Wind, Flaute oder Sturm

Werbung für Bundeswehr und Kriegskurs …

Fortsetzung

Mitten im Krieg in der Ukraine versucht die Bundeswehr, auf Youtube neue Rekruten zu gewinnen. Mit der recht ehrlichen Serie „Semper Talis“.

Von Joachim Käppner

Bruce Springsteen hat für seine „Seeger Sessions“ das schöne Lied „Mrs. McGrath“ vertont, in dem es eine Mutter Anfang des 19. Jahrhunderts bitter bereut, ihren Sohn zur Navy geschickt zu haben. Sie war den Einflüsterungen des Werbeoffiziers entlegen: „Would you like to make a soldier / Out of your son, Ted? / With a scarlet cloak and a big cocked hat / Mrs. McGrath, wouldn’t you like that?“ Wäre es nicht großartig, aus Ted einen Soldaten zu machen – mit scharlachrotem Mantel und einem Dreispitz? Wenn die solcherart Gelockten dann Gelegenheit hatten, diese Verheißungen mit der Realität abzugleichen, war es meist zu spät. Der Sohn von Mrs. McGrath kommt nach sieben Jahren als Krüppel vom Mittelmeer zurück.

Zu allen Zeiten haben Armeen mit Anreizen um Personal geworben (soweit sie nicht einfach auf Zwang setzten): Status, gesellschaftliches Ansehen, schicke Uniformen, gesicherter Lohn, Abenteuer, fremde Länder. So ist es auch heute bei den Berufsarmeen, die ja nicht nur Kämpfer, sondern auch Hightech-Experten und Genderbeauftragte suchen und mit der Zivilgesellschaft konkurrieren müssen – weshalb die Bundeswehr nun mit der Youtube-Serie „Semper Talis“ (stets gleich) Rekruten zu gewinnen sucht. Vielleicht mit Ausnahme der USA waren Bedeutung und Status des Militärischen in den westlichen Demokratien spätestens nach Ende des Kalten Krieges deutlich gesunken. Die Wehrpflichtarmeen als natürlicher Rekrutierungspool wurden abgeschafft, die Bundesrepublik setzte den Pflichtdienst an der Waffe 2011 bis auf Weiteres aus, hält aber am Anspruch des demokratischen „Staatsbürgers in Uniform“ fest.

Das Weitere ist durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nun leider wieder vorstellbar geworden; Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und andere haben daher zuletzt die Idee eines Dienstjahres vorgebracht, das in den Streitkräften oder in der Zivilgesellschaft abzuleisten wäre.

Solange das aber nicht der Fall ist, ist auch die Bundeswehr darauf angewiesen, das nötige Personal selber zu finden; und „Semper Talis“ versucht dies als Teil einer neueren Videoreihe auf, mild gesagt, offensivem Wege. Die Videoclips sind sehr modern gemacht, kurze takes, Einblicke in den Alltag, coole und nicht wie Kommissköpfe wirkende Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen. Erstaunlicherweise drehen sie sich um das Wachbataillon (dessen Motto „semper talis“ ist) in Berlin, also um eine Truppe, die selbst militäraffinen jungen Menschen womöglich nicht als erste Wahl vorschwebt. Das Wachtbataillon steht etwa bei Staatsbesuchen und anderen protokollarischen Ereignissen in seinen Paradeuniformen Spalier, im Extremfall würde ihm der Schutz der Bundesregierung obliegen. Gleich am Anfang heißt es, die Gardistinnen und Gardisten seien „exzellente Kämpfer“.

Im jeweiligen Werbemuster der Bundeswehr lässt sich der Geist der Zeit heute ablesen. Die gruseligen Plakate der Fünfzigerjahre erinnerten zumindest ästhetisch noch stark an die bis 1945 so obsessive Verehrung alles Militärischen in Deutschland. In den Achtzigern, als die Friedensbewegung und mit ihr die Zahl der Wehrdienstverweigerer stark wuchsen, appellierte man an den Bürgersinn; Slogans wie „Wat mutt, dat mutt“ sollten der (männlichen) Jugend vermitteln, dass die Abschreckung eine staatsbürgerliche Notwendigkeit war. Nach dem Ende des Kalten Krieges 1989/90 und vor allem während der Auslandseinsätze wirkten viele Werbeposter und -filme eher etwas hilflos. Sie warben für Kameradschaft, den Einsatz für den Aufbau in Afghanistan oder auf dem Balkan, mit Hightech-Jobs und einem neuen diversen Soldatenbild. Das Problem war nur, dass all dies zwar ein Teil der Wahrheit war – und eben doch nur ein Teil.

Die Deutschen sind eher militärskeptisch, der Krieg aber hat sie doch erschüttert

Die Belastungen der Einsätze, die Gefallenen, die vielen Heimkehrer mit posttraumatischen Belastungsstörungen, ein wachsendes Gefühl der Sinnlosigkeit, Leben und Gesundheit am Hindukusch zu riskieren, während die Gesellschaft bestenfalls mit „freundlichem Desinteresse“ reagierte, wie es der frühere Bundespräsident Horst Köhler nannte – das alles schreckte viele Interessenten eher ab, und bunte Filmchen änderten wenig daran. Die Truppe selbst hat zum Teil bis heute erhebliche Probleme, sich auf die modernen Zeiten, neue Geschlechter- und Rollenbilder einzustellen; es ist eben nicht mehr selbstverständlich, dass der Soldat alle zwei, drei Jahre umzieht und die Familie ihm eben folgt, weil das eben immer so war.

„Semper Talis“ greift das alles in der einen oder anderen Form auf, das macht es interessant; „und dann in den Wald, zum Kämpfen“, sagt ein Soldat über die realitätsnahen und harten Übungen. Das Wachtbataillon präsentiert sich einerseits als moderne und diverse Truppe, viele Frauen und Soldaten mit Migrationshintergrund sind dabei, andererseits als Eliteeinheit, die nicht nur fürs Protokoll da ist. Drill, Befehle, Anstrengungen kommen reichlich vor, will sagen: Trotz der Videoclip-Machart sind die Kurzfilme ehrlicher als frühere Werbekampagnen, die gern versuchten, die Bundeswehr als eine Art bewaffnete Entwicklungshilfe zu inszenieren, und in denen Soldaten über den Wert des Brunnenbaus in afghanischen Dörfern sprachen.
Für die Zivilgesellschaft ist der neue Werbekurs gewöhnungsbedürftig. Aus guten Gründen sind die heutigen Deutschen auch ein Menschenalter nach dem Zweiten Weltkrieg ja eher militärskeptisch; aber der Mordfeldzug Putins gegen die Ukraine und die plötzliche Wiederkehr des Krieges nach Europa hat Gewissheiten und Gewohnheiten über Nacht tief erschüttert. Nicht nur durch die 100 Milliarden Euro im Zuge der „Zeitenwende“ wird die Bundeswehr als Armee, die notfalls Land und Bündnis verteidigen kann, wieder deutlich mehr geschätzt und anerkannt. Und es könnte Schlimmeres geben als eine Eigenwerbung, die zumindest halbwegs realitätsnah ist.

Das Wachbataillon „Semper Talis“ beim Verteidigungsministerium ist Aushängeschild der Bundeswehr. „Semper talis“ bedeutet „Immer gleich“. Werden Staatsgäste mit militärischen Ehren empfangen oder scheidende Bundeskanzlerinnen mit einem Großen Zapfenstreich geehrt, sind die Soldatinnen und Soldaten von „Semper Talis“ immer dabei. Jetzt hat die Bundeswehr eine militaristische YouTube-Serie drehen lassen.

Von nek

Sonntag,  17.07.2022,  18:00 Uhr

Sie versucht, den Militarismus und die Verpflichtung bei der Bundeswehr zu einem Ideal der Jugend zu machen. Dazu zeigt sie die Ausbildung beim Wachbataillon der Bundeswehr in Berlin. Man lernt die beiden sympathisch wirkenden Neulinge Philipp und David kennen. Im Lauf der Serie werden sie Dinge sagen wie: „Ich will Grenzen überwinden lernen“ oder nach einer schwierigen Ausbildungseinheit: „Ich bin stolz auf das, was ich nun kann“.

Sie haben tatsächlich gelernt, Grenzen zu überwinden, z.B. vor etwas Angst zu haben, sich aber nicht davon beherrschen oder abhalten zu lassen. Sie haben „Disziplin und Ordnung“ gelernt und das Schießen und Treffen. Aber nicht für sich und für ihre Klasse. Sie lernten vielmehr Drill und Kadavergehorsam für einen Staat, der sich aktiv auf einen Weltkrieg vorbereitet. Sie lernten Skrupel abzulegen, als Arbeiter auf andere Arbeiter zu schießen, sie eigneten sich einen falschen Stolz an und ließen sich einreden, sie seien etwas Besonderes. In Wirklichkeit hat man sie dazu gebracht, stolz auf ein imperialistisches Deutschland zu sein und ihre Köpfe militaristisch vernebelt.

Ja, die Jugend braucht Disziplin, Willenskraft, Mut und Zusammenhalt – sie braucht dies aber für ihre eigene Zukunft und für den Kampf um Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung, damit die Menschheit eine Zukunft hat! Es ist kein Ideal der Jugend, als Kanonenfutter eingespannt zu werden – und wenn man noch so cool den Motorradführerschein obendrein bekommt!

Auch junge selbstbewusste Frauen treten in den Filmen auf. Eine davon betont, dass sie durch die Bundeswehr ihren Traum, Musikerin zu werden, verwirklichen konnte. Die Bundeswehr von der Muse geküsst? Ein Traum, den man um den Preis der Verpflichtung in der Militärmaschine verwirklicht, der kann schnell zum Alptraum werden und im Kanonendonner untergehen. Und haben diese jungen Menschen etwa vergessen oder wollen sie lieber nichts wissen von den zahlreichen ans Licht gekommenen rechtsextremen, faschistoiden und sexistisch-erniedrigenden Umtrieben?

Die netten jungen Männer verkünden, sie seien stolz darauf, Deutschland zu repräsentieren, immerhin gäben sie das erste Bild ab, das ein ausländischer Staatsgast auf dem Flughafen bekommt. Es fällt schwer zu glauben, dass jemand so einen Unsinn freiwillig von sich gibt. Für den ausländischen Staatsgast sind sie anonyme Soldaten im Auftrag einer imperialistischen Armee, da interessiert nicht der Mensch in der Uniform und kein Gesicht wird in Erinnerung bleiben.

Mit dem stolzen Repräsentieren des imperialistischen Deutschland und seiner arbeiterfeindlichen Regierung wenden sich die jungen Soldaten gegen die Interessen der Arbeiterklasse, der Klasse, aus der die meisten von ihnen stammen. So hat der Wirtschaftsminister dieser Regierung vor kurzem angekündigt, dass im kommenden Winter, wenn es womöglich kein Gas mehr gibt, die Wirtschaft Vorrang vor der Bevölkerung hat. Das ist die allgemeine und zynische Wahrheit! Die Reichen werden nicht frieren oder hungern, sondern werden in diesem Krieg noch reicher! Dafür soll die Jugend repräsentieren und noch stolz darauf sein? Nein!

Die Rebellion gegen diese Verhältnisse, der aktive Widerstand dagegen und gegen die Gefahr eines dritten Weltkriegs, das ist heute die Aufgabe der Jugend, und jeder junge Mensch kann wirklich stolz sein – wenn er lernt, hinter die Kulissen dieses Krieges zu blicken, Vertrauen in die eigene Kraft zu entwickeln und Teil der internationalen Widerstandsbewegung gegen den Krieg zu werden. Dagegen bedeutet Stolz auf „unser Land“ oder „unseren Staat“ heute nichts anderes als Unterordnung und Unterstützung der imperialistischen Kriegsvorbereitung.

Einmal schimmert die Realität dann doch durch: Beim verlangten brutalen Überfall auf ein Haus sagt der Befehlshaber, ihnen stünde ihr eigenes Nachdenken im Weg, sie sollten das abstellen, dann würde die Sache flotter vor sich gehen. Darüber lohnt es sich tatsächlich nachzudenken. Die Verpflichtung bei der Bundeswehr ist keine Perspektive für die Arbeiterjugend!

Consent Management Platform von Real Cookie Banner