Schulsystem aufgenommen werden. Die ausschließliche und
    segregierende Beschulung in Unterbringungszentren und/oder Willkommensklassen ist mit
    der neuen AufnahmeRL unvereinbar. Die Schulgesetze der Länder müssen dies normieren.
    SCHUTZSUCHENDE MENSCHENWÜRDIG VERSORGEN
    In Deutschland asylsuchende Menschen müssen menschenwürdig versorgt und aufgenommen
    werden. Dies ist auch Grundlage dafür, dass das Erlernen der Sprache, die Arbeitssuche und
    letztendlich die gesellschaftliche Teilhabe gelingen können. Ein ausgrenzendes Sondergesetz, wie
    Zivilgesellschaftliche Prioritäten für die gesetzliche Umsetzung der GEAS-Reform in Deutschland
    8
    das Asylbewerberleistungsgesetz, verletzt nach Sicht der unterzeichnenden Organisationen die
    Menschenwürde und muss abgeschafft werden. Bis das geschieht, sind angesichts der neuen
    Aufnahmerichtlinie vor allem folgende Änderungen vorzunehmen:
  24. Asylbewerberleistungsgesetz als absolutes Minimum: Die Leistungen nach dem AsylbLG
    liegen auf dem niedrigsten Niveau, das geleistet werden muss, um ein menschenwürdiges
    Leben entsprechend Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 34 Abs. 3 GRCh zu gewährleisten. Die bereits
    bestehenden Sanktionen nach dem AsylbLG sind verfassungs- und europarechtswidrig. Auch
    die Aufnahmerichtlinie gibt klar vor, dass für alle Geflüchteten ein der Charta und
    internationalen Verpflichtungen entsprechender Lebensstandard und voller Zugang zu
    Gesundheitsleistungen des Art. 22 ohne Ausnahme zu gewähren ist (Art. 23 Abs. 4 S. 3
    AufnahmeRL). Die Kürzungen des AsylbLG sind somit abzuschaffen und es dürfen keine
    neuen eingeführt werden. Dies gilt insbesondere auch bei “Dublin-Entscheidungen” (Art. 18
    Abs. 1 UA 2 AMM-VO, Art. 21 Abs. 1 S. 2 AufnahmeRL).
  25. Anpassung der Gesundheitsleistungen und elektronische Gesundheitskarte: Die
    Ergänzungen zu Gesundheitsleistungen nach Art. 22 AufnahmeRL, einschließlich der
    Gesundheitsversorgung im Bereich reproduktiver und sexueller Gesundheit sowie Heil- und
    Hilfsmittel, sollten konkret im deutschen Sozialgesetz verankert werden. Ein behördliches
    Ermessen und Antragsverfahren, wie nach § 6 AsylblG vorgesehen, ist nicht mit Art. 22 Abs.
    3 der Richtlinie vereinbar. Um Verfahren zu entbürokratisieren und eine angemessene
    Qualität der medizinischen Versorgung sicherzustellen (vgl. Art. 22 Abs. 1 S. 3 AufnahmeRL),
    sollte für alle Geflüchteten flächendeckend die elektronische Gesundheitskarte (EGK)
    eingeführt werden. Dies gilt insbesondere bei Kindern, die nach der neuen AufnahmeRL
    Anspruch auf dieselbe Art der Gesundheitsversorgung haben wie Staatsangehörige (Art. 22
    Abs. 2 AufnahmeRL).
  26. Zweifel an Bezahlkarte: Aus den Vorgaben der AufnahmeRL, insbesondere Art. 19 Abs. 2,
    ergeben sich erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bezahlkarte in ihrer aktuellen
    Form. Die starke Einschränkung der ökonomischen Autonomie gewährleistet keinen
    „angemessenen Lebensstandard“ im Sinne des Art. 19 Abs. 2 AufnahmeRL. Geflüchteten
    muss “ein Mindestmaß an Eigenständigkeit” ermöglicht werden, was durch die Bezahlkarte
    nicht erreicht wird (ErwG. 8 S. 1 AufnahmeRL). Eine Kombination aus Gutscheinen, Sachund Geldleistungen ist zwar zulässig, solange ein Geldbetrag enthalten ist (ErwG. 8 S. 2
    AufnahmeRL). Ein symbolischer Betrag von 50 Euro im Monat, der Geflüchtete vom sozialen
    Leben ausschließt, erfüllt die Mindeststandards der AufnahmeRL jedoch voraussichtlich nicht.
    Zivilgesellschaftliche Prioritäten für die gesetzliche Umsetzung der GEAS-Reform in Deutschland
    9
    Unterzeichnende Organisationen (alphabetisch)
    Amnesty International Deutschland e.V.
    Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Deutschen Anwaltverein
    Ärzte der Welt e.V.
    AWO Bundesverband e.V.
    BumF e.V.
    Bundesweite Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – BAfF e.V.
    Bundesarbeitsgemeinschaft PRO ASYL e.V.
    Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband – Gesamtverband e.V.
    Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
    Diakonie Deutschland Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V.
    Die Sputniks e.V. Vereinigung russischsprachiger Familien mit Kindern mit Beeinträchtigungen in
    Deutschland
    Fachstelle Kinderwelten für Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung
    Handicap International e.V.
    Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. (ISL)
    Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland
    Jugendliche ohne Grenzen in Deutschland e.V.
    Kindernothilfe e.V.
    KOK – Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.
    Landesflüchtlingsräte
    Lesben- und Schwulenverband Deutschland e.V.
    National Coalition Deutschland – Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention
    Neue Richter*innenvereinigung e.V. (NRV)
    Republikanischer Anwältinnen und Anwälteverein e.V. (RAV)
    Save the Children e.V.
    SOS-Kinderdorf e.V.
    terre des hommes Deutschland e.V

Das Gemeinsame Statement von 26 Bundesorganisationen, das „menschenrechtskonforme gesetzliche Umsetzung der GEAS-Reform“ fordert, ist dem Bundesministerium des Inneren und für Heimat zufolge aber eine entsetzliche Verleumdung, denn es schreibt hier,

https://www.bmi.bund.de/DE/themen/migration/asyl-fluechtlingsschutz/asylsystem-geas.html

dass alle Appelle unnötig sind, und sogar böse Unterstellungen: Alle Menschenrechte würden eingehalten, und alles sei gut. GEAS diene sogar dazu „das Europa der offenen Grenzen“ zu retten.

Immerhin stellen die braven 26 Bundesorganisationen das GEAS nicht in Frage,
sondern wollen es nur verbessern, und es vor revolutionären Kräften in Schutz nehmen.
die es völlig in Frage stellen:

Siehe zum Beispiel die letzten Artikel auf rf-news, die das Wort „GEAS“ enthalten.

https://www.rf-news.de/2024/kw25/innenministerkonferenz-und-weltfluechtlingstag

https://www.rf-news.de/2024/kw25/pressemitteilung-zum-weltfluechtlingstag-2024

https://www.rf-news.de/2024/kw25/pressekonferenz-am-weltfluechtlingstag

https://www.rf-news.de/2024/kw24/kaempferische-und-kulturvolle-demonstration-fuer-fluechtlingsrechte-in-leipzig-1

https://www.rf-news.de/2024/kw23/null-toleranz-missbrauch-mannheim-attentat

https://www.rf-news.de/2024/kw23/gruss-an-die-demonstration-des-freundeskreises-fluechtlingssolidaritaet-am-8-juni

https://www.rf-news.de/2024/kw22/alle-menschen-werden-brueder-von-wegen-stoppt-geas

usw …

ivilgesellschaftliche Prioritäten für die gesetzliche Umsetzung der
Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems in
Deutschland
Berlin, 16. Juli 2024
Die unterzeichnenden Organisationen unterstützen seit Jahren geflüchtete Menschen in rechtlichen,
aufnahmebezogenen, sozialen, medizinischen und therapeutischen Belangen. Faire Asylverfahren
und menschenwürdige Aufnahmebedingungen sind unser Ziel, wie auch das der Bundesregierung.
Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) wurde im Juni 2024 verabschiedet
und gilt ab dem Sommer 2026. Die Zivilgesellschaft hat die Reform mehrfach als starke Verschärfung
des europäischen Asylrechts kritisiert, die den Schutz von fliehenden Menschen in der EU gefährdet.
Diese Kritikpunkte bleiben auch nach dem Beschluss der Verordnungen und der Richtlinie bestehen.
Einige Mitgliedstaaten fordern bereits weitere Verschärfungen zur Auslagerung des Flüchtlingsschutzes, wodurch die neuen Regelungen politisch in Frage gestellt werden. Eine nicht
menschenrechtskonforme Umsetzung würde die Erosion rechtsstaatlicher Standards in der
EU weiter vorantreiben.
Diesem Trend sollte sich die Bundesregierung mit besonderer Sorgfalt bei der Umsetzung
entgegenstellen und die Achtung der Menschenrechte stets in den Fokus nehmen. Die
unterzeichnenden Organisationen betonen, dass EU-Recht immer entsprechend der EUGrundrechtecharta (GRCh) menschenrechtskonform angewendet werden muss und so z.B. das
Recht auf Asyl, das Recht auf Freiheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsbehelf geachtet
werden müssen. Zudem müssen einschlägige internationale Verträge wie die UNKinderrechtskonvention oder die UN-Behindertenrechtskonvention eingehalten werden.
Für die gesetzliche Umsetzung der neuen Rechtsakte1
in Deutschland machen die unterzeichnenden
Organisationen auf folgende wichtige Punkte aufmerksam, die im Folgenden kurz ausgeführt werden:
● Starkes Menschenrechts-Monitoring
● Vulnerable Gruppen identifizieren und schützen
● Faire und sorgfältige Asylverfahren
● Unabhängige und durchgängige Asylverfahrensberatung
● Rechtsschutz stärken
● Keine Inhaftierung schutzsuchender Menschen
● Kinder schützen und unterstützen
● Menschenwürdige Aufnahme
Diese Ausführungen sind nicht abschließend und sind unter hohem Zeitdruck entstanden, um eine
frühzeitige Berücksichtigung der zivilgesellschaftlichen Expertise zu ermöglichen. Dies ersetzt
ausdrücklich nicht die angemessene Verbändebeteiligung bei Vorliegen eines Referentenentwurfs.
Für diese sollten angesichts der Komplexität der Regelungen schon jetzt mindestens zwei Wochen
eingeplant werden. Wir möchten zudem darauf hinweisen, dass die Umsetzung der Reform durch
eine angemessene Finanzierung getragen werden muss.
1 Screening-Verordnung 2024/1356 (Screening-VO), Asylverfahrensverordnung 2024/1348 (AVVO), Aufnahmerichtlinie
2024/1346 (AufnahmeRL), Verordnung über ein Asyl- und Migrationsmanagement 2024/1351 (AMM-VO), Krisenverordnung
2024/1359, Qualifikationsverordnung 2024/1347, Grenzrückführungsverordnung 2024/1349, Resettlementverordnung
2024/1350, Screening-Konsistenz-Verordnung 2024/1352, Eurodac-Verordnung 2024/1358,
Zivilgesellschaftliche Prioritäten für die gesetzliche Umsetzung der GEAS-Reform in Deutschland
3
STARKES MENSCHENRECHTS-MONITORING
Das neue Erfordernis eines unabhängigen Menschenrechts-Monitorings ist eine der wenigen
positiven Regelungen der Reform. Angesichts der massiven Menschenrechtsverletzungen an den
EU-Außengrenzen braucht es starke Überwachungsmechanismen, um diesen etwas entgegensetzen
zu können. Auch auf Deutschland kommen mit dem Wechsel vom Flughafenverfahren zum neuen
Außengrenzscreening und -grenzasylverfahren große Veränderungen zu. Um hier für
menschenrechtskonforme Bedingungen zu sorgen, braucht es ein starkes Monitoring. So kann die
deutsche Umsetzung auch Vorbild für andere EU-Länder sein.

  1. Unabhängiger Überwachungsmechanismus: Es muss ein eigenständiger und
    unabhängiger Monitoring-Mechanismus für das Screening eingerichtet werden (Art. 10 Abs. 2
    Screening-VO), der sinnvollerweise auch für das ebenfalls verpflichtende Monitoring im
    Asylgrenzverfahren zuständig ist (Art. 43 Abs. 4 AVVO). Eine behördliche Rechts- und
    Fachaufsicht würde hierfür nicht genügen. Es sollte vielmehr durch gesetzliche Regelungen
    sichergestellt werden, dass der Mechanismus unabhängig ist, vor allem hinsichtlich der
    Wahrnehmung der Aufgaben, der Auswahl der Mitarbeitenden und der Finanzierung. In
    Deutschland kommen das Deutsche Institut für Menschenrechte sowie die Nationale Stelle
    zur Verhütung von Folter für diese Aufgabe in Frage (vgl. Art. 10 Abs. 2 UA 4 Screening-VO).
  2. Jährlicher Bericht an den Bundestag: Die in Art. 10 Abs. 2 UA 3 Screening-VO geregelte
    Befugnis des Überwachungsmechanismus, jährliche Empfehlungen an die Mitgliedstaaten
    abzugeben, sollte gesetzlich dahingehend konkretisiert werden, dass die Monitoringstelle
    mindestens jährlich einen Bericht über ihre Tätigkeit, Erkenntnisse und Empfehlungen an den
    Deutschen Bundestag abgibt und die Bundesregierung hierzu Stellung nimmt. Nur dann ist
    eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Empfehlungen sichergestellt.
  3. Einrichtung eines bundesweiten Konsultativforums: Art. 10 Abs. 2 UA 4 Screening-VO
    sieht die enge Zusammenarbeit der nationalen Monitoringstellen mit einschlägigen
    Nichtregierungsorganisationen sowie den nationalen Datenschutzbehörden und dem
    Europäischen Datenschutzbeauftragten vor. Für diesen Austausch sollte ein bundesweites
    Konsultativforum eingerichtet werden. Bezüglich der Abschiebungsbeobachter*innen wurden
    mit den sie begleitenden Foren („Flughafenforen“) gute Erfahrungen gemacht und sie können
    entsprechend als Modell übernommen werden. Dies hätte den Vorteil, dass in unmittelbarem
    Austausch der fachlich kompetenten Akteure entstehende Probleme beim Grundrechtsschutz
    direkt angesprochen, diskutiert und idealerweise gelöst werden können.
    VULNERABLE GRUPPEN IDENTIFIZIEREN UND SCHÜTZEN
    Besonders vulnerable Gruppen wie Minderjährige, Menschen mit Behinderungen, Personen, die
    aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität verfolgt werden (LSBTI+),
    Überlebende schwerer Gewalt oder Folter und Betroffene von Menschenhandel haben ein Recht auf
    besondere Unterstützung, damit das Asylverfahren für sie fair ist und die Aufnahmebedingungen
    angemessen. Um dies zu gewährleisten ist vor allem Folgendes notwendig:
  4. Mindestens zweistufige Identifizierung besonderer Schutz- und Aufnahmebedarfe: Die
    Zuständigkeit für die Durchführung der Vulnerabilitätsprüfung im Screeningverfahren als
    Verfahrensschritt vor dem Asylverfahren muss bei den dafür zuständigen Behörden (BAMF
    und für die Aufnahme zuständige Landesbehörden), nicht bei der Polizei liegen (Art. 2 Abs.
    10 iVm Art. 12 Abs. 3 Screening-VO). Gesetzlich ausdrücklich zu regeln ist außerdem, dass
    vor einer Verteilung auf die Bundesländer zumindest eine erste Identifizierung von
    Vulnerabilitäten erfolgt sein muss und die identifizierten Vulnerabilitäten bei der Verteilung zu
    berücksichtigen sind (Art. 7 Abs. 3, Art. 25 Abs. 1 AufnahmeRL iVm Art. 4 Abs. 1 b
    Screening-VO). Dies gilt genauso für neu ankommende Geflüchtete, die nicht unter die
    Zivilgesellschaftliche Prioritäten für die gesetzliche Umsetzung der GEAS-Reform in Deutschland
    4
    Screening-VO fallen, weil sie etwa in einem anderen Mitgliedstaat bereits gescreent wurden
    (Art. 7 Abs. 3, Art. 25 Abs. 1 AufnahmeRL). Es ist von der Möglichkeit Gebrauch zu machen,
    neben der Prüfung von Aufnahmebedarfen die Länder zusätzlich mit der Ermittlung
    besonderer Verfahrensgarantien nach der AVVO zu beauftragen (Art. 20 Abs. 1 S. 2 AVVO),
    auch um im Bedarfsfall erneute oder zusätzliche Identifizierungsmaßnahmen einzuleiten.
  5. Gewährleistung hoher Qualität der Identifizierung von Schutz- und
    Versorgungsbedarfen: Oberste Priorität muss sein, dass eine Beteiligung von fachkundigen
    Nichtregierungsorganisationen und medizinischen Fachexpert*innen bei der Konzeption und
    Durchführung etwaiger Identifizierungsverfahren in jedem Verfahrensschritt gesetzlich
    verankert (Art. 12 Abs. 3 S. 2 Screening-VO, bspw. auch Art. 11 Abs. 4 MenschenhandelRL)
    und finanziert wird (Art. 8 Abs. 9 UA 4 Screening-VO). Eine Aufklärung zu und Vorbereitung
    auf Maßnahmen der Vulnerabilitäts-Ermittlung durch unabhängige, spezialisierte
    Rechtsberatung vom Anfang des Screenings an ist ebenfalls unabdingbar (Art. 11 Abs. 4
    Screening-VO, Art. 15 AVVO, siehe Punkt “Unabhängige und durchgängige
    Asylverfahrensberatung”). Auch die Verfahrensgarantien für die Identifizierung aus Art. 25
    Abs. 1 UA 1 und Abs. 2 S. 1 AufnahmeRL (bspw. Sprachmittlung und eine detaillierte
    Dokumentationspflicht der Behörden) müssen gesetzlich umgesetzt werden.
  6. Übermittlung von Daten zwischen Behörden: Jegliche Identifizierungs-Maßnahme zu
    Vulnerabilitäten muss in eine schriftliche Dokumentation münden, die der Person
    ausgehändigt wird (Art. 17 Abs. 3 UA 3 Screening-VO, vgl. Art. 25 Abs. 2 S. 1 b)
    AufnahmeRL). Die ermittelten Bedarfe werden unter informierter Einwilligung
    datenschutzkonform nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Datensparsamkeit an
    die zuständigen Behörden übermittelt (Art. 18 Abs. 1 UA 2 ScreeningVO, Art. 20 Abs. 1 S. 3
    AVVO). Es bedarf hier einer expliziten gesetzlichen Klarstellung, dass diese Behörden alle
    mit der Gewährung von Aufnahme- und Verfahrensbedarfen betrauten Behörden sind.
  7. Versorgungsanspruch aus identifizierten Schutzbedarfen: Ein Anspruch auf die
    Gewährung festgestellter besonderer Bedarfe ist explizit im Gesetz festzuschreiben (Art. 25
    Abs. 2 S. 2 AufnahmeRL). Eine den ermittelten Bedarfen entsprechende Unterbringung und
    gesundheitliche Versorgung gemäß der AufnahmeRL erfordern eine rechtliche Festlegung,
    welche Leistungen aufgrund des Bedarfs gewährt werden. Dazu muss der entsprechende
    Leistungsumfang und der Kostenträger gesetzlich eindeutig bestimmt werden. Dies betrifft
    unter anderem eine geeignete psychologische Betreuung für Überlebende schwerer Gewalt
    oder Folter (Art. 22, 28 AufnahmeRL), Teilhabe- und Pflegeleistungen für Menschen mit
    Behinderung (Art. 19 Abs. 2 AufnahmeRL iVm Art. 26 GRCh, Art. 22, Art. 25 Abs. 2 S. 2
    AufnahmeRL) sowie bedarfsgerechte Unterbringung (Art. 20, Art. 26 AufnahmeRL). Auch die
    Kostenübernahme für erforderliche Sprach- und Kulturmittlung muss gesetzlich verankert
    werden.
    FAIRE UND SORGFÄLTIGE ASYLVERFAHREN
    Faire und sorgfältige Asylverfahren sind der Schlüssel dafür, dass verfolgte Menschen Schutz
    bekommen. In Deutschland gibt es – trotz bestehender Kritikpunkte – grundsätzlich einen hohen
    Standard im Asylverfahren, der zu halten ist. Wenn die Asylverfahren nicht gut funktionieren, dann
    verlagert sich die Arbeit im Zweifelsfall auf die Gerichte und führt dort zu Überlastung.
  8. Anpassung des deutschen Asylgesetzes: Statt das Asylgesetz durch Streichungen zu
    verkomplizieren, sollte es gemäß der GEAS-Reform angepasst werden. Dies betrifft neben
    den Verfahrensnormen auch die Definitionen von „Familie“ und „Familienangehörigen“,
    schutzbietenden Akteuren, internem Schutz und dem Verfolgungsgrund „Zugehörigkeit zu
    einer bestimmten sozialen Gruppe“. Eine solche Verfahrensweise wäre auch mit der EuGHRechtsprechung vereinbar, insbesondere da die Reform ohnehin nationale
    Umsetzungsspielräume beinhaltet.
    Zivilgesellschaftliche Prioritäten für die gesetzliche Umsetzung der GEAS-Reform in Deutschland
    5
  9. Keine neuen “sicheren Drittstaaten”: Zulässigkeitsentscheidungen im Asylverfahren
    bleiben optional für Mitgliedstaaten (Art. 38 AVVO). Abgesehen von dem separaten DublinRegime, spielen Unzulässigkeitsentscheidungen wegen angeblich sicherer Drittstaaten in
    Deutschland bislang keine Rolle. Es ist auch nicht zielführend, durch neue „sichere
    Drittstaaten“ eine andere Praxis aufzubauen, da dies praktisch nur sehr schwer durchsetzbar
    sein würde und die Asylverfahren bzw. den Zugang zu Schutz stark verzögern würde. Dies
    ergibt sich aus den Stellungnahmen der Sachverständigenanhörungen des BMIs.
  10. Keine Ausweitung von o.u.-Entscheidungen oder “sicheren Herkunftsstaaten”: Durch
    Art. 42 AVVO werden in vielen Fällen beschleunigte Asylverfahren zur Pflicht. Dies bedeutet
    auch kürzere Klagefristen (vgl. Art. 67 Abs. 7 a) AVVO) und keine aufschiebende Wirkung der
    Klage (vgl. Art. 68 Abs. 3 a) i) AVVO), was bereits eine große Benachteiligung für die
    Betroffenen und eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für Anwält*innen wäre. Da
    die Regelung nur „unbeschadet des Grundsatzes der Nichtzurückweisung“ gilt und dieser
    eine aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen erfordert, muss aber auch in diesen Fällen
    die aufschiebende Wirkung der Regelfall sein. Die Bundesregierung sollte die Rechtslage
    nicht weiter verschärfen und keine weiteren o.u.-Gründe einführen oder neue „sichere
    Herkunftsstaaten“ benennen, insbesondere nicht wenn bestimmte Teilgebiete oder
    Personengruppen (z.B. LSBTI+) in dem Land eindeutig nicht sicher sind (vgl. BVerfG).
    UNABHÄNGIGE UND DURCHGÄNGIGE ASYLVERFAHRENSBERATUNG
    Eine unabhängige Asylverfahrensberatung ist ein entscheidender Faktor für faire Asylverfahren und
    wirkt sich auch positiv auf die Abläufe im Asylverfahren aus. Entsprechend gut sollten die
    Möglichkeiten der Verordnungen für ein starkes Beratungssystem genutzt werden. Eines der Ziele der
    Reform ist es, Rechtsberatung durchgängig in allen Verfahrensstadien zu gewährleisten.
  11. Asylverfahrensberatung weiterhin gesetzlich verankern: Die Garantie einer
    angemessenen und unabhängigen Rechtsberatung ist unter Berücksichtigung der unlängst
    eingeführten Asylverfahrensberatung (§12a AsylG) als konkretisierende bundesgesetzliche
    Regelung des Art. 15 Abs. 3 AVVO weiterhin gesetzlich zu verankern. Diese muss sowohl die
    unabhängige Asylverfahrensberatung als auch die besondere Rechtsberatung für vulnerable
    Personen in allen Verfahrensschritten sicherstellen. Neben der gesetzlichen Regelung muss
    die ausreichende Bundesfinanzierung sichergestellt werden, um den tatsächlichen Zugang
    gewährleisten zu können.
  12. Rechtsberatung von Anfang an und überall: Der Zugang sowohl zur unabhängigen
    Asylverfahrensberatung als auch zur besonderen Rechtsberatung für vulnerable Personen
    muss explizit bereits im Screeningverfahren und auch im Grenzverfahren sichergestellt
    werden. Gerade wenn Asylsuchende sich nicht frei bewegen dürfen, ist es essentiell, dass
    Beratungsorganisationen uneingeschränkten Zugang zu den Einrichtungen haben. Bezüglich
    des Screenings sollte geregelt werden, dass Informationen durch NGOs erteilt werden (Art.
    11 Abs. 4 Screening-VO).
  13. Rechtliche Unterstützung ohne Ausnahmen garantieren: Art. 19 Abs. 2, Abs. 3 iVm Art.16
    Abs. 3 und Art.17 Abs. 2 AVVO gibt Mitgliedstaaten die Möglichkeit, den Rahmen der
    Rechtsauskunft, -beratung und -vertretung näher auszugestalten. Bei der Ausgestaltung
    sollte ein uneingeschränktes Recht auf Unterstützung für alle Antragstellenden verankert
    werden, unabhängig von der finanziellen Situation der Antragstellenden und unabhängig von
    der Erfolgsaussicht oder der Instanz der rechtlichen Unterstützung.
    RECHTSSCHUTZ STÄRKEN
    Nur mit einem funktionierenden Rechtsschutz können wir von einem fairen Asylsystem sprechen.
    Schon jetzt arbeiten Rechtsanwältinnen und Richterinnen in Deutschland unter hohem Druck. Um
    Zivilgesellschaftliche Prioritäten für die gesetzliche Umsetzung der GEAS-Reform in Deutschland
    6
    den effektiven Rechtsschutz zu garantieren, sollten folgende Punkte bei der Umsetzung
    berücksichtigt werden:
  14. Angemessene Fristen für den Rechtsschutz: Bezüglich der Rechtsschutzfristen wird den
    Mitgliedstaaten ein gewisser Spielraum zugestanden, den Deutschland positiv nutzen sollte,
    um effektive Rechtsvertretung zu ermöglichen. So sollte für Entscheidungen nach einem
    beschleunigten Prüfverfahren eine Frist von zehn Tagen für den Rechtsbehelf und bei einer
    Entscheidung in anderen Fällen eine Frist von einem Monat festgelegt werden (vgl. Art. 67
    Abs. 7 AVVO).
  15. Angemessene Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens: Laut Art. 69 AVVO sollen die
    Mitgliedstaaten angemessene Fristen für das Rechtsbehelfsverfahren in erster Instanz
    festlegen, wobei ebenso festgehalten wird, dass dies eine angemessene und vollständige
    Prüfung des Rechtsbehelfs nicht beeinträchtigen darf. Bei der MPK im November 2023 wurde
    eine Frist von sechs Monaten diskutiert. Dies geht jedoch an der Realität vieler
    Verwaltungsgerichte vorbei und würde einen Druck verursachen, der zu Lasten sorgfältiger
    Prüfungen gehen könnte. Anstatt enge Fristen gesetzlich zu regeln – an die Richter*innen
    letztlich nicht gebunden sind – sollte eine bessere personelle Ausstattung der Gerichte
    sichergestellt werden, die eine sorgfältige und schnelle Bearbeitung gewährleistet.
  16. Rechtsmittel zur Überprüfung der Außengrenz-Screeningentscheidung normieren:
    Effektiver Rechtsschutz iSd Art. 13 EMRK und Art. 19 Abs. 4 GG setzt voraus, dass sich
    Betroffene auch gegen die Screeningentscheidung wehren können, wenn es um die Zuteilung
    zum Außengrenzverfahren geht. Aus Sicht der Organisationen müssen die Mitgliedstaaten
    deshalb auch einen Rechtsbehelf zur Überprüfung der Entscheidung vom
    Außengrenzscreening schaffen. Die Bundesregierung sollte deshalb bereits jetzt aus
    Gründen der Rechtsklarheit und des effektiven Rechtsschutzes einen konkreten Rechtsbehelf
    normieren. Dieser Rechtsbehelf sollte auch gegen Altersangaben, negativ entschiedene
    vorläufige Vulnerabilitätsprüfungen und die Verpflichtung zum Verbleib im Grenzverfahren
    einschlägig sein.
    KEINE INHAFTIERUNG SCHUTZSUCHENDER MENSCHEN
    Die unterzeichnenden Organisationen befürchten, dass die Reform durch das Außengrenz-Screening
    und neue Grenzverfahren zur (de facto) Inhaftierung von Schutzsuchenden führen wird, was ihre
    psychische Belastung erhöhen und faire Asylverfahren erschweren würde. Allein die Tatsache, dass
    die asylsuchende Person theoretisch ausreisen könnte – und damit auch ihren Asylantrag
    zurückziehen würde -, reicht nicht, um eine Freiheitsentziehung tatbestandlich zu verneinen. Letztlich
    kommt es nicht auf die Bezeichnung an, sondern auf die tatsächlichen Umstände. Besonders
    problematisch sind Situationen der de facto Inhaftierung, in denen den Personen Richtervorbehalt und
    Klagemöglichkeiten vorenthalten werden.
  17. Keine Haft während des Screenings: Gem. Art. 6 und Art. 7 Abs. 1 Screening-VO müssen
    die Mitgliedstaaten Regeln erlassen, um sicherzustellen, dass die Personen sich dem
    Screening nicht entziehen. Hierfür sollten klare Alternativen zur Haft wie Meldeauflagen
    festgelegt werden, da die Inhaftierung stets nur als letztes Mittel angewendet werden darf
    (vgl. ErwG. 11 und Definition der Inhaftnahme in Art. 2 Abs. 12 Screening-VO). Gerade beim
    Screening im Inland ist auch nicht mit Fluchtgefahr zu rechnen – denn die Menschen wollen in
    Deutschland ihr Asylverfahren durchlaufen. Somit wären auch keine Einschränkungen der
    Bewegungsfreiheit gerechtfertigt.
  18. Keine (de facto) Haft während des Grenzverfahrens: Asylsuchende dürfen nicht inhaftiert
    werden, nur weil sie einen Asylantrag gestellt haben oder aus einem bestimmten Staat sind.
    Die Möglichkeit, Asylsuchende während des Grenzverfahrens zu inhaftieren, ist vor diesem
    Hintergrund und angesichts der vorgesehenen Dauer der Grenzverfahren mehr als
    Zivilgesellschaftliche Prioritäten für die gesetzliche Umsetzung der GEAS-Reform in Deutschland
    7
    fragwürdig (Art. 10 Abs. 4 d AufnahmeRL). Auch eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit –
    z.B. durch Beschränkung auf eine Unterbringung – muss individuell begründet werden, z.B.
    mit Fluchtgefahr (Art. 9 Abs. 1 AufnahmeRL). Eine Fluchtgefahr ist idR nicht anzunehmen,
    wenn die Menschen in Deutschland Asyl bekommen wollen.
  19. Keine Inhaftierung bei der Gefährdung von vulnerablen Personen: Die Inhaftierung von
    Schutzsuchenden mit besonderen Bedürfnissen ist ausgeschlossen, wenn die Haft ihre
    körperliche und psychische Gesundheit ernsthaft gefährdet (Art. 13 Abs. 1 UA 2
    AufnahmeRL). Dieser Ausschlussgrund muss explizit gesetzlich geregelt werden. Für die
    effektive Umsetzung bedarf es einer von Amts wegen zu erfolgenden ärztlichen und
    psychologischen Untersuchung vor Inhaftnahme, um die etwaige Gesundheitsgefährdung zu
    prüfen. Kinder sollten nie inhaftiert werden, da eine Haft im Asylverfahren dem Kindeswohl
    immer zuwiderläuft (vgl. ErwG. 31 und 40 sowie Art. 13 Abs. 2 und Art. 26 AufnahmeRL).
  20. Haftbedingungen: Die Inhaftierung von Asylsuchenden darf keinen Strafcharakter haben
    (Art. 10 Abs. 1 S. 3 AufnahmeRL). Daher ist zwingend eine gesonderte Unterbringung nötig,
    die sich von Strafhaft unterscheidet (z.B. eigene Kleidung, Mobiltelefonnutzung). Inhaftierte
    Schutzsuchende müssen Beratung und Besuch empfangen können und Einschlusszeiten
    sollten minimal sein. Die Höchstfristen für die Überprüfung der Haftanordnung gemäß Art. 10
    Abs. 3 UA 1 AufnahmeRL müssen gesetzlich verankert werden.
    KINDER SCHÜTZEN UND UNTERSTÜTZEN
    Kinder und Jugendliche gehören zu den besonders vulnerablen Personen und haben spezielle
    Bedarfe und Rechte, die berücksichtigt werden müssen. Ihre besonderen Rechte, allen voran das
    Kindeswohl, müssen zu jeder Zeit gewährleistet sein, egal woher ein Kind kommt oder welchen
    Aufenthaltsstatus es hat. Dies muss sich auch bei der Umsetzung der GEAS-Reform durchsetzen.
    Dabei gilt es insbesondere folgende Punkte zu beachten:
  21. Primäre Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für unbegleitete minderjährige
    Geflüchtete: In Deutschland gilt das Primat der Jugendhilfe nach SGB VIII. Die öffentlichen
    Träger der Kinder- und Jugendhilfe sind vorrangig für die Unterbringung, Versorgung und
    Vertretung von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten zuständig. Die vorläufige
    Inobhutnahme erfolgt durch die Jugendämter und die Feststellung besonderer Schutzbedarfe
    muss ausschließlich im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe verbleiben. Der
    Alterseinschätzung bei unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten (als Zugangsvoraussetzung für den Minderjährigenschutz) kommt in diesem Kontext eine besondere
    Bedeutung zu. Sie muss daher zwingend in der Verantwortung der Jugendämter bleiben.
  22. Zulässigkeitsentscheidung: Bei der Überstellung von Minderjährigen ist Art. 24 GRCh zu
    beachten. Unbegleitete minderjährige Geflüchtete sollten daher nie überstellt werden, es sei
    denn dies dient nachweislich dem Kindeswohl.
  23. Keine segregierte Beschulung: Minderjährige haben den gleichen Zugang zu Bildung wie
    deutsche Staatsangehörige und sind mit ihnen in einer Schule zu unterrichten (Art. 16
    AufnahmeRL). Es muss gewährleistet sein, dass minderjährige Schutzsuchende
    schnellstmöglich in das reguläre Schulsystem aufgenommen werden. Die ausschließliche und
    segregierende Beschulung in Unterbringungszentren und/oder Willkommensklassen ist mit
    der neuen AufnahmeRL unvereinbar. Die Schulgesetze der Länder müssen dies normieren.
    SCHUTZSUCHENDE MENSCHENWÜRDIG VERSORGEN
    In Deutschland asylsuchende Menschen müssen menschenwürdig versorgt und aufgenommen
    werden. Dies ist auch Grundlage dafür, dass das Erlernen der Sprache, die Arbeitssuche und
    letztendlich die gesellschaftliche Teilhabe gelingen können. Ein ausgrenzendes Sondergesetz, wie
    Zivilgesellschaftliche Prioritäten für die gesetzliche Umsetzung der GEAS-Reform in Deutschland
    8
    das Asylbewerberleistungsgesetz, verletzt nach Sicht der unterzeichnenden Organisationen die
    Menschenwürde und muss abgeschafft werden. Bis das geschieht, sind angesichts der neuen
    Aufnahmerichtlinie vor allem folgende Änderungen vorzunehmen:
  24. Asylbewerberleistungsgesetz als absolutes Minimum: Die Leistungen nach dem AsylbLG
    liegen auf dem niedrigsten Niveau, das geleistet werden muss, um ein menschenwürdiges
    Leben entsprechend Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 34 Abs. 3 GRCh zu gewährleisten. Die bereits
    bestehenden Sanktionen nach dem AsylbLG sind verfassungs- und europarechtswidrig. Auch
    die Aufnahmerichtlinie gibt klar vor, dass für alle Geflüchteten ein der Charta und
    internationalen Verpflichtungen entsprechender Lebensstandard und voller Zugang zu
    Gesundheitsleistungen des Art. 22 ohne Ausnahme zu gewähren ist (Art. 23 Abs. 4 S. 3
    AufnahmeRL). Die Kürzungen des AsylbLG sind somit abzuschaffen und es dürfen keine
    neuen eingeführt werden. Dies gilt insbesondere auch bei “Dublin-Entscheidungen” (Art. 18
    Abs. 1 UA 2 AMM-VO, Art. 21 Abs. 1 S. 2 AufnahmeRL).
  25. Anpassung der Gesundheitsleistungen und elektronische Gesundheitskarte: Die
    Ergänzungen zu Gesundheitsleistungen nach Art. 22 AufnahmeRL, einschließlich der
    Gesundheitsversorgung im Bereich reproduktiver und sexueller Gesundheit sowie Heil- und
    Hilfsmittel, sollten konkret im deutschen Sozialgesetz verankert werden. Ein behördliches
    Ermessen und Antragsverfahren, wie nach § 6 AsylblG vorgesehen, ist nicht mit Art. 22 Abs.
    3 der Richtlinie vereinbar. Um Verfahren zu entbürokratisieren und eine angemessene
    Qualität der medizinischen Versorgung sicherzustellen (vgl. Art. 22 Abs. 1 S. 3 AufnahmeRL),
    sollte für alle Geflüchteten flächendeckend die elektronische Gesundheitskarte (EGK)
    eingeführt werden. Dies gilt insbesondere bei Kindern, die nach der neuen AufnahmeRL
    Anspruch auf dieselbe Art der Gesundheitsversorgung haben wie Staatsangehörige (Art. 22
    Abs. 2 AufnahmeRL).
  26. Zweifel an Bezahlkarte: Aus den Vorgaben der AufnahmeRL, insbesondere Art. 19 Abs. 2,
    ergeben sich erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bezahlkarte in ihrer aktuellen
    Form. Die starke Einschränkung der ökonomischen Autonomie gewährleistet keinen
    „angemessenen Lebensstandard“ im Sinne des Art. 19 Abs. 2 AufnahmeRL. Geflüchteten
    muss “ein Mindestmaß an Eigenständigkeit” ermöglicht werden, was durch die Bezahlkarte
    nicht erreicht wird (ErwG. 8 S. 1 AufnahmeRL). Eine Kombination aus Gutscheinen, Sachund Geldleistungen ist zwar zulässig, solange ein Geldbetrag enthalten ist (ErwG. 8 S. 2
    AufnahmeRL). Ein symbolischer Betrag von 50 Euro im Monat, der Geflüchtete vom sozialen
    Leben ausschließt, erfüllt die Mindeststandards der AufnahmeRL jedoch voraussichtlich nicht.
    Zivilgesellschaftliche Prioritäten für die gesetzliche Umsetzung der GEAS-Reform in Deutschland
    9
    Unterzeichnende Organisationen (alphabetisch)
    Amnesty International Deutschland e.V.
    Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Deutschen Anwaltverein
    Ärzte der Welt e.V.
    AWO Bundesverband e.V.
    BumF e.V.
    Bundesweite Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – BAfF e.V.
    Bundesarbeitsgemeinschaft PRO ASYL e.V.
    Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband – Gesamtverband e.V.
    Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
    Diakonie Deutschland Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V.
    Die Sputniks e.V. Vereinigung russischsprachiger Familien mit Kindern mit Beeinträchtigungen in
    Deutschland
    Fachstelle Kinderwelten für Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung
    Handicap International e.V.
    Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. (ISL)
    Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland
    Jugendliche ohne Grenzen in Deutschland e.V.
    Kindernothilfe e.V.
    KOK – Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.
    Landesflüchtlingsräte
    Lesben- und Schwulenverband Deutschland e.V.
    National Coalition Deutschland – Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention
    Neue Richter*innenvereinigung e.V. (NRV)
    Republikanischer Anwältinnen und Anwälteverein e.V. (RAV)
    Save the Children e.V.
    SOS-Kinderdorf e.V.
    terre des hommes Deutschland e.V
Consent Management Platform von Real Cookie Banner