Pressebericht entfacht Diskussion: Black Lives Matter – Redebeitrag
[Update 14.6.2020] dazu eine Pressemitteilung von Ver.Di Bezirk Ruhr-West
Wir wünschen eine gute Diskussion, und dass sich alle Diskussionsteilnehmer vorher die Rede dazu anhören, oder unten nachlesen:
Rede auf der Black Lives Matter – Kundgebung am 9. Juni vor dem Uniklinikum
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
wir sind heute hier um George Floyd zu gedenken, der am 25. Mai von der Polizei grausam ermordet worden ist und um seiner Familie und Freunden unseren Beistand auszudrücken. Diese brutale Tat reiht sich ein in eine lange Reihe von rassistischen Morden der Polizei in den USA.
Hunderttausende gehen seitdem mit Massenprotesten auf die Straße. Ihre aufgestaute Wut und Trauer bricht sich Bahn. US Präsident Trump lässt von der Nationalgarde das Feuer auf die Demonstranten eröffnen und will sogar die Armee einsetzen. Das gewaltsame Bekämpfen von berechtigten Protesten hat in den USA, der selbsternannten „ältesten Demokratie der Welt“, Tradition. Wir denken an die staatliche Verfolgung von Gewerkschaftern in den 1920er und 1930er Jahren und an die Bekämpfung der Bürgerrechts- und Black Power-Bewegung. Wir aber erklären uns solidarisch mit den Protestierenden und ihren Anliegen in den USA.
Der Mörder, Derek Chauvin, ist ein Rassist mit einer langen Liste an Tötungen und schweren Körperverletzungen im Dienst. Dieser Sachverhalt hinderte die US-Polizei nicht daran, ihn mehrfach für seine Arbeit auszuzeichnen. Erst der Druck auf der Straße sorgte dafür, dass es endlich zu seiner Entlassung und einer Anklage kommt – wenn auch nur in diesem einen Fall. Ob Chauvin auch verurteilt wird, steht noch auf einem anderen Blatt.
Die Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung hat in den USA eine lange Geschichte. Die Geschichte der Vereinigten Staaten ist eine Geschichte des Völkermordes und der Sklaverei – eine Geschichte, die von strukturellem Rassismus geprägt ist – bis heute. Der Kapitalismus in den USA ist gebaut aus der brutalen Ausbeutung ehemaliger Sklaven und den Folgen der Rassentrennung. Die gesetzliche Apartheid wurde 1964, nach einem langen Kampf, abgeschafft. Trotzdem ist noch heute vor allem die schwarze Bevölkerung von Armut betroffen. Es gibt also zwar eine formal rechtliche, aber keine reale ökonomische und soziale Gleichstellung. Sie haben die schlechtesten Jobs und Löhne, leben in den ärmsten Vierteln, haben die schlechtesten Schulen, die schlechteste Gesundheitsversorgung. Und in Krisenzeiten sind Schwarze die Hauptopfer von Entlassungen, sind in riesigem Ausmaß von Arbeitslosigkeit betroffen.
Die aktuelle Protestbewegung wird auch von der brutalen Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeitenden in den USA genährt. George Floyd lebte von kleinen Jobs. Er war LKW-Fahrer, dann Security in einem Restaurant. Seit den Corona-Ausgangsbeschränkungen hatte er keine Arbeit mehr. Diese Armut erleben Millionen Menschen in diesem reichsten Land der Welt. 40 Millionen Amerikaner wurden gerade in die Arbeitslosigkeit gestürzt und können weder ihre Miete noch ihre Kredite bezahlen. Sie stehen bei der Armenspeisung Schlange. Durch die Corona-Krise haben sich die Angriffe, die die Reichen auf die Armen richten, gefährlich beschleunigt.
Der Mord an George Floyd ist nicht nur ein einmaliger Gewaltakt, und nicht nur in einer Stadt. Es ist das System – und das ist kaputt. Und es ist zu hoffen, dass der Aufstand Wege findet, dieses kapitalistische System anzugreifen.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
auch in Deutschland kommt es immer wieder zu rassistisch motivierter Polizeigewalt, die auch Menschenleben fordert. 2005 etwa verbrannte Oury Jalloh in einer deutschen Gefängniszelle. Immer wieder kommt es vor, dass auch deutsche Beamte Menschen erschießen, meist handelt es sich dann um Geflüchtete oder Menschen mit Migrationshintergrund. Solche „Vorfälle“ werden so gut wie nie aufgeklärt bzw. die Täter nicht belangt. Selbst die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sagt, dass rassistische Polizeimaßnahmen in Deutschland verbreitet sind. Auch Polizeikontrollen aufgrund ethnischer Herkunft seien „definitiv auch in Deutschland ein Problem“. Und wir hören seit Jahren regelmäßig von neuen Nazistrukturen, die in der Polizei oder auch der Bundeswehr aufgedeckt werden, wie Uniter, Nordkreuz oder dem selbsternannten NSU 2.0.
Auch hier ist Rassismus ein Problem, welches das Leben und Wohl unserer Mitmenschen – unserer Freunde, Arbeitskollegen und Nachbarn – bedroht. Den Kampf gegen ökonomische Ausbeutung und rassistische Unterdrückung können wir nur gemeinsam führen. Die fast immer schlechteren Jobs und die schlechtere Bezahlung, die viele Migranten hier in Deutschland erleben, ist – so wie überall auf der Welt – Grundvoraussetzung für die Profite der Reichen. Sie spalten uns in schwarz und weiß, Einheimische und Ausländer, alt und jung, Frauen und Männer usw. – und nutzen diese Spaltungen aus, um mehr an uns zu verdienen.
Wir als Gewerkschafter sehen uns in der Verantwortung, Kämpfe dagegen zusammenzuführen. Das heißt für uns ganz konkret, uns nicht gegeneinander aufhetzen zu lassen, uns als arbeitende Menschen zusammenzuschließen, Widerstand zu leisten und uns gegenseitig beizustehen. Erst wenn wir echte ökonomische und soziale Sicherheit für alle haben, können wir den Rassismus endgültig überwinden. Die Wurzel des Rassismus liegt im System der Ungleichheit und Konkurrenz. Solange wir dieses nicht angehen, bleibt auch der Boden für Rassismus bestehen.
Die momentane Protestwelle in den USA, an der sich sowohl Schwarze wie Weiße in großer Zahl beteiligen, ist ein wichtiger Beitrag zu diesem Kampf. Er verdient alle unsere Solidarität und Unterstützung. Deswegen stehen wir heute hier: Zusammen mit den Zehntausenden, die in den letzten Tagen in Deutschland hierfür auf die Straße gegangen sind – und hoffentlich auch in den nächsten Wochen weiter gehen werden.